Martin Francis Forster

O Samael


Скачать книгу

sie, die Menschen: belogen werden; einjeder auf seine eigene Weise. Jedem die Lüge, die er brauchte.

      All das wusste ich nicht. Und es sind auch nicht meine eigenen Worte,­ die ich hier wiedergebe. Ich bin nicht so verblendet, so selbstverliebt, dass ich Derartiges über mich selbst würde behaupten wollen. Ohnehin klingen diese pathetischen Worte ziemlich übertrieben und sind bei genauerer Betrachtung nur wenig schmeichelhaft für mich.

      Nein, Pathos und schwülstige Theatralik sind die sprachlichen Werkzeuge des Teufels, und er selbst, ständig schwankend zwischen bissiger Häme und einem besessenem Hang zur Dramatik, hat mir einen Teil des verbrämten Geschwafels in die Feder diktiert.

      Und manches wurde mir von dem unschuldigsten Menschen der Welt, dem ich einst unendliches Leid zugefügt habe, auf die Stirn zugesagt.

      Ich möchte hier lieber erzählen von dem Anderen, dem Verborgenem, dem Dunklen in mir, das ich unsichtbar wähnte ­

      für alle, die mir begegnen sollten, und das sich – wenn überhaupt – allenfalls in der Narbe offenbart, die ich als unverhohlene Warnung, wenngleich sie bislang jedermann in den Wind schlug, wie eine Prophezeiung mit mir trage.

      »Deine Lippen lügen wortlos, doch die da ...«, und liebevoll strichen blasse Finger über die alte Wunde, ehe die müde Hand erschöpft zurück sank, »die da verrät dich, wenn man nur Willens ist, hinzuschauen.«

      Dann hatten die trüben Augen sich abgewandt und der Blick war in die Ferne geschweift, als könnte er von irgendwo dort auf Hilfe hoffen.

      Im herben Widerspruch zu meinem makellosen Gesicht steht diese Narbe daumenlang auf meiner rechten Wange. Sie ist die Signatur der ersten Nacht meines Lebens, als ich von Reitstiefeln getreten über den nassen Boden glitt, als der Teufel mich zwischen seine schwarzen Flügel nahm und für den frisch geschlossenen Pakt einen Blutzoll verlangte, und sie schmälert meine Anziehungskraft nicht einen Deut. Ganz im Gegenteil: der Teufel hatte mir ein Geschenk gemacht, das mir Zeit ­meines Lebens jene Spur von Verwegenheit verlieh, die aus dem Schönling einen Mann macht und ihn dadurch über den Feigling erhebt.

      Diese Narbe legt Zeugnis ab von allgegenwärtiger Gefahr, mahnt düster an die Sterblichkeit, raunt hinter vorgehaltener Hand Geschichten über die Hölle, erzählt sogar von Beelzebub selbst. Doch die Rufe der Kassandra – als wäre es je anders gewesen! – verhallen ungehört; denn ja, es stimmt, meine Lippen lügen ­ohne­ zu reden, und neben meinem Lächeln verstummt der Narbe Warnung.

      Als wollte er zeigen, dass ab hier sein Herrschaftsbereich begann, hatte der Schreiner einen Fuß auf den alten Grenzstein vor seinem Hof gestellt. Holzstaub ließ sein Haar im Licht der untergehenden Sonne goldgepudert erscheinen, und Hemd und Hose waren von oben bis unten mit Spänen bedeckt. Das gefiel mir.

      »Du siehst aus, als könntest du ordentlich zupacken.«

      Es war ganz offensichtlich die Narbe, die ihn zu dieser Schlussfolgerung verleitete.

      »Nun gut. Sechs Jahre geht der Bub bei mir in die Lehre, dann sehen wir weiter.«

      Er spuckte sich in die schwielige Pranke, hielt sie meiner Großmutter hin, und sie schlug ein.

      »Er steht nun unter deiner Obhut, Esau«, sagte sie mit steifer Miene. »Jetzt bist du in der Pflicht. Behandle ihn gut oder tritt ihn. Aber achte auf ihn, und sieh zu, dass aus ihm etwas Gescheites wird!«

      Sie ging davon, ohne mich noch einmal anzusehen. Ich stand allein mit dem Meister vor dem Tor.

      Der Oktober neigte sich dem Ende zu, und an den Bäumen hing das letzte bunte Laub, als des Schreiners Heim auch zu meinem wurde.

      Ein wenig unbeholfen strich er mir durchs Haar.

      »Komm mit, Junge! Ich zeig dir deinen Platz.«

      *

       II

      Mein Platz war in der Kammer neben der Küche. Der kleine Raum war im Sommer angenehm kühl und im Winter wegen des Ofens hinter der Wand immer mollig warm. Im Herbst wurde die Matratze mit frischem Stroh und das Kissen mit neuen Federn gestopft. Es war ein guter Platz, auch wenn die Kammer so eng war, dass kaum das schmale Bett hinein passte. Mehr brauchte ich nicht. Bei Tag arbeitete ich in der Werkstatt, gegessen wurde gemeinsam mit der Familie in der Küche, und zum Schlafen zog ich mich in mein kleines Himmelreich zurück. Jeden Abend gab es einen großen Kanten Brot, ausreichend Schmalz mit Schweinespeck und immer eine kräftige Suppe.

