– ein gedrucktes Formular, das den Gefängnisdirektor in Baxeter anwies, dem Überbringer des Schreibens in den Stunden zwischen zehn und zwölf Uhr vormittags und zwei und vier Uhr nachmittags Zutritt zum Gefängnis zu gewähren.
Die beiden unterbrachen ihre Reise in Baxeter, und Leon machte sich auf den Weg zum Gefängnis, das hübscher und stattlicher aussah als die meisten anderen Gebäude dieser Art. Er wurde von dem stellvertretenden Direktor und einem kräftigen Oberwärter, einem früheren Gardisten, empfangen. die ihm die drei großen Flügel des Gefängnisses, die Höfe und alle Gebäude der Anstalt zeigten.
Auf dem Bahnhof traf Leon wieder mit Manfred zusammen und kam gerade zur rechten Zeit, um den Zug nach Plymouth zu besteigen, der sie nach Newton Abbott bringen sollte.
»Ich bin mit meinem Besuch durchaus zufrieden«, sagte Leon. »Es ist das beste Gefängnis und erstaunlich bequem. Ich habe noch kein so angenehmes Gefängnis gesehen.«
»Meinst du bequem hineinzukommen oder bequem wieder daraus zu verschwinden?«
»Beides.«
Sie hatten keine Zimmer im Hotel bestellt. Leon wollte ein Privatquartier in der Nähe von Dr. Twenden nehmen und war auch erfolgreich bei seinen Bemühungen. Drei Häuser von der Wohnung des Arztes entfernt konnten sie möblierte Zimmer mieten.
Eine liebenswürdige, rotbäckige Frau von Devonshire war ihre Wirtin. Ihr Mann war Richtkanonier auf einem der großen Schlachtschiffe und befand sich augenblicklich auf hoher See. Leon und George waren die einzigen Untermieter und bekamen zwei gemütliche Schlafzimmer und ein gemeinschaftliches Wohnzimmer im selben Stockwerk. Manfred bestellte sofort Tee, und nachdem sich die Tür hinter der Frau geschlossen hatte, wandte er sich an Leon, der am Fenster stand und intensiv auf die innere Fläche seiner linken Hand schaute, die ebenso wie die rechte in einem grauen Seidenhandschuh steckte.
Manfred lachte.
»Ich mache im allgemeinen keine Bemerkungen über deinen Anzug, mein lieber Leon. Und wenn man bedenkt, daß du auf dem Kontinent geboren bist, muß man zugeben, daß du merkwürdig wenig Fehler in bezug auf deine Kleidung machst – vom englischen Standpunkt aus.«
»Es ist sonderbar«, erwiderte Leon, ohne aufzuschauen.
»Aber ich habe früher noch niemals gesehen, daß du seidene Handschuhe trugst«, fuhr Manfred neugierig fort. »In Spanien ist es ja nicht ungebräuchlich, baumwollene oder sogar seidene Handschuhe anzuziehen –«
»Feinste Seide«, murmelte Leon. »Und ich kann trotzdem meine Hand in ihnen nicht einmal biegen.«
»Hast du sie deshalb in der Tasche stecken lassen?« fragte Manfred überrascht.
Gonsalez nickte.
»Ich kann sie deshalb nicht biegen, weil ich eine starke Kupferplatte in der inneren Handfläche halte, und auf dieser Platte befindet sich ein halbzollstarker Aufstrich von Plastilin.«
»Ach so, nun verstehe ich«, entgegnete Manfred bedächtig.
»Ich muß wirklich sagen, daß mir das Baxeter-Gefängnis außerordentlich gefallen hat«, sagte Leon. »Der stellvertretende Direktor ist wirklich ein netter junger Mann. Er freute sich sehr über mein Erstaunen und Interesse, als er mir die Zellen zeigte. Er hat mich sogar den Paßschlüssel des ganzen Gefängnisses besichtigen lassen, der alle Türen schließt und den er persönlich bei sich trägt. Als ich ihn in der Hand hatte, schaute ich den Mann unverwandt an und preßte schnell das Ende des Schlüssels gegen meine Handfläche. Es dauerte nur eine Sekunde, mein lieber George, und weil ich den Seidenhandschuh trug, blieb kein verräterisches Zeichen an dem Schlüssel zurück, das dem Direktor meine hinterlistige Absicht verraten hätte.«
Er nahm eine zusammenklappbare Schere aus seiner Tasche, öffnete sie geschickt und schnitt ein Stück Seide aus der inneren Fläche des Handschuhs heraus.
