Edgar Wallace

Edgar Wallace - Gesammelte Werke


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ich zu Bett ging, daß ich vergaß, ihn abzustellen. Als ich eben herunterkam, sah ich es und drehte ihn ab.«

      Wieder bückte sich Tarling und nahm einen glühenden Zigarrenstummel von dem Aschenbecher vor dem Kamin auf.

      »Sie rauchen also auch beim Schlafen?« fragte er trocken.

      »O nein«, entgegnete Milburgh leichthin, »ich rauchte gerade, als ich die Treppe herunterging, um Sie hereinzulassen. Ganz in Gedanken habe ich die Zigarre angezündet und in den Mund gesteckt. Das mache ich jeden Morgen beim Aufwachen – es ist eine schlechte Angewohnheit. Ich habe sie eben hingelegt, als ich die Heizung abdrehte.«

      Tarling lächelte.

      »Wollen Sie nicht Platz nehmen?« fragte Milburgh, der sich selbst in einen Stuhl niederließ. Er zeigte bedeutungsvoll auf die Papiere, die auf seinem Tisch lagen. »Sie sehen, wir haben jetzt sehr viel im Geschäft zu tun, seitdem der arme Mr. Lyne eines so plötzlichen Todes gestorben ist. Ich muß mir sogar Arbeit mit nach Hause nehmen, und ich kann Sie versichern, daß ich manche Nacht bis zum Morgengrauen arbeite, nur um die Rechnungen für die Bücherrevisoren fertigzustellen.«

      »Arbeiten Sie denn immer?« fragte Tarling harmlos. »Gehen Sie nicht manchmal nachts im Nebel spazieren, um sich zu erfrischen?«

      »Spazierengehen, Mr. Tarling?« fragte er ganz erstaunt. »Ich verstehe Sie nicht ganz. Selbstverständlich würde ich in einer Nacht wie dieser nicht ausgehen. Es ist ein unglaublich dichter Nebel, den wir heute haben!«

      »Kennen Sie Paddington überhaupt?«

      »Nein, ich weiß nur, daß dort eine Eisenbahnstation ist, von der ich manchmal abfahre. Aber bitte, sagen Sie mir, warum Sie zu mir gekommen sind!«

      »Ich bin heute abend von einem Mann angegriffen worden, der zweimal ganz aus der Nähe auf mich feuerte. Der Mann hatte dieselbe Größe und Gestalt wie Sie. Ich habe ein amtliches Schreiben in der Tasche« – Mr. Milburgh kniff die Augenlider zusammen –, »ich habe den Auftrag, Ihr Haus zu durchsuchen.«

      »Wonach?« fragte Milburgh kühl.

      »Nach einem Revolver oder einer automatischen Pistole. Vielleicht kann ich bei dieser Gelegenheit auch noch etwas anderes finden.«

      Milburgh erhob sich.

      »Sie können das ganze Haus von einem Ende zum andern durchsuchen. Sie werden bald damit fertig sein, denn es ist nur klein. Mein Gehalt erlaubt mir keine teure Wohnung.«

      »Wohnen Sie allein hier?« fragte Tarling.

      »Ja. Nur morgens um acht Uhr kommt eine Aufwartefrau, die mir das Frühstück macht und die Zimmer reinigt. Sie schläft aber nicht hier. – Ich fühle mich aber durch diesen Durchsuchungsbefehl aufs schwerste verletzt.«

      »Wir werden Sie noch mehr verletzen müssen«, erwiderte Tarling trocken und begann mit einer genauen Durchsuchung der Räume.

      Er hatte aber wenig Erfolg, denn er konnte keine Waffe entdecken. Auch gelang es ihm nicht, eins der kleinen roten Papiere zu finden, die er sicher im Besitz Milburghs glaubte. Denn er war viel begieriger, den Mörder Thornton Lynes zu fangen, als den Mann, der ihm heute aufgelauert hatte.

      Er ging zu dem kleinen Wohnzimmer zurück, in dem er Milburgh mit dem Inspektor zurückgelassen hatte. Anscheinend machte er sich nicht viel aus dem Mißerfolg.

      »Mr. Milburgh«, sagte er schroff, »haben Sie jemals ein solches Papier gesehen?«

      Er nahm den kleinen roten Zettel aus der Tasche und legte ihn auf die Tischplatte. Milburgh betrachtete ihn genau und nickte.

      »Sie kennen solche Papiere?« fragte Tarling überrascht.

      »Jawohl, Mr. Tarling! Ich würde lügen, wenn ich es in Abrede stellte, und ich hasse nichts mehr, als andere Leute zu hintergehen.«

      »Daran zweifle ich nicht«, meinte Tarling ironisch.

