Gernot Gottwals

Im Eifer deines Dieners


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      GERNOT GOTTWALS

      IM EIFER

      DEINES DIENERS

      Gewidmet allen Kunst-und Kulturschaffenden, Geistlichen – den echten ebenso wie den fiktiven an der Friedrich-Ebert-Anlage –, allen Frankfurtkennern und Krimifreunden, die in die dunklen Tiefen der Mainmetropole hinabsteigen wollen.

      Umschlaggestaltung und Satz aus der Caecilia: Andreas Gottselig unter Verwendung eines Fotos von iStockphoto.

      Im Eifer deines Dieners

      Gernot Gottwals

      published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

      Copyright: © 2014 Gernot Gottwals

      ISBN 978-3-8442-7978-8

      Prolog

       Oblast Swerdlowsk, 14. Juli 1921

      Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die klassischen Ideale der Mutter aller Revolutionen hatten ihre Gültigkeit längst verloren. Und was mit der Bastille in Frankreich begann, setzte sich nun mit den Kirchen und Klöstern im einstigen Zarenreich fort. Denn wo neue Unterdrücker die Massen ausbeuten und in den Hunger treiben, da schafft ihr Eifer auch neue Diener. Diener, die das Plansoll durch Plünderung und Brandschatzung erfüllen und unter den wahren Brüdern, den leiblichen wie den geistlichen, das Misstrauen und die nackte Angst schüren. Gefühle, die in der faktischen Geschichtsschreibung unberücksichtigt bleiben, und die doch zur Nährquelle von Geschichten und Legenden werden, die bis in unsere Tage fortwirken.

      Heiß und erbarmungslos brannte die späte Nachmittagssonne auf die trockenen Felder nieder, drohte die letzten Stoppeln zu versengen. Die nackte Angst um die Ernte und das Überleben trieb die Bauern über die Felder, ließ sie in Scharen zur Abendmesse ins nahe Prophet-Elias-Kloster strömen, etwa 120 Kilometer nordwestlich von Jekaterinburg, das später Swerdlowsk heißen sollte. „Gospodi! Poschli doschd na naschu zemlju!“ (Herr, gib unserem Land Regen!) Verzweifelte Bet- und Hilferufe drangen zum Himmel, während die Mönche drinnen die Liturgie vorbereiteten. Es war das dritte Jahr des Russischen Bürgerkrieges, der seinen gnadenlosen Tribut forderte. So kurz vor dem dritten Jahrestag der Ermordung der Zarenfamilie war die Gier nach Orden unersättlich, ließ der Wodka- und Blutrausch Menschen zu Raubtieren werden.

      Denn nahe der Stadt, in der die Zarenfamilie den Tod gefunden hatte, gab es noch Rückzugsgebiete gläubiger Christen, die hinter der Mutter Kirche standen und sich den neuen Machthabern verweigerten. Die Mission des Patriarchen Tichon, Kirchengut vor dem Zugriff der Kommunisten zu schützen, war gescheitert. Als sei die Dürre nicht schon schlimm genug, quälten die Ordensgemeinschaft nun weitere Sorgen: Schon seit Wochen gingen Gerüchte um, die marodierende Soldateska der Rotgardisten habe es auf die ländliche Region mit ihren sibirischen Holzklöstern abgesehen. Verzweifelt versuchten die Mönche nun, die Ikonen und vor allem die Vorräte an Lebensmitteln im Kloster des Propheten Elias zu sichern. Denn im einstigen Zarenreich plagte eine erbarmungslose Hungersnot die Menschen. Der Teufelskreis aus Dürre, Krieg und Misswirtschaft zog Millionen von Menschen in seinen grausamen Bann, der geradewegs in den tödlichen Abgrund führte.

      Gegen 18 Uhr beschwor Abt Simeon ein letztes Mal die Gottesmutter, während die Gläubigen bereits ungeduldig in die Kirche drängten, wo sie die dargebotenen Heiligenbilder der Nothelferinnen mit ihren huldvollen Küssen überschütteten. Maria, Katharina und Barbara sollten wenigstens den lange ersehnten Regen bringen! Der Goldgrund der mächtigen Ikonostase funkelte im Schein der Kerzen, die die geschnitzten Holzwände des Klosters erleuchteten. Der Duft des Weihrauchs und die schweren erhabenen Klänge der orthodoxen Gesänge lagen in der Luft, als plötzlich die Türen der Kapelle aufgestoßen wurden. „Stojte! Eto swjatoje mesto. Wchod wospreschtschjon!“ (Halt! Das ist ein heiliger Ort! Zutritt verboten!) Die abwehrenden Rufe des Abtes verhallten ohne Wirkung. Erschreckte Schreie und Stoßgebete vermischten sich mit lautstarkem Männerjohlen, der Pulvergestank erster Salven überdeckte den süßlichen Weihrauchduft. Major Jurij Bocharin führte die Garde des Terrors an, die scheinbar wahllos in die Menge schoss, während einzelne Soldaten die Ausgänge abriegelten und die Mönche Richtung Schatz- und Vorratskammern trieben. Bocharin selbst befahl dem Abt, ihm die wertvollsten Ikonen herauszugeben. Doch der gewitzte Gottesmann gedachte keineswegs, zu kapitulieren und die Schätze des Klosters widerstandslos den Gottlosen zu überlassen. Was in dem erbarmungslosen Kampf zwischen ihm und dem Major wirklich geschah, bewegt sich bis heute zwischen Wahrheit und Legende. Am Ende ging das Kloster in einem Meer von Flammen auf, bevor die Bolschewiki in das nahegelegene Dorf stürmten. Das trockene Holz der russischen Blockhäuser brannte wie Zunder, verwandelte sich in eine alles verzehrende Todesfalle. Der Terroreinsatz geriet zum Himmelfahrtskommando – eine Himmelfahrt unter der feurigen Regie des Propheten Elias.

