Jemal Nebez

Der kurdische Fürst MĪR MUHAMMAD AL-RAWĀNDIZĪ genannt MĪR-Ī KŌRA


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kann man wohl sagen, dass der Persönlichkeit des einäugigen Sōrānī-Fürsten wie auch seine kriegerische Tüchtigkeit ihm einen guten Ruf eingebracht hatten. Bis heute steht er in hohem Andenken: außerdem war er Anlass für das Entstehen einer Reihe von volksetymologischen Deutungen und von Volkserzählungen.

      B. DIE VERHÄLTNISSE IM EMIRAT ZUR ZEIT MĪR-Ī KŌRAS

      1. Die religiösen Verhältnisse

      Die islamischen Theologen spielten im Sōrān-Emirat eine sehr bedeutende Rolle. Sogar „die Rechtspflege lag in den Händen der ‘Ulamā“.249 Das hatte seine Ursache wohl in der streng islamischen Erziehung des Fürsten. Zakī berichtet über die „Frömmigkeit“ des Mīr: „Muḥammad Pāšā war von großer Frömmigkeit und Rechtschaffenheit in der Beachtung des islamischen Rechtes. Er nahm keine Sachen in Angriff, ohne von den ‘Ulamā ein Fatwā eingeholt zu haben. Ihre Auffassung war für sein Handeln maßgebend. Das Gesetz, auf das er sich stützte, waren der heilige Koran und die Regeln des ehrwürdigen islamischen Rechts“.250

      Durrah berichtet etwas Ähnliches über Mīr-ī Kōra: „Er war ungewöhnlich fromm, gut und hing am ehrwürdigen Gesetz (des Islams)“.251

      Xēlānī berichtet über Mīr-ī Kōra, die beiden vorherigen Berichte bestätigend: „Der Pāšā hatte die stetige Gewohnheit, in den großen Problemen der Religion und der Welt den Malā252 um Rat zu fragen“.253

      Dr. Roos berichtet nichts über solch fanatisch islamische Anschauungen Mīr-ī Kōras, aber seine Berichte über die Strafen, die im Sōrān-Emirat verhängt wurden, lassen die vorherigen Berichte von Zakī, Durrah und Xēlānī als richtig erscheinen: “… for theft, a hand is chopped off; for desertion, a foot; and for other crimes, the loss of one or both eyes is held sufficient“.254

      Insofern diese Strafen im allgemeinen255 dem islamischen Strafgesetz entsprechen, kann man sagen, dass die islamische „šarī’at“ herrschte.

      Angesichts dieser Sachlage ist zu vermuten, dass die ‘Ulamā neben dem Mīr das Emirat regiert haben, wie Nikitine berichtet. Von den ‘Ulamā, die im Emirat sowie in ganz Kurdistan einen besonderen Ruf genossen, sind zwei zu nennen: Malā Muḥammad-ī Xatē (geb. 1200h. bzw. 1785/6)256 und Malā Yaḥyā-ī Mizōrī (starb 1254h. bzw.1839/40).257

      Xatē ist eine Persönlichkeit, die bis heute bei den Kurden bekannt ist. Xatē und Idrīs-ī Bitlīsī (starb 1520) werden häufig in einem Atemzug erwähnt, jedoch nicht wegen ihres Wissens, sondern wegen ihrer von den Kurden als unpatriotisch betrachteten Haltung. Bitlīsī wird wegen seiner Hilfe für die Osmanen bei den kurdischen Fürsten als „Makler“ und „Handlanger“258 und Xatē wegen seiner Unterstützung der Osmanen gegen Mīr-ī Kōra als „Vaterlandsverkäufer“259 betrachtet. Xatē hatte das Amt eines Muftīs des Emirates260 inne und war beim Mīr sehr geachtet.261 Nach Mukriyānī soll der Wālī von Bagdad, Dā’ūd Pāšā, absichtlich Xatē mit dem Auftrage zum Mīr geschickt haben, diesen zum Abschluss eines Bündnisses für schwere Zeiten zu veranlassen. Der Wālī soll aus Angst vor der Annäherung zwischen Mīr-ī Kōra und der Qāğāren-Regierung die Freundschaft Mīr-ī Kōras gesucht haben.262 Demnach müsste Xatē ein Handlanger Dā’ūd Pāšās gewesen sein.263 Es ist sehr schwer zu entscheiden, ob dieser Bericht zutrifft. Es gibt ja eine ganz bekannte Angabe, dass die Armee des Mīr-ī Kōra auf Grund eines Rechtsgutachtens von Xatē nicht gegen die osmanische Armee im Jahre 1836 gekämpft hat.264 Wenn man auch annimmt, dass Dā’ūd Pāšā seine Annäherung an Mīr-ī Kōra nicht aus Zuneigung und Respekt vornahm, sondern weil er ihn als eine neue Macht gegen das Bābān-Emirat und den iranischen Einmarsch einsetzen wollte, wie manche Kommentatoren angeben265, so muss man trotzdem eine Tatsache berücksichtigen: Dā’ūd Pāšā war in der Zeit des Sturzes Mīr-ī Kōras (1836) nicht mehr Wālī.266 Außerdem war Dā’ūd Pāšā ein Mensch, der die ‘Ulamā sehr hochachtete.267

      Xēlānī berichtet, dass Dā’ūd Pāšā vom großen Wissen des Malā-ī Xatē sehr begeistert war. Deshalb war Xatē bei Dā’ūd Pāšā sehr geachtet.268 Aber ob Xatē insgeheim ständig osmanischer Agent war, wie man nach Mukriyānī annehmen muss, mag dahingestellt bleiben.

