Piedro Vargas Koana

Obsession


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trüben Dämmerung werden die Entfernungen kleiner.

      Das restliche Licht lässt die Körper miteinander verschmelzen.

      Wenn ich nicht mehr nachdenke und mich fallen lasse,

      dann gehe ich auf in einer anderen Welt.

      Die Sterne - die Augen? - sie funkeln so klar.

      Die Nähe ihrer Körper ist aufrichtig und wahr.

      Das Rauschen der Wellen geht über in Klang,

      die Gefühle transzendieren in reinen Gesang.

      2

      Während ich den nächsten Brief schreibe, überlege ich. Ist das Gedicht zu heftig? Schließlich sage ich ganz deutlich, dass ich sie begehre, mit ihr verschmelzen will. Nein, höre ich meine brasilianische Stimme in mir. Mach´ weiter. Sei, wie du bist. Lebe deine Phantasie. Ich erinnere mich an unser Treffen im Café in Wiesbaden. Was hat sie alles gesagt? Ich greife die Stichworte auf.

      Du hast dich dafür interessiert, wo ich bin, wenn ich dir einen Brief oder ein Gedicht schreibe. Heute ist Samstag früh, die Sonne schimmert silbern durch eine leichte Wolkendecke hindurch, ein Sandelholz-Räucherstäbchen schenkt mir seinen Duft und Keith Jarrett spielt für mich sein Köln-Konzert. Und du bist in mir, mit deinen Schwingungen und deiner Reinheit und deiner Unschuld.

      Vielleicht kannst du die letzten Worte nicht verstehen. Wenn ich in Farben denke, dann bist du ganz viel weiß mit etwas blau. Umrahmt von brünettem Gestrüpp.

      Vor wenigen Tagen habe ich von dir geträumt. Seit einigen Jahren schreibe ich ein Traumtagebuch und halte Träume fest, die sich besonders anfühlen. Möchtest du meinen Traum kennenlernen? Er ist sehr intim. Ich schreibe ihn auf ein separates Blatt, so dass du entscheiden kannst, ob und wann du ihn lesen möchtest.

      Und nun muss ich dir etwas schreiben, das mich beschäftigt, verwirrt. Als ich mein Tagebuch der Träume aufschlug, um den Traum mit dir noch einmal nachzulesen, bekam ich eine Gänsehaut. Ich habe dort einen Traum festgehalten, den ich vergessen hatte. Meine Mutter fiel von einem Steg ins Wasser. Sie tat sich weh. Sie ging nicht unter. Sie kam wieder heraus. Bin ich überreizt? Interpretiere ich zu viel hinein? Der Traum war am 5. September, also etwa vier Wochen vor dem Herzinfarkt meines Ziehvaters, an dem er verstarb.

      3

      Anja hat geschrieben! Ihr erster Brief! Und letzte Woche haben wir lange miteinander telefoniert. Sie war in Südafrika und hatte dort ein Stopover. Meine Traumnotizen zum Tod meines Vaters interpretierte sie als Vorahnung. Sie selbst wäre beim Tauchen schon fast einmal ertrunken und hätte ein Nahtoderlebnis gehabt. Sie berichtete, dass sie in zwei Welten gewesen sei. Im Hier und nicht im Hier, im Jetzt und nicht im Jetzt: irgendwo anders. An der Schwelle zum Tod würden sich die Wahrnehmungen kolossal verändern. Mit Worten sei es schwer zu beschreiben. Aber es fühle sich gut und richtig an. Als sie am Strand wiederbelebt wurde, wehrte sie sich dagegen. Sie hätte den Eindruck, dass sie gehen müsse und ihre Seele schon eine andere Sphäre ihres Seins erreicht hätte.

      Brief und Telefonat waren gut! Sie nimmt mich so, wie ich bin. Wir hätten nicht so vertraut miteinander telefonieren können, wenn sie mir etwas übelgenommen hätte. Ich wundere mich ein wenig. Der Traum ist nur vordergründig mystisch. Fast banal. Eigentlich ein Klartraum.

      Anja im Traum

      Ich war in einem schlichten, einfachen Zimmer. Es könnte eine Mönchszelle in einem Kloster gewesen sein. Sie war zum Schlafen gedacht und sollte durch nichts ablenken. Ich glaube, ich war dort zum Meditieren.

      Dann ging ich in einen großen Raum. Jemand trug einen Plattenspieler herein, der bereits Musik spielte. Ich regelte am Verstärker die Lautstärke und genoss eine wundervoll klare und reine Musik.

      Ich ging ins Freie. Vor mir lag ein Feld von glühender Kohle. Dahinter hast du auf mich gewartet und die Arme nach mir ausgestreckt. Ich ging über die Kohle zu dir. Du nahmst meine Hände und schautest mir lange in die Augen. Dann gingen wir gemeinsam weiter.