      Die menschlichen Schicksale, die sich hinter diesem grausigen Massaker verbergen, blieben im geduldigen Papier der KGB-Akten unerwähnt. In den Dokumenten der Geheimpolizei Tscheka (die später in den KGB überging) fand sich nur ein kurzer Vermerk über die Ereignisse im Prophet-Elias-Kloster: 20 orthodoxe Mönche liquidiert, zahlreiche Lebensmittel und Kirchengüter konfisziert. Geschätzter Wert: mehrere Tausend Rubel. Widerstand gegen eine Sympathisantengruppe der Dorfreaktionäre gebrochen. Ende der Aktennotiz. Kein Wort von dem Zwischenfall mit der strahlenden Jungfrau Barbara, die bei der Operation Elias verlorenging. Oder mit der jemand durch irgendwelche dunklen Kanäle abtauchte. Und kein Wort von den Menschenleben, die diese einmalige Ikone forderte – und noch fordern sollte.

      Dabei kursierten im benachbarten Dorf recht bald erste Gerüchte. Besagter Major Bocharin habe nach einer Eingebung aus dem Himmel den für die Menschen wertvollsten Schatz, nämlich das Bildnis der Heiligen Barbara, in letzter Sekunde aus den Flammen gerettet. Die Jungfrau blieb verschollen – um mehr als 80 Jahre später ihre Auferstehung am Main zu feiern, ausgerechnet zwischen jenen Wolkenkratzern, für die Spekulanten und Investoren am liebsten die Heimatkirche vieler Frankfurter Russen mit dem goldenen Kreuz opfern wollten.

      Kapitel 1

       Frankfurt am Main, 3. bis 18. Dezember 2005

      Der klassische Ikonenmaler versteht sich vor allem als ein Diener, dem Gott beim Malen die Hand führt.“ Oberkommissar Waldemar Pokroff rätselte immer wieder über die tiefere Bedeutung dieses Satzes, den er in einem Fachbuch für osteuropäische Kirchenkunst gefunden hatte. Als der 46-jährige Kommissar an seinem letzten freien Tag die Friedrich-Ebert-Anlage entlangfuhr, blendete ihn die Sonne fast. Ihr warmes Licht schien den Heiligenschein der Barbara auf dem großen Werbebanner des Museums für Osteuropäische Sakralkunst ebenso zu erleuchten wie das goldglänzende Kreuz der evangelischen Matthäuskirche. Tatsächlich lag das Museum, einst Pokroffs Arbeitsplatz, nun wie ein ruhiger monolithischer Block im Frankfurter Alleenring, auch wenn drinnen die Vorbereitungen für die Ausstellungseröffnung bereits auf Hochtouren liefen. Die Kirchenglocke schlug gerade Mittag, als Pokroff rechts heranfuhr, um sich das rege Treiben aus der Nähe anzusehen. Mit routiniertem Blick auf die Fliegeruhr, die kurz darauf an seinem Handgelenk summte, sprach er dem Küster ein aufrechtes Lob aus: „Gut gewartet, die geht heute ja nur 5,5 Sekunden vor.“ Schnell und routiniert zog Pokroff die Funkarmbanduhr aus der Manteltasche, die just in diesem Moment auf 12 Uhr sprang. Um diese Tageszeit sprach der Kommissar sonst sein stilles Mittagsgebet – vor allem, wenn die überlangen Teambesprechungen oder Präsidiumssitzungen die praktische Ermittlungsarbeit zu sabotieren drohten.

      Pokroff strich sich über seine graublonden Schläfen. Der stämmige russlanddeutsche Polizeichefanwärter interessierte sich sonst nicht besonders für religiöse und kunsthistorische Themen. Er ging in seinem Arbeitsalltag logisch und analytisch vor, die Hingabe für kunstvolle Werke hatte darin nur wenig Platz – sieht man einmal von den schicken russischen Militäruhren ab, die an Gagarin erinnerten und ein seltsames Gefühl von Sowjetnostalgie verströmten. Allzugerne wäre Pokroff in die Fußstapfen seines Vaters getreten, der es immerhin bis zum Oberst gebracht hatte. Nach der Übersiedlung und dem nüchternen deutschen Geschichtsunterricht, der die dunklen Kapitel der Wehrmacht und Roten Armee ans Licht brachte, entschied er sich doch lieber für eine Polizeikarriere – auch wenn er zuweilen gerne den rauen Charme eines Generalmajors verströmte.

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