Gert Podszun

Apostelchips


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die jetzige Wohnung gefunden. Die Vermieterin, eine junge verwitwete Frau, Tanja Wieland, war recht sympathisch und hatte ihm das Gefühl vermittelt, dass sie ihn wertschätzte. Sie war nicht nur seine Vermieterin, sondern auch Geschäftsführerin einer Drogerie. Die hieß Drosan.

      Nach dem vertraulichen Gespräch mit seinem Chef hatte Jens den Eindruck, dass er nun langfristig im Unternehmen weiter arbeiten können würde. Er hatte augenscheinlich das nachhaltige Vertrauen seines Chefs gewonnen. Seine Gedanken galten dem vergangenen Tag. Er blickte zurück. Steig hat mich gebeten, quasi einen Kollegen zu überwachen.

      Das beschäftigte Jens an diesem Abend besonders. Er lag rücklings auf der Bettdecke und ließ sich das Gespräch mit Steig erneut durch den Kopf gehen. Er hatte drei Aufträge erhalten, die ihn stark fordern würden. Nach einer Dusche beschäftigte er sich mit den Unterlagen von Doering und Kuszynski. Im Radio, das neben ihm stand, gab es gerade einen Bericht über Aufstände in Nordafrika und allgemein über die Problematik der weltweiten Migrationen. Natürlich auch die Finanzkrise. Diese betraf aber nicht die armen Länder. Nabelschau über vergangenes Versagen. Politik oder Schuldentherapie.

      Erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit so ein Sender wieder zu flotter Musik übergeht, dachte er und blätterte weiter in seinen Unterlagen. Mitten in seine Gedanken lenkte ihn das Telefon ab.

      „Guten Abend, Herr Jens, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie nach Feierabend noch störe, Wieland hier.“

      „Guten Abend, Frau Wieland. Brennt irgendetwas?“

      „Nein, nein, so schlimm ist es nicht. Ich habe eine kleine Überraschung für Sie. Erinnern Sie sich an dieses Weinangebot, über das wir vor wenigen Tagen gesprochen haben, als diese Winzerwerbung ins Haus kam?“

      „Stimmt, das war ein sehr interessantes Angebot.“

      „Also, ich habe einfach etwas bestellt. Heute ist es geliefert worden. Ich würde den Wein gerne mit Ihnen probieren. Hätten Sie Zeit und Lust?“

      Jens zögerte nicht lange. Eine Ablenkung von den Unterlagen kam ihm sehr entgegen. Er nahm die Einladung zur Weinverkostung an und überlegte, was er als Gastgeschenk mitnehmen könnte. Er nahm ein kleines Buch über Humor aus seinem Bücherregal, schaute sich in dem großen Spiegel im Schlafzimmer an, zupfte an seiner Kleidung und besuchte seine Vermieterin. Sie wohnte im Erdgeschoss des gleichen Hauses.

      Tanja Wieland war als Erbin des Gebäudes die alleinige Besitzerin. Sie empfing Jens freundlich mit einem verschmitzten Lächeln. Er freute sich über ihr strahlendes Gesicht. Erneut fielen ihm die Grübchen in ihren Wangen auf. Das dunkelblonde Haar fiel in leichten Wellen bis auf ihre Schultern. Sie trug praktische Kleidung, Jeans und eine großzügig geschnittene helle Bluse. Ihre Füße waren nackt.

      „Schauen Sie. Der Wein ist heute tatsächlich angekommen. Der Winzer liefert nur in ziemlich langen Abständen, wahrscheinlich auch, damit sich die Mengen wegen der Transportkosten lohnen. Willkommen, Herr Jens.“

      „Vielen Dank für die spontane Einladung, Frau Wieland. Ich habe Ihnen eine Kleinigkeit mitgebracht. Ach, da stehen ja die Weinflaschen!“

      Im Flur sah er vier Kisten. Sie nahm ihm das dargebotene Buch ab.

      „Ich habe von dem Weißen schon etwas kühl gestellt. Den sollten wir zuerst probieren. Vielleicht gefällt er Ihnen ja.“

      „Bei Gefallen würde ich schon gerne zugreifen. Die Empfehlung war ja schließlich von ihrem Lieblingsgastwirt vom Gasthof Kanapee bestätigt worden.“

      „Das stimmt. Also frisch zur Tat! Hier sind die Gläser. Ich nehme eine Flasche aus dem Kühlschrank in den Kühler. Füllen Sie die Gläser?“

      „Gerne.“

      Jens nahm die Flasche aus dem Kühler und schenkte ein.