»›Wundervoll! Das ist also der Paßschlüssel!‹, sagte ich, betrachtete ihn bewundernd und gab ihn dann zurück. Wir gingen zusammen zu der Strafzelle und besichtigten den Garten; er zeigte mir auch die kleinen, ungepflegten Gräber, wo die hingerichteten Verbrecher liegen. Und während dieser ganzen Zeit mußte ich meine Hand in der Tasche halten, um nicht gegen irgendeinen harten Gegenstand zu stoßen und den Abdruck zu verderben. Hier kannst du ihn sehen.«
Die Seide schien besonders präpariert zu sein, denn sie löste sich leicht ab. Darunter zeigte sich in dem grauen Ton der scharfe und unversehrte Abdruck des Schlüssels.
»Der kleine Eindruck an der Seite bedeutet wohl die Form des Schlüsselendes?«
Leon nickte.
»Das ist der Paßschlüssel des Baxeter-Gefängnisses, mein lieber Manfred.« Er lächelte, als er die Kupferplatte auf den Tisch legte. »Hiermit könnte ich nun in das Gefängnis hineinkommen ... Nein, das ist doch zu dumm.« Plötzlich hielt er inne und biß sich auf die Lippen.
»Das hast du großartig gemacht«, sagte Manfred voll Bewunderung.
»Glaubst du?« Leon machte ein trauriges Gesicht. »Weißt du auch, daß es eine Tür dort gibt, die wir nicht damit öffnen können?«
»Welche ist denn das?«
»Das Eingangsportal, das kann man nur von innen öffnen.«
Als die Wirtin mit dem Tablett hereinkam, legte er sorgfältig seinen Hut über die Tonabdrücke.
Leon trank seinen Tee und musterte wie geistesabwesend die Tapete. Manfred unterbrach ihn nicht in seinen Gedanken.
Leon Gonsalez hatte schon oft die Pläne der Vier Gerechten ausgedacht und alle Einzelheiten eines ganzen Unternehmens ersonnen. Seine außerordentliche Phantasie befähigte ihn, alle Möglichkeiten vorauszusehen. Manfred hatte oft gesagt, daß das Ausdenken des Planes Leon ebensoviel Genugtuung bereitete wie die erfolgreiche Ausführung desselben.
»Was für ein schrecklicher Idiot bin ich doch«, sagte er schließlich. »Ich habe nicht darauf geachtet, daß das Haupttor eines Gefängnisses selten ein Schlüsselloch hat. Eine Ausnahme davon macht nur Dartmoor.«
Wieder versank er in Nachdenken. Die Stille wurde nur manchmal von geheimnisvollen Bemerkungen unterbrochen, die er zu sich selbst zu machen schien.
»Ich schicke das Telegramm ... Es muß natürlich von London kommen ... Sie werden sicherlich herunterschicken, wenn der Inhalt des Telegramms nur dringend genug ist. Es müssen fünf Leute sein – nein, fünf kann man zur Not in einem Taxi unterbringen ... Sechs – wenn die Tür des Gefängniswagens verschlossen ist, aber das wird nicht der Fall sein ... Wenn es wider Erwarten nicht geht, muß ich es in der nächsten Nacht versuchen.«
»Sag mal, wovon sprichst du eigentlich?« fragte Manfred belustigt.
Leon wachte plötzlich aus seinen Träumen auf.
»Wir müssen zuerst die Schuld des Mannes genau feststellen, und wir werden heute abend noch damit beginnen. Ich möchte nur wissen, ob unsere Wirtin einen Garten hat.«
Es zeigte sich, daß hinter dem Haus ein Garten von zweihundert Yards Länge lag. Leon ging hinunter, machte einen Erkundungsgang und war mit dem Ergebnis zufrieden.
»Ist das drüben die Wohnung des Doktors?« fragte er unschuldig, als ihn die Wirtin darauf aufmerksam machte. »Das ist doch nicht etwa der Mann, der den Prozeß in Baxeter gehabt hat?«
»Ganz gewiß, derselbe«, sagte die Frau triumphierend. »Ich kann Ihnen nur sagen, daß es viel Aufsehen hier in der Gegend erregte.«
»Glauben Sie, daß er unschuldig ist?«
Die Wirtin war nicht darauf vorbereitet, auf diese klare Frage eine klare Antwort zu geben.
»Die einen denken so, die anderen so«, erwiderte sie deshalb diplomatisch. »Er ist immer ein netter Mensch gewesen, er hatte auch meinen Mann behandelt, als er das letztemal daheim war.«
»Wohnt der Doktor in dem Haus?«
»Ja, aber er geht bald fort.«
»Davon