Edgar Wallace

Edgar Wallace - Gesammelte Werke


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meine Herren, es scheint, daß Sie mich fingen, anstatt daß ich Sie faßte. Was wollen Sie nun unternehmen?«

      Gonsalez lachte leise.

      »Ich habe nicht die geringste Neigung, vor Gericht als Zeuge aufzutreten und zu bekunden, daß Lord Pertham ein Bigamist ist und schon seit vielen Jahren ein Doppelleben führt. Denn das würde bedeuten, daß ich auch gewisse unangenehme Details über mich selbst geben müßte.«

      Lord Pertham räusperte sich.

      »Ich kam hierher, um Sie zu töten«, sagte er heiser.

      »Das haben wir vermutet«, erwiderte Manfred. »Was steckt denn eigentlich hinter dieser ganzen Geschichte, Leon?«

      »Es wäre wohl das beste, wenn Lord Pertham uns alles erzählte«, entgegnete Gonsalez.

      Der Lord sah sich im Zimmer um.

      »Würden Sie mir bitte ein Glas Wasser geben?«

      Leon erfüllte seine Bitte.

      »Es ist richtig«, begann er nach einer Weile, »daß ich Sie als zwei Mitglieder der Vier Gerechten erkannte. Ich war mit dem Herzog eng befreundet und befand mich zufällig an Bord seiner Jacht, als Sie dorthin kamen. Mein Freund erzählte mir zwar eine lange Geschichte von einer Flucht, die Ihre Anwesenheit auf der Jacht erklären sollte, aber als ich in Spanien an Land ging und die Berichte in den Zeitungen las, wußte ich, wer Sie waren. Wahrscheinlich wissen Sie auch aus meinem früheren Leben, daß ich als gewöhnlicher Matrose in der Handelsmarine diente und um die ganze Welt reiste. Diese Art Leben sagte mir mehr als alles andere zu. Auf diese Weise konnte ich Land und Leute kennenlernen, und zwar von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus, als ich es als Mitglied der großen Gesellschaft jemals hätte tun können. Wenn man die Welt wirklich kennenlernen will, muß man als Matrose reisen!

      Ich traf Martha Grey eines Abends in einem Theater im Osten Londons. Als ich noch zur See fuhr, handelte ich auch wie ein richtiger Matrose. Zwischen mir und meinem Vater herrschten nicht gerade die besten Beziehungen, und ich hatte deshalb auch nie das Verlangen, nach Hause zu gehen. Es mag Ihnen lächerlich erscheinen, aber als das Mädchen an meiner Seite im dunklen Theater saß, verliebte ich mich in sie.«

      »Und Sie haben dann Miss Grey geheiratet?« fragte Leon.

      »Nein«, erwiderte der Lord schnell. »Ich ließ mich törichterweise überreden, mich drei Monate später mit Mylady trauen zu lassen, nachdem mir das Abenteurerleben zur See über geworden war und ich wieder in der Gesellschaft verkehrte. Sie war die Erbin eines großen Vermögens und war aus diesem Grund eine gute Partie. Dies spielte sich ab, bevor mein Vater den Titel und das Vermögen seines Vetters geerbt hatte. Das Eheleben, das ich mit Mylady führte, war entsetzlich, es war die Hölle auf Erden. Sie haben sie ja heute abend selbst gesehen und ihre Art kennengelernt. Ich habe eine zu große Achtung vor Frauen und stand zu sehr unter ihrem Einfluß, als daß ich das giftige Temperament meiner Frau hätte zügeln können. Und dieses schreckliche Leben, das ich zu Hause führen mußte, trieb mich zu Martha.

      Sie hat einen guten Charakter.« Seine Augen leuchteten auf. »Sie ist die reinste, selbstloseste und liebevollste Frau, die jemals lebte. Als ich sie wieder traf, wurde mir erst bewußt, wie sehr ich sie liebte. Bei einem Mädchen ihrer Art blieb kein anderer Weg – ich heiratete sie. Auf einer Reise nach Australien bekam ich ein schweres Fieber und verlor mein ganzes Haar. Das war aber schon lange, bevor ich Martha traf. Es mag Eitelkeit gewesen sein, daß ich mir eine Perücke machen ließ, als ich wieder zu meinen Verwandten und zur Gesellschaft zurückkehrte. Aber es hatte einen doppelten Vorteil für mich: Einmal verbarg sie meinen kahlen Kopf und außerdem schützte sie mich vor der Gefahr, von meinen früheren Kameraden erkannt zu werden.