      4

      Die Anja. So endet ihr Brief. Kein Gruß, kein Kuss, nur sie. Dafür aber Gedanken und Gefühle, die mich tief berühren. Im letzten Telefonat hat sie mir berichtet, dass sie umgezogen sei. Sie machte eine Andeutung, die ich aber nicht hinterfragte. Ich habe das Gefühl, dass es Themen gibt, die ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht ansprechen darf. Mein scheuer Schmetterling. Eine andere Andeutung hingegen schien mir die Einladung zu einem Treffen zu sein. Ganz vorsichtig nahm ich hier die Fährte auf und hatte Glück. Ja, ich könnte sie besuchen. Sie nannte mir eine Adresse in Darmstadt.

      Wir hatten 17.30 Uhr vereinbart. Dieses Mal bin ich pünktlich und klingele an ihrer Tür. Sie öffnet und hat wieder diese schiefe Kopfhaltung. Derselbe Eindruck wie beim ersten Treffen: Sie mustert mich. Das Ergebnis scheint ihr zu gefallen.

      „Komm´ herein.“ Sie führt mich in ihr Wohnzimmer. Es ist spartanisch eingerichtet. Sie deutet auf ein Sofa. „Für dich.“

      Drei Meter von mir entfernt setzt sie sich im Lotussitz auf den Boden. „Wir haben während unserer Telefonate auch über Meditation gesprochen. Was du von mir noch nicht weißt: Ich meditiere jeden Tag, genau um 18.00 Uhr. Es gibt einen Guru, dem ich verbunden bin. Seine Schüler, zu denen auch ich gehöre, meditieren immer genau um diese Zeit. Gemeinsam.“

      Ich nicke. Atemlos habe ich ihr zugehört. Diese Einladung empfinde ich als einen großen Vertrauensbeweis. Wieso soll ich auf dem Sofa sitzen? Nur ich weiß, dass ich nicht besonders gelenkig bin. Kennt sie mich schon so gut?

      „Gut. Dann meditiere ich mit dir.“

      Sie nickt und schließt die Augen.

      Im Raum ist es still. Das Haus steht in einer Nebenstraße, so dass man auch keinen Straßenlärm von fahrenden Autos hört. Nach wenigen Sekunden zieht mich mein Mantra in diesen besonderen Zustand hinein, in dem ich Zeit und Welt und alles vergesse. Sogar Anja. Nun kommt sie mir doch in den Sinn. Das Mantra schiebt sie wieder weg. Ich schwebe auf den Wellen eines Ozeans und tauche mit jeder Bewegung tiefer in meinen Trancezustand ein. Die Minuten verstreichen. Ein goldenes Glücksgefühl breitet sich in meinem Körper aus. Schwere. Wärme. Ich bin durchflutet von einer warmen Welle von Glück.

      Doch plötzlich wird diese Wärme unfassbar heiß. Direkt vor mir im Raum steht eine Feuersäule und scheint mich zu verbrennen. Erschreckt reiße ich die Augen auf.

      Genau in diesem Moment öffnet auch Anja ihre Augen. Leise sagt sie: „Hast du es auch gesehen?“

      Betroffen und verwirrt nicke ich und frage mich: Was war das?

      Sie scheint die Frage gehört zu haben.

      „Eine Energie. Wir.“

      Elegant und mühelos erhebt sie sich aus ihrem Lotussitz, als ob sie schwerelos sei.

      Anja schaut mich durchdringend an und steht direkt vor mir. „Wir werden uns wiedersehen. Bitte geh´ jetzt.“

      5

      The day after. Die Feuersäule hatte mich im Traum noch einmal besucht. Der Tanz eines Derwischs. Feuer. Anja. Ich.

      Lange liege ich am nächsten Morgen im Bett und sinne über dieses esoterische Erlebnis nach. Bin ich es? Der Traum zu meiner Mutter. Sehe ich in die Zukunft? Wird dann auch der andere Traum mit Anja Wirklichkeit werden? Oder ist es Anja, die diese Feuersäule ausgelöst und mich in ihren Bann gezogen hat? Fragen ohne Antworten.

      Ich schreibe ihr.

      Vielleicht sind es nur die vielen kleinen Dinge, die - wenn alles andere stimmt - das wirklich Große ausmachen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich mich über deinen letzten Anruf sehr gefreut (und deinen Brief habe ich schon ganz schön oft in den Händen gehabt).

      Liebe Anja, je vertrauter du mir wirst, umso stärker empfinde ich das Gefühl, dich bereits zu kennen. Und je vertrauter du mir wirst, umso mehr Fragen stellen sich mir. Wer bist du? Wo sind wir uns schon einmal begegnet? In welcher