      Trotz seiner strengen Miene war Meister Esau ein ruhiger und gutmütiger Mann, der seine Töchter über alles liebte. Von Natur aus groß und breitschultrig, ging er doch meist gebeugt, so als drückte ihn ein Kummer, was, wie mir Ida einmal erzählen sollte, mit dem frühen Tod seiner Frau zusammen hing. Ich habe den Meister selten lachen hören, doch wenn wir zum Nachtmahl in der Küche um den Tisch saßen und er seine drei Töchter betrachtete, dann strich oft ein Lächeln über sein Gesicht – ein schwermütiges Lächeln allerdings, in das sich die Trauer über seinen Verlust mischte. Elena-Maria, Katharina-Maria und Ida-Maria mussten jede auf ihre Weise ein Abbild der toten Mutter sein, denn anders als der Vater waren sie zierlich, anmutig und großäugig. Jeden Tag gleich dreifach an sein Unglück erinnert zu werden, jeden Tag aufs Neue, schien mir ein hartes Los für diesen Mann zu sein, was seine Liebe zu ihnen jedoch keinesfalls minderte, sondern ihr im Gegenteil eine besondere Innigkeit verlieh. Er behütete die Mädchen wie seinen Augapfel, und abends, wenn sie in ihren Betten lagen und schliefen, zog er die große Standuhr in der Küche auf, und von meinem Lager nebenan hörte ich ihn dabei mit dem Lieben Gott reden; dass dieser die Güte besitzen möge, seine Töchter auf allen Wegen zu begleiten, sie zu beschützen und alles Leid von ihnen fern zu halten.

      So nachsichtig der Meister mit mir war, so sehr forderte mein eigener Eifer mir alles ab, was ich geben konnte und oftmals gar mehr. Beinahe verbissen stürzte ich mich auf jede Arbeit, die Meister Esau mir zuwies und sog alles, was er mir sagte, zeigte und beibrachte, begierig in mich auf.

      Abends fiel ich erschöpft, aber froh in mein Bett und war bereits eingeschlafen, bevor auch nur ein einziger Gedanke in meinem Kopf zu Ende gedacht werden konnte. Tagsüber schwang ich den Besen, kehrte Holzspäne zusammen, schichtete Bretter, lernte Raubank, Falzhobel und Ziehklinge zu unterscheiden. Mit dem Fuchsschwanz hatte ich daheim schon oft gearbeitet, Fein- und Gratsäge jedoch waren mir neu. Nicht lange, und ich durfte Geißfuß, Fäustel und Stechbeitel an minderwertigen Reststücken ausprobieren, um die Eigenheiten der vielen unterschiedlichen Holzarten zu erfassen. Die Kiefer war sanft und nachgiebig, weich und federnd, freundlich und unterwürfig. Die Birke roch aromatisch. Die Eiche widersetzte sich nur vordergründig und wollte eigentlich genommen werden. Bei der Kirsche musste man mit fester Hand vorgehen, sonst entzog sie sich dem Griff und ging ihren eigenen Weg.

      «Holz lebt, und jedem noch so kleinen Stück wohnt ein wenig von der Seele des Baumes inne. Finde die Seele, und du kannst mit dem Holz machen, was immer du möchtest«, lehrte Meister Esau mich.

      Manchmal schnitt ich mich oder rutschte mit der Feile ab und rieb mir die Fingerkuppen blutig. Einmal sägte ich mir so tief in den Daumen, dass Elena mir einen Verband aus Leinen anlegen musste.

      Der Meister lachte darüber nur. »Das gehört dazu«, meinte er. »Sonst begreifst du es nicht recht.«

      Zum Glück verheilten die kleinen Wunden immer schnell, und mit jedem Tag wurden meine Finger geschickter im Umgang mit den Werkzeugen und dem Material. Irgendwann tischlerte ich meinen ersten Schemel, ein unscheinbares Möbel aus einer runden Holzscheibe und drei gedrechselten Füßen – einfach und ohne Schnörkel. Dann einen Hocker mit verzapften Querstreben, später eine Kassette, eine Schmuckschatulle und, als ich besser wurde, sogar ein Schränkchen, das mit einfach geschmiedeten Beschlägen versehen war und bald einen Käufer fand, was mich stolz machte.

      Dank meiner guten Auffassungsgabe begriff ich schnell, worauf es ankam, verstand, welche Öle die Oberflächen zum Leuchten bringen konnten, erkannte, welche Pasten aus Wurzeln und Wachs die Holzstruktur am besten hervor hoben. Man musste mir eine Sache nur einmal zeigen, schon sah ich, was zu tun war und konnte