Frank Riedinger

Mongolei – Gesichter eines Landes


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Verabredung. Ich schaue verwundert um mich. Das alles sieht nach einem gediegenen Nomadendasein aus. Einen Ranger im Naturreservat habe ich mir anders vorgestellt. Aber das Berufsleben in der Mongolei ist vielschichtig, die Menschen gehen, das ist keine Seltenheit, unterschiedlichen Aufgaben und Jobs nach.

      Die Freunde umarmen sich herzlich. Ich stehe dabei und denke an die vielen Begrüßungen und Abschiede, deren Zeuge ich war. Hier klopfen sich zwei Abenteurer auf die Schultern, rufen Erinnerungen wach, gleich werden wir im Schatten der Jurte sitzen und Geschichten erzählen. So ist es. Genüsslich paffen sie Zigaretten. Ich strecke meine Beine aus und höre zu.

      Von einer älteren Nomadin wird berichtet, deren Schafe und Ziegen spurlos verloren gingen. Ohne Herde kehrte sie am Abend heim. Sie vermutete, dass Wölfe über ihre Tiere hergefallen seien. Eines Tages, sie hatte nun die Herde ihres Nachbarn zu hüten, lief eine Ziege davon und kletterte in die Berge. Mühsam folgte die Alte dem Tier und fand einen versteckten Höhleneingang. Sie tastete ins Innere, und als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, versuchte sie, die Ziege zu entdecken. Ein plötzlicher Schauer ließ sie anhalten. Vor ihr rieselten kleine Steine, die sie mit ihrem Fuß berührt haben musste, in eine abgrundtiefe Felsenkluft. Mit letzter Kraft konnte sie ihren Absturz verhindern. Die Unglückshöhle aber wurde von den Dorfbewohnern für immer verschlossen.

      In diesem Moment höre ich Händeklatschen. Ich bin etwas schläfrig geworden. Die Hitze, der Willkommenstrunk: Oft hebt mich die Lautmalerei der Sprache in eine entspannte, beinahe meditative Stimmung. Als könnte Batsaikhan meine Gedanken lesen, geht ein Strahlen über sein Gesicht und er lädt zum Essen ein, außerdem dürfen wir hier übernachten. Uns zu Ehren schlachtet er eine Ziege. Trotz der staatlichen Anstellung hat er, wie fast alle Mongolen, noch Weidetiere, deren Fleisch die fünfköpfige Familie versorgt.

      Die Abendsonne verströmt ein mildes Licht. Helles Rot und warmes Grau gleiten über die Granitfelsen. Regenwasser leuchtet in Vertiefungen. Steine sind nicht unveränderlich. Das wechselnde Licht formt ein Vulkanrot, das wie aus tieferen Schichten glüht. Morgens, schattenlos, wirken die Steine dagegen wie eingesunken. Das Wasser soll, dem Glauben der Nomaden nach, heilsam bei Augenleiden sein. Einige Tropfen ins Auge geträufelt helfen garantiert. Naturphänomene dieser Art faszinieren mich.

      Ich höre Geräusche, leise Stimmen. Batsaikhan ruft, dass die Weide fertig sei.

      Weide, das Wort kann ich nicht mit Essen in Verbindung bringen. Aber nachdem ich in die Schale blicke, aus dem die Weide geschöpft wird, sehe ich, was uns aufgetischt wird. Batsaikhan hat eine Ziege geschlachtet, und bei der sommerlichen Temperatur müssen die Innereien zuerst verspeist werden.

      Die mongolische Kost bietet wenig Abwechslung; da ist eine kleine Veränderung, der Geschmack einer anderen Mahlzeit sehr willkommen. Auf meinen Reisen übernachte ich bei den Nomaden und esse mit ihnen. Etwas anderes als die Lebensmittel der Einheimischen kenne auch ich hier nicht. Wochenlang hatte ich Guriltai Shul auf dem Speisezettel, eine Art Nudelsuppe. Selten gab es Tsuivan, ein Nudelgericht mit Fleischstücken und sehr viel Fett. Dies sind die beiden Hauptgerichte, die zu jeder Tageszeit gegessen werden. Nur fettes Fleisch ist gutes Fleisch, sagen die Mongolen. Ob jung oder alt, in dieser Meinung stimmen sie überein. Denn Fleisch ist neben den Milchprodukten das Grundnahrungsmittel auf dem Land. Daneben ist Yoghurt möglich, auch in getrockneter Form. Käseherstellung wie wir sie kennen ist unüblich, da die Mongolen das Lab nicht verwenden.

