Gert Podszun

Apostelchips


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entgegen und begrüßte Jens:

      „Tolle Zeiten kommen auf uns zu. Widmen wir uns der Zukunft!“

      „Wer etwas Neues schaffen will, muss etwas Altes zurücklassen oder gar zerstören.“

      „Das habe ich auch irgendwo gelesen, aber es ist etwas dran an diesem Spruch. Was können wir zusammen tun?“

      „Herr Steig hat ja bekannt gegeben, dass wir kundenseitig neben dem medizinischen Bereich den der Chemie- und Pharmaindustrie zu betreuen haben. Wegen des hohen Bestandes an digitalen Geräten hat sich dort ein neuer Schwerpunkt ergeben. Der liegt in der Entsorgung veralteter Geräte. Das ist ein neuer wachsender Markt. Dort wird die Kontrolle der entsorgten Materialien eine immer größere Bedeutung haben. Unsere Geräte können dort einen wichtigen Beitrag leisten.

      Sie haben ja bereits im Feldversuch Geräte aus der Null-Serie bei Kunden installiert. Mich würde interessieren, was Sie bis jetzt an Erfahrungen gesammelt haben.“

      Doering genoss es, gefragt zu werden. Er legte die Fingerkuppen seiner beiden Hände aufeinander.

      „Bevor Sie oder wir uns hier der Idee hingeben, dass wir mit unseren Sensoren und Geräten den Medizinern und deren Patienten helfen, müssen wir Folgendes vergegenwärtigen:

      Kliniken sind auch Unternehmen, keine sozialen Einrichtungen. Sie suchen ständig nach Möglichkeiten zur Kostensenkung. Mit unseren Geräten können sie erreichen, dass einige Diagnosen automatisch auf der Basis von Blutanalysen erstellt werden. Das erspart langwierige Laborarbeiten.“

      Doering lächelte wissend in sich hinein.

      „Die Palette der Analysemöglichkeiten unserer Geräte deckt den Bedarf meiner Zielgruppen breit ab. Die Genauigkeit der benötigten Messungen kann feinstens justiert werden. Besser als bisher. Über die in den Messgeräten integrierte Spektralanalyse werden die einzelnen Substanzen eindeutig identifiziert und in einer übersichtlichen Darstellung ausgegeben. Damit können natürlich automatisch Diagnosen erstellt werden. Die bisherigen Ergebnisse aus den Feldversuchen sind sehr zufriedenstellend und bilden die Voraussetzung für das zukünftige Marketing. Es gibt auf dem Markt nichts Besseres.“

      Doerings Hände arbeiteten wie eine Pumpe, indem die Fingerkuppen immer noch zusammen waren und die Handflächen rhythmisch gegeneinander gedrückt wurden. Jens dachte spontan an die Bewegungen von Quallen. Doering blickte immer wieder nach unten. Quasi unter sich. Jens konnte keinen direkten Augenkontakt finden. Doering sah Jens nicht in die Augen. Er berichtete weiter über die Leistungsfähigkeit der Geräte im Feldtest und wies darauf hin, dass hier ein riesiges Marktpotenzial zu erobern sei. Er pumpte weiter Luft mit seinen Händen. Während seiner weiteren Erklärungen wurde Jens über die Lautsprecheranlage angerufen. Es hallte. Lautsprecheranlagen sind kalt, metallen und fühlen sich grau an. Jens fröstelte unter dem unpersönlichen Klang. Er konnte sich daran einfach nicht gewöhnen.

      „Herr Jens, bitte zu Herrn Steig, Herr Jens, bitte dringend zu Herrn Steig.“

      Lautsprecher haben keine Augen. Jens fühlte sich durch die Lautsprecher beobachtet.

      9

      Steig hielt den Telefonhörer noch am Ohr, als Jens in sein Büro kam.

      „Ja, selbstverständlich kümmere ich mich persönlich um diese Angelegenheit, Herr Direktor. Natürlich, Herr Direktor!“

      „Soll ich draußen warten, Herr Steig?“

      Steig legte auf.

      „Nein bleiben Sie bitte unbedingt hier. Ich brauche Sie jetzt. Das Gespräch mit diesem Direktor war nicht gerade erfreulich. Nehmen Sie doch Platz. Ich habe ein paar Dinge mit Ihnen zu besprechen. Zunächst: Ich habe veranlasst, dass die besprochene Presseinformation über die neue Produktgeneration an die Marketingagentur ADCONSULT für Europa herausgegeben wurde. Ich rechne mit einer lebhaften Reaktion. Daher bitte ich Sie, sich um den Rücklauf zu kümmern. Sie werden mir darüber berichten. Darüber hinaus will ich Sie jetzt über ein von mir gestartetes Geschäft informieren. Sie kennen doch sicherlich die McCartinson Corporation aus Hartfort, Connecticut?"