      Als ich allmählich grau wurde, ließ ich auch die Farbe meiner Perücke meinem Alter entsprechend ändern. Martha fand nichts dabei, daß ich keine Haare hatte. Das Leben, das ich mit ihr führe, ist sehr glücklich. Ich muß sie von Zeit zu Zeit verlassen, um mich um die Verwaltung meines Besitzes zu kümmern. Dann gebe ich vor, daß ich eine längere Seereise mache. Mylady muß ich auf der anderen Seite erzählen, daß ich in Geschäftsangelegenheiten nach Amerika fahre, um ihr meine Abwesenheit zu erklären.«

      »Der Mann, den Sie erschossen haben, war natürlich Marthas Halbbruder«, sagte Gonsalez.

      Lord Pertham nickte.

      »Es war einer der unglücklichsten Zufälle, daß er ausgerechnet in mein Haus einbrechen mußte. Bei dem Handgemenge riß er mir die Perücke ab und erkannte mich. Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihn zu erschießen«, sagte der Lord ruhig. »Ich tat es mit vollem Bewußtsein, weil mein Lebensglück durch ihn vernichtet worden wäre und weil er schon seit Jahren seine Schwester tyrannisiert und von ihrem geringen Einkommen lebt.«

      Gonsalez nickte.

      »Ich sah ein Büschel grauer Haare in seiner Hand und vermutete, was sich zugetragen hatte.«

      »Was werden Sie nun tun?« fragte Lord Pertham.

      »Was haben Sie denn vor?« fragte Leon dagegen. »Vielleicht ist es Ihnen lieb, wenn ich es Ihnen sage?«

      »Das ist wohl das beste«, erwiderte Lord Pertham ernst.

      »Sie nehmen Mylady mit sich auf eine Reise, sobald die Leichenschau vorüber ist, warten eine genügende Zeit und überreden sie dann, sich von Ihnen scheiden zu lassen. Wenn das geschehen ist, heiraten Sie Mrs. Prothero unter Ihrem wirklichen Namen.«

      Manfred wandte sich an Leon, nachdem Lord Pertham in das obere Zimmer gegangen war.

      »Du bist doch eigentlich ein ganz unmoralischer Mensch, Leon. Nimm doch einmal an, Lady Pertham läßt sich nicht von ihm scheiden –«

      Leon lachte.

      »Es ist gar nicht nötig, daß sie sich von Lord Pertham scheiden läßt, denn er hat uns ein wenig belogen. Er hat Martha erst geheiratet, verließ sie dann und kehrte wieder zu ihr zurück. Ich weiß das zufällig, weil ich die ganzen Heiratsregister durchgesehen habe. Es gab eine Mrs. Prothero, ehe es eine Lady Pertham gab.«

      »Du bist wirklich ein Prachtkerl, mein lieber Leon«, sagte Manfred bewundernd.

      »Ja, da hast du recht«, gab Gonsalez bescheiden zu.

      Die hervorstechendsten Eigenschaften des Mr. Homer Lynne waren weitgehende Sympathie und eine unüberwindliche Vorliebe für Tschaikowskys Konzertouvertüre »1812«. Er liebte zwar Musik im allgemeinen, aber seine Nachbarn in Pennerthon Road in Hampstead bezeugten mit einer gewissen Bitterkeit, daß er dieser großen Schlachtkomposition vor allem anderen den Vorzug gab. Zuerst hatte es private Auseinandersetzungen mit ihm gegeben, dann war er wegen öffentlicher Ruhestörung vor das Polizeirevier zitiert worden. Als auch das nichts nützte, schrieben die Rechtsanwälte der benachbarten Parteien scharfe Briefe an ihn.

      Es war ebenso sonderbar als bedauernswert, daß dieser sympathische und liebenswürdige Herr sich nicht im geringsten um die Wünsche und das Wohlergehen seiner Nachbarn kümmerte. In seinem Schlafzimmer stand das größte und lauteste Grammophon, das Hampstead jemals gesehen hatte. Der teuere Apparat war außerdem mit einem automatischen Plattenwechsler versehen, so daß der Spektakel unentwegt von neuem begann. Aber das schlimmste war, daß Mr. Lynne sich die Nachtstunden zu seinen Konzerten wählte.

      Auf dem Polizeirevier hatte er angegeben, daß Grammophonmusik das einzige Mittel sei, seine aufgeregten Nerven so weit zu beruhigen, daß er Schlaf finden könne. Und nur sein Lieblingsstück »1812« sei laut genug, um diese Wirkung zu erzielen.

      Daß Mr. Lynne sonst sehr mitfühlend war, konnten zum mindesten drei betrübte Elternpaare bezeugen. Er war ein Theateragent, der hauptsächlich für Südamerika arbeitete; seine Spezialität war die Zusammenstellung von »Truppen« für zwanzig größere oder kleinere Theater. Die großen Künstler, die auf seine Engagements hin durch Argentinien, Mexiko, Chile und Brasilien gereist waren, lobten ihn über die Maßen. Sie waren ausgezeichnet behandelt worden und hatten überall das größte Entgegenkommen bei den Leuten gefunden, für die Mr.