      Der zweite ‘Ālim, Malā Yaḥyā-ī Mizōrī, war ebenfalls einer der berühmtesten kurdischen Gelehrten.269 Mizōrī war zu Mīr-ī Kōra geflüchtet, nachdem ‘Alī Beg Dāsanī 270, der Mīr der Yazīdī, seinen Onkel 271, ‘Alī Beg-ī al-Kōšī, getötet hatte. Mīr-ī Kōra und Malā-ī Xatē nahmen ihn herzlich auf.272

      Nach Damlūğī soll Dā’ūd Pāšā den Theologen Mizōrī zu Mīr-ī Kōra geschickt haben. „Malā Yaḥyā Mizōrī reiste nach Bagdad und trug dem Wālī von Bagdad, Dā’ūd Pāšā, das Unrecht vor, das man ihm angetan hatte. Dieser gab ihm einen Empfehlungsbrief mit, der an Muḥammad Pāšā, den Mīr von Rawāndiz, adressiert war. …. Man erzählt, dass Dā’ūd Pāšā, als er Yaḥyā den Brief gab, ihn mit dem heiligen Koranvers ‘O Yaḥyā, nimm die Schrift mit Kraft hin‘ 273 ansprach. Yaḥyā antwortete ihm sofort ‘O David! Wir haben dich zum Statthalter auf Erden eingesetzt‘ 274“.275

      Es fällt nicht so sehr ins Gewicht, ob dieser Bericht stimmt. Wichtig ist die Rolle, die Mizōrī mit Hilfe des gleichgesinnten Xatē gespielt hat, um die Yazīdī in eine katastrophale Lage zu bringen. Es gibt Berichte, wonach Mizōrī, um seinen Bruder (oder Neffen) an den Yazīdī zu rächen, den Mīr dazu gebracht habe, 1247h. (1831/2) eine Offensive gegen die Yazīdī zu eröffnen und einen Vernichtungskrieg gegen sie zu führen.276 Es ist bekannt, dass der Mīr auf Grund eines Rechtsgutachtens in das Yazīdī-Gebiet einmarschierte. Dagegen weiß man nicht genau, wer von beiden ‘Ulamā (Xatē oder Mizōrī) dieses Rechtsgutachten ausgestellt hatte. Damlūğī führt zwei verschiedene Berichte an: „Im Jahre 1932 besuchte ich das Dorf Xatē, um nach der Fatwā zu suchen, die Malā-ī Xatē ausgesprochen hatte, aber ich fand nichts. Man sagte mir, dass derjenige, der die Fatwā zur Vernichtung der Yazīdī erteilt hatte, Malā Yaḥyā Mizōrī und nicht Malā-ī Xatē gewesen sei“.277 Später äußerte Damlūğī: „Mizōrī verlangte von dem ‘Ālim des Sōrān-Fürstentums, Malā Muḥammad Xatē, ihm ein Rechtsgutachten auszustellen, um seinen Wunsch nach einem Kampf gegen die Yazīdī zu erfüllen. Xatē stellte sofort eine Fatwā aus, die die Yazīdī für vogelfrei erklärte“.278 Doch zweifelt Damlūğī am Verfasser der Fatwā. Er sagt: „Man sagt auch, dass Mizōrī selbst diese Fatwā ausgestellt hat“.279

      Ob Mizōrī oder Xatē diese Fatwā ausgestellt hat, ändert am Ergebnis nichts. Damlūğī selbst sammelt in seinem Werk “al-Yazīdī–yyah“ viele andere Fatwās gegen die Yazīdī. Die Rolle Mīr-ī Kōras dabei soll nicht außer Acht gelassen werden. Denn der Mīr war ein Handlanger zur Ausführung des fanatischen islamischen Willens der ‘Ulamā.

      Die Yazīdī hatten sehr viel zu leiden. Es gibt Berichte, die uns wissen lassen, dass der Yazīdīführer ein Opfer dieses Fanatismus wurde. Minorsky berichtet: „Die Yazīdī wurden mehrmals hart gezüchtigt. Ihr Führer ‘Alī, der sich weigerte, sich zum Islam zu bekehren, wurde hingerichtet“.280

      Mukriyānī bestätigt diesen Bericht: „Wie ich von den alten Leuten in Rawāndiz hörte, war ‘Alī Beg ein tapferer, schön aussehender und korrekter Mensch. Er hatte nicht die Ermordung und Hinrichtung verdient. Aber der große Mīr (Muk meint damit Mīr-ī Kōra) verlangte von ihm (‘Alī Beg) auf Veranlassung der fanatischen ‘Ulamā, dass er (‘Alī Beg) sich zum Islam bekehren müsse. Aber ‘Alī Beg weigerte sich. Als Folge wurde dieser ehrenwerte Fürst (‘Alī Beg) auf Anstiftung jener Theologen getötet, nicht etwa weil seine Frau (Frau ‘Alī Begs) in Sinğār einen Aufruhr angezettelt hätte, wie manche erzählen. Heute kennen die Rawāndiz-Leute alle die Geschichten von ‘Alī Beg und sie erzählen sie einander“.281

      Xēlānī bestätigt die vorherigen Berichte: „In der Hoffnung, dass ‘Alī Beg eines Tages den richtigen Weg einschlage und Muslim würde, hatte der Mīr ihn sehr geachtet. Besonders war der Mīr von seiner Ritterlichkeit und starken Persönlichkeit begeistert.