etwas schwierig, solche Ikonen zu zeigen? Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, aber führende russische Geistliche fordern doch, solche Ikonen sollten besser Klöstern im Mutterland zur Verfügung gestellt werden, statt fern der Heimat für Aufsehen zu sorgen.“ Die hübsche Mittdreißigerin mit den rotblonden Haaren schrieb mit Ehrgeiz, wollte Kunst und Kommerz lebendig darstellen – all die Geschichten, die hinter dem Boom von Ausstellungen und ambitionierten Ausstellungsmachern steckten.
Doch Klotzhofer wiegelte sofort ab: „Für jedes der Exponate haben wir das Gutachten eines renommierten Kunsthistorikers. Ebenso für die Heilige Barbara. Hier sind wir sogar in der glücklichen Lage, das Kloster zu kennen und die Herkunft rekonstruieren zu können. Da ist nichts Schwieriges oder gar Problematisches dabei. Im Gegenteil: Diese Ikonen wurden vor ihrer Vernichtung gerettet und finden seitdem in Russland keinen Eigentümer mehr, der sie aufarbeiten und in einer der ursprünglichen Kirchen oder Klöster ausstellen könnte. Wissen Sie überhaupt, wie die Orthodoxe Kirche in den osteuropäischen Ländern aufgestellt ist? Da ist nichts mit Kirchensteuern oder sonstigen nennenswerten Zuwendungen, um all die Gotteshäuser mit ihren Ikonen in diesem riesigen Land zu unterhalten.“
Ein Kollege von Lisa Naumann warf dem Direktor einen irritierten Blick zu, als könnte er dessen Ausführungen nicht recht folgen. Doch der ließ sich davon nicht irritieren: „Nun schauen Sie doch bitte noch einmal selbst, wie sorgfältig und liebevoll zugleich der namenlose Künstler hier gearbeitet hat. Man erkennt sofort, wie sehr er von der alten Schule beeinflusst wurde, die auch die Barbara-Ikone in Tver aus dem 15. Jahrhundert gemalt hat.“
„Aber müssten die Gesichtszüge der Heiligen dann nicht um einiges strenger ausfallen?“, hakte Lisa Naumann nach. „Das Gesicht der Barbara mutet so sanft und lieblich an, wie man es von einer orthodoxen Ikone eigentlich gar nicht kennt.“
„Eben nicht“, konterte Klotzhofer und setzte nun wieder seine triumphierende Miene auf. „Wir sind nämlich nicht im nordwestlichen Russland des 15. Jahrhunderts, sondern im westlichen Sibirien des 17. Jahrhunderts. Natürlich hat die alte Schule noch nachgewirkt und die wichtigen Vorlagen für die traditionelle und detailgetreue Ikonenkunst geliefert. Und doch konnte der namenlose Künstler seinen eigenen Stil und seine ganz eigene Ausdrucksweise entwickeln. Deshalb begegnet uns die Heilige in dieser Ikone mit einem sehr weichen und anmutigen Gesicht. Und die Farben des Gewandes leuchten etwas voller und kräftiger. Und wenn Sie mir nun in den Nebenraum folgen wollen. Dort können Sie noch einen Film sehen, der Ihnen die Geschichte der Ikone und die Ereignisse im Kloster des Propheten Elias erzählt.“
Klotzhofer führte die Gruppe in den Nebenraum, wo der Techniker bereits die CD eingelegt hatte. Der feurige Abendhimmel in den Weiten Sibiriens und die Kuppelchen des Holzklosters entfalteten gerade ihren vollen Zauber, als plötzlich der Bildschirm flimmerte und der Techniker eine Störung des Gerätes vermelden musste. Klotzhofer hätte am liebsten laut geflucht. Verdammte Technik! Doch jetzt hieß es Contenance bewahren. „Nun, den Film können Sie sich ja später noch ansehen“, versicherte er mit einem aufgesetzten Lächeln. „Dann gehen wir doch so lange runter ins Foyer und trinken noch ein Schlückchen.“
Ja, es war seine eigene Sammlung, die Werner Klotzhofer in seinem herausgeputzten Kunst- und Musentempel der Öffentlichkeit präsentierte. Der untersetzte Glatzkopf mit der erhabenen Miene, die in gewissen Situationen in ein Pokerface wechseln konnte, hatte alles auf eine Karte gesetzt – und es schließlich bis weit in die oberste Liga gebracht. Mit den wohlbekannten Jokern, ein wenig Wagemut und der Hilfe eines Freundes hatte der ambitionierte Glücksritter in dem millionenschweren Fernsehquiz die Höchstfrage geknackt und den Geldsegen in einem Feuerwerk der Emotionen geerntet. Doch danach würde später niemand mehr fragen. Klotzhofer hoffte, das alte Polizeipräsidium dauerhaft als Museum anmieten und schließlich kaufen zu können. Und zwar spätestens dann, wenn die Investoren für neue Wolkenkratzer endgültig durch Wirtschaftskrisen und den zunehmend gesättigten Immobilienmarkt in die Knie gezwungen würden. Deshalb brauchte Klotzhofer nur ruhig abzuwarten.
Zunächst ertönten die obligatorischen Grußworte der wichtigsten Referenten aus dem Frankfurter Magistrat und dem Hessischen Kultusministerium. „Lieber Herr Klotzhofer, dank Ihres Engagements zieht die Frankfurter Museumslandschaft bald mit Berlin gleich.“ Mit dieser kurzen Ermutigung gab sich der Kulturdezernent die Ehre, bevor er sich frühzeitig zum Empfang im Sachsenhäuser Ikonenmuseum verabschiedete. Die restlichen Promis ließen sich mit ergebenem Blick von Friedrich durch die Räume führen und die großartigen Ikonen erklären. Sie alle gaben wie eingeübt ihre versichernden Erklärungen ab: Dieses Museum mit seinen Heiligenbildern wäre eine ausgesprochene Bereicherung für Frankfurt. Dann lächelten sie professionell, betonten noch einmal den ausgesprochen hohen kunstgeschichtlichen Wert der Exponate, bevor sie sich für einen Moment entschuldigten und dem Büffet zuwandten. Kaviar und Krimsekt schienen sie weitaus mehr zu faszinieren.
„Irgendwas läuft doch da gründlich schief“, dachte Klotzhofer.
Das Patriarchat Moskau hatte ganz abgesagt, ein Sprecher aus dem Russischen Generalkonsulat traf verspätet ein, um die Glückwünsche seines Dienstherrn zu überbringen – unauffällig und diplomatisch. Klotzhofer streckte