      »Es tut mir leid, daß Sie meinen Worten keinen Glauben schenken«, sagte Milburgh vorwurfsvoll, »aber ich kann Ihnen nur noch einmal versichern, daß ich es hasse, die Unwahrheit zu sagen.«

      »Wo haben Sie solche Papiere schon gesehen?«

      »Auf dem Schreibtisch von Mr. Lyne.«

      Tarling war über diese Antwort ziemlich erstaunt.

      »Der verstorbene Mr. Lyne brachte von seiner Weltreise viele Kuriositäten aus dem Osten mit. Darunter befand sich auch eine Anzahl solcher Zettel mit chinesischen Schriftzeichen. Ich verstehe chinesisch nicht und hatte auch niemals Gelegenheit, nach China zu kommen. Für mich unterscheiden sie sich gar nicht voneinander.«

      »Sie haben diese Papiere auf Lynes Schreibtisch gesehen? Warum haben Sie denn das nicht der Polizei gesagt? Sie wissen doch, daß Scotland Yard großen Wert auf die Tatsache legte, daß man ein solches Blatt in der Tasche des Toten fand?«

      »Es stimmt, daß ich es der Polizei gegenüber nicht erwähnte. Aber Sie müssen begreifen, Mr. Tarling, daß ich durch das traurige Ereignis so verwirrt war, daß ich an nichts anderes dachte. Es wäre auch möglich gewesen, daß Sie mehrere dieser merkwürdigen Zettel hier in meinem Hause gefunden hätten.« Bei diesen Worten lachte er dem Detektiv ins Gesicht. »Mr. Lyne machte sich ein Vergnügen daraus, Kuriositäten, die er aus dem Osten mitbrachte, an seine Freunde zu verteilen. Er schenkte mir auch das Schwert, das Sie dort an der Wand hängen sehen. Wahrscheinlich hat er mir auch mehrere solcher roten Zettel geschenkt. Er erzählte mir auch eine Geschichte darüber, aber ich kann mich im Augenblick nicht mehr darauf besinnen.«

      Er hätte sich noch mehr in alte Erinnerungen an seinen verstorbenen Chef verloren, doch Tarling verabschiedete sich kurz. Milburgh begleitete ihn bis zu dem großen Tor und schloß es hinter den Leuten. Dann ging er zum Wohnzimmer zurück und lächelte vergnüge vor sich hin.

      »Es ist ganz sicher, und ich bin fest davon überzeugt, daß Milburgh das Attentat auf mich verübte. Es ist so gewiß, wie ich hier stehe«, sagte Tarling.

      »Haben Sie denn irgendeine Ahnung, warum er Ihnen das Lebenslicht ausblasen wollte?« fragte Whiteside.

      »Nicht im mindesten. Aber offensichtlich war der Mann, der den Angriff auf mich machte, die ganze Zeit hinter mir her und hat mich beobachtet, wie ich mit Miss Rider durch die Straßen Londons fuhr. Als ich in das Hotel ging, hat er sein eigenes Auto entlassen und hat meinen Fahrer bezahlt. Ein Chauffeur ist immer zufrieden, wenn er nicht zu warten braucht und wenn er sein Fahrgeld bekommen hat. Später ist er dann hinter mir hergegangen, bis ich an einer einsamen Stelle der Straße war. Dort hat er zuerst etwas nach mir geworfen, dann hat er auf mich geschossen.«

      »Ich verstehe nur nicht, warum er das alles getan hat«, sagte Whiteside wieder. »Angenommen, Milburgh wußte etwas von diesem Mord – das ist aber immer noch sehr zweifelhaft –, welchen Vorteil hätte er, Sie aus dem Wege zu räumen?«

      »Wenn ich diese Frage beantworten könnte, dann könnte ich Ihnen auch sagen, wer Thornton Lyne ermordet hat.«

      Die letzten Nebelschwaden waren verschwunden, als Tarling am nächsten Morgen aus dem Fenster seines Schlafzimmers schaute. Die Straßen waren voll von hellem Sonnenschein durchflutet, und eine warme schöne Frühlingsluft stimmte die geduldigen Londoner nach den dichten Winternebeln froh und heiter.

      Tarling reckte sich und gähnte. Er freute sich seines Lebens. Dann kleidete er sich an und frühstückte. Ling Chu bediente ihn dabei.

      Der Chinese stand in seinem blauseidenen Gewand hinter dem Stuhl seines Herrn, goß Tee ein und legte eine Zeitung auf die eine Seite des Tisches, die Briefe auf die andere. Tarling hatte schweigend gegessen.

      »Ling Chu«, sagte er jetzt, »ich werde meinen Namen als Jäger der Menschen verlieren, denn dieser Fall gibt mir größere Rätsel auf als irgendein anderer.«

      »Herr«, erwiderte der Chinese, »in allen diesen Fällen kommt ein Augenblick, in dem man fühlt, daß man eine Pause machen und sich auf sich selbst besinnen muß. Ich selbst hatte