      Batsaikhan stellt mir die Familie vor, seine Frau nebst drei Töchtern. Am Platz der Ehrengäste und des Familienoberhauptes, gegenüber dem Eingang, liegen die Überreste der geschlachteten Ziege. Ich mache es mir auf dem Bett der linken Seite, der Männerseite, bequem. Die drei Töchter sitzen schüchtern gegenüber. Der jüngsten gab ich chinesische Luftballons als Geschenk. Nun hat sie Freude am Spiel gewonnen und den Appetit am Essen verloren.

      Der Hausherr zelebriert die Aluminiumschüssel mit den gekochten Innereien: Lunge, Niere, Leber, Herz und der mit Blut und Fleischstücken gefüllte Magen des Tieres. Als zweiten Gang des Abendessens gibt es Reis, der zusammen mit Innereien zubereitet wurde. Nyamaa, Batsaikhans Frau, bereitet frischen Milchtee. Unter ständigem Rühren, mit ausladenden Bewegungen des Schöpflöffels, wird tüchtig Sauerstoff zugesetzt, der den typischen Geschmack bewirkt.

      Dem hält nur das Wodka-Ritual stand. So oft und wo immer zu Ehren des Gastes. Es ist ein Freundschaftsgeschenk des großen sozialistischen Bruders, der den Wodka hier erst zum Nationalgetränk gemacht hat. Vor der kommunistischen Zeit, im Schatten des sowjetischen Nachbarn und Freundes, war das Wodkatrinken keine traditionell mongolische Angewohnheit.

      Bevor es Nacht wird, helfe ich der Familie beim Einfangen der Schafe und Ziegen. Sie werden in ein Gatter getrieben, geschützt vor den Wölfen, deren unheimliches Geheul ich nachts höre. Ich rolle meinen Schlafsack aus und krieche in die weiche Hülle. Durch das Loch im Dachkranz sehe ich das Flimmern der Sterne draußen. Meine Gedanken kreisen um die Erlebnisse des Tages. Die Nomadenfamilie schläft noch nicht. Sie besitzt eine zweite Jurte, in die sie uns zu Ehren umzieht. Sukhee sitzt mit ihnen dort, raucht und erzählt. Ich höre friedliches Meckern und Blöken und das Knallen von Luftballons in der Dunkelheit.

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      Baga Gazriin Chuluu – Granitfelsen und ein zerstörtes Kloster in der Mittelgobi.

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      Die Milch wird nach dem Melken gekocht. Durch ständiges Aufschäumen trennt sich der Rahm ab. Er bildet sich an der Oberfläche.

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      Uns zu Ehren wurde eine Ziege geschlachtet.

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      Zum Schutz vor den allgegenwärtigen Wölfen wird das Vieh nachts in ein Gatter getrieben.

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      Milchschnaps stellt man aus vergorenem Joghurt (Tsagaa) her. Dieser „Steppenwodka“ oder Tsagaan Arkhi wird noch heute aus vergorenem Joghurt von Ziegen, Rind, Pferd oder Kamel gebrannt. Dabei werden ca. 18 Liter auf dem Ofen der Jurte erhitzt. In ca. 35 cm Abstand oberhalb des Joghurts wird eine Kühlschale mit Wasser auf eine Ummantelung aus Blech gesetzt. An dieser Kühlschale kondensiert der Alkohol, der darunter entweder gleich in eine Auffangschale tropft oder mit einem Rohr nach außen in eine Flasche abgeleitet wird. Manche Familien hängen auch das Fleisch von Ziegen und Schafen während des Brennvorganges in die Ummantelung. Ein so imprägniertes Fleisch beugt gegen Müdigkeit und Allergien vor, wissen die Mongolen.

      Je nachdem, wie stark der vergorene Joghurt ist, können bis zu drei Brände erstellt werden. Der erste Brand heisst Okhi, der zweite Arz, den dritten Brand desselben Joghurts nennt man Khorz. Einen gesundheitsschädlichen Vor- oder Nachlauf wie beim Brennvorgang aus Maische gibt es hier nicht, da der Joghurt keine schädlichen Alkoholsorten bzw. Fuselstoffe beinhaltet. Aus dem restlichen Joghurt nach dem Brennen bereiten die Mongolen meist den Aaruul. Dieser wird auf dem Dach der Jurte getrocknet.

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      Milchschnapsherstellung – Der vergorene Joghurt wird erhitzt.

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      Milchschnapsherstellung – Der vergorene Joghurt wird erhitzt, anschließend läuft das Destillat in die Flasche

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