      Er wartete nicht auf eine Antwort.

      „Paul McCartinson, der Inhaber, ist mittlerweile ein guter Freund von mir. Wir haben uns vor vier Jahren auf einer Fachmesse kennen gelernt. Der verträgt vielleicht einen Stiefel Whisky, kann ich Ihnen sagen. Da gibt es eine nette Geschichte, die ich Ihnen lieber später erzählen werde. Jetzt aber gibt es Wichtigeres.“

      Steig lehnte sich genüsslich in seinem Sessel zurück und holte mit seinen Armen seitlich aus, fuhr mit seinen Händen über seinem Kopf durch die Luft hoch und stützte zuletzt seinen Hinterkopf mit seinen Händen.

      „Seine Firma benötigt eine große Menge Messgeräte und Sensoren für den amerikanischen Markt. In der Medizin und vielleicht auch noch anderswo. Wir haben schon lange darüber verhandelt. In diesen Tagen hat er mich darüber informiert, dass wir als Hauptlieferant infrage kommen. Er ist sogar noch etwas weiter gegangen und hat sich ein Bild über die Versorgungslage mit Seltenen Erden, die für unsere Produktion benötigt werden, gemacht und selbst einen Vertrag ausgehandelt, um an einer Lagerstätte von Seltenen Erden direkt beteiligt zu sein. An diesem Vertrag haben wir, also unsere Firma, einen Anteil, weil wir mittelbar auch Vertragspartner sind. Will sagen, wir werden einen direkten Zugriff zu den Seltenen Erden haben.“

      Steigs Augen glänzten. Jens schaute fragend. Er wollte sich nach dem Standort oder der konkreten Lage der Mine erkundigen.

      „Also Jens, Sie sind ein wichtiger Leitender Angestellter in meiner Firma. Wenn Sie die Information, die ich Ihnen jetzt gebe, weitergeben sollten, sind Sie nicht mehr mein Mann. Und ich halte mein Wort. Ich gehe davon aus, dass die Versorgung mit Seltenen Erden in den nächsten Jahren nicht einfacher werden wird. Die Beschaffungsseite sieht zurzeit nicht besonders gut aus. Da gibt es eine untypische Wettbewerbssituation. Dagegen habe ich vorgebeugt. McCartinson und ich haben einen letter of intent auf ein Schürfungsgebiet in Kanada. Wir werden einen eigenen Zugang zu den Rohstoffen haben.“

      Jens nickte anerkennend:

      „Das nenne ich Voraussicht!“

      Steig dachte an die letzte Nachricht von Li Mei, schaute an die Decke des Raumes und gab sich nur eine kleine Pause.

      „Das bedeutet, dass seine Firma unter Berücksichtigung dieser Verbindung in der Rohstoffbeschaffung auch in Zukunft unsere Geräte kaufen wird, falls die erste Sendung zufriedenstellend ausfällt. Vielleicht gibt es die Chance für exklusive zusätzliche Anwendungen. Aber reden wir erst einmal vom ersten ausstehenden Auftrag. Das wäre alleine schon ein Volumen von - warten Sie mal…“

      Er schloss für einen Moment die Augen.

      „…noch in diesem Jahr zwanzig Komma sechs Millionen Dollar. Und das bei guten Deckungsbeiträgen. Was sagen Sie dazu?“

      Jens war auf diese Frage nicht gefasst. Er fand es nicht angebracht, ein Lob zu äußern, sondern setzte diesen Betrag ins Verhältnis zum Jahresumsatz des Vorjahres.

      „Das sind ja über drei Prozent vom Gesamtumsatz eines Jahres! Zusätzlich! Und das im ersten Jahr mit einem neuen Kunden!“

      Steig streckte sich, und verlieh damit seiner gesteigerten Freude Ausdruck. Er nahm wieder eine normale Sitzhaltung ein, warf einen Blick auf die auf seinem Schreibtisch liegende Umsatzstatistik, nickte Jens zustimmend zu und erklärte:

      „Es fehlen nur noch ein paar formelle Überprüfungen, ob die Geräte auch die gewünschten Anforderungsprofile und Spezifikationen der amerikanischen Behörden erfüllen. Die dazu nötigen Testreihen werden in Frankreich durchgeführt. In Lille. Dort hat McCartinson eine kleine Tochtergesellschaft, die SudMet Sarl. Aber da sehe ich kein Problem.“

      Steig war ein Zupacker. Er wollte den Erfolg. Sein Gesicht zeigte Willen.

      Frau Essig trat in den Raum ohne anzuklopfen.

      „Wie wäre es mit einem Kaffee, die Herren?“, fiel ihre Stimme