      „Sie haben ja noch gar nicht gekostet.“

      „Leichter Fehler, aber ich habe Vertrauen in die Empfehlung. Darf ich das Glas auf Ihr Wohl erheben?“

      „Das ist das Wichtigste.“

      Sie nippten, nippten noch einmal und nahmen je einen Schluck.

      „Überzeugt!“, meinte Frau Wieland.

      „Schließe mich an.“, ergänzte Jens.

      Sie setzten sich erst jetzt an den Tisch.

      „Sie sind jetzt ja schon über drei Jahre hier in Hannover. Haben Sie sich gut eingelebt?“

      „Doch, es gefällt mir ganz gut hier. Als Manager muss man ja heutzutage mobil und flexibel sein. Außerdem habe ich in der Firma ein spannendes Arbeitsfeld gefunden, was sich für mich noch attraktiver gestaltet, als ich anfänglich gedacht hatte.“

      „Gibt es Neuigkeiten?“, wollte Wieland wissen.

      Jens hob sein Glas und lächelte.

      „Es gibt ja immer Neuigkeiten, aber im Moment gibt es ganz besondere.“

      „Darf man als Außenstehende davon erfahren?“

      „Es ist noch nicht an der Zeit. Wenn die Publikationen allgemein verfügbar sein werden, können wir gerne darüber sprechen. Ich darf jetzt noch nicht darüber reden.“

      „Das leuchtet mir ein.“

      „Dieser Wein spricht mir sehr zu.“, lenkte Jens das Gespräch auf den eigentlichen Anlass der Begegnung um und erkundigte sich, ob er eine Kiste davon abkaufen könnte.

      "Selbstverständlich, sonst hätte ich nicht so viel bestellt."

      Ihr weiteres Gespräch führte sie zur Bewertung von verschiedenen Gaststätten und Restaurants in der Stadt. Viele kannten sie aus eigener Erfahrung von Besuchen, die sie jeweils alleine vorgenommen hatten. Wieland erwähnte die Weinstube Kanapee mehrfach und lobte sie wegen ihrer guten Weine und der angenehmen Atmosphäre.

      „Wäre doch schön, wir könnten hin und wieder gemeinsam eines der Lokale besuchen.“, meinte sie. Dagegen hatte Jens keinen Einwand und öffnete fast automatisch eine zweite Flasche von dem Weißen.

      „Ich freue mich, dass wir die Empfehlung dieses Winzers angenommen haben. Es ist einfach ein Genuss.“

      Jens wälzte den Wein auf seiner Zunge.

      „Von dem Roten würde ich auch noch eine Probe nehmen.“, meinte Wieland und schaute Jens beim Eingießen zu. Sie hielt ihr Weinglas in der Hand wie eine Reliquie, still, fast andächtig in der Erwartung einer neuen Botschaft. Tief ging ihr Atem. Wärme stieg in ihre Hand.

      „Dieser Rote wird etwas für Erwachsene sein.“, bestätigte Jens ihre letzte Bemerkung, nachdem er den Duft des Weines aufgenommen hatte. Sie kosteten gemeinsam. Der angenehme Geschmack bestätigte ihre Hoffnung auf einen erlesenen Genuss und verband sie in ihrer Erwartung. Irgendwann glitt die rechte Hand von Jens auf den Oberschenkel seiner Gastgeberin. Sie nahm die Berührung wohlig an.

      „Nenne mich Tanja, bitte.“

      Ihre Wärme ging auf Jens über. Tropfen roten Weines vereinten Haut und Lippen. Die Lobessprüche über den Wein. Die gute Empfehlung. Der hinter ihm liegende Tag. Der Auftrag vom Chef. Die Wärme der Begegnung, der neuen Begegnung. Die süße Verborgenheit. Dieses wachsende Geheimnis einer neuen Innigkeit.

      Er wiederholte ihren und seinen Vornamen mit den Lippen auf ihrer Haut. Den Wein würde er später abholen. Seinen Anteil des Einkaufs.

      Der Mond hatte seinen Platz am Himmel eingenommen. Fahle Lichtschatten fielen in das Wohnzimmer der Wohnung von Frau Wieland. Sie hatte anstelle des elektrischen Lichtes ein paar Kerzen aufgestellt. Manchmal sendet der zunehmende Mond Lichter, die sich als Botschaft auf die Gesichter zeichnen. So sanft, so lieb und einmalig in der gelebten Zeit. Warm ist es nicht, das Mondlicht. Dennoch kann man ihm Wärme anglauben, zutrauen, hinwünschen. Die Wärme der Zweisamkeit. Tanja gab dem aufkeimenden Licht einen Weg, dem Dieter nur folgen konnte. Enthoben vom gewesenen Tag packte er dieses Licht in sein Leben. In sein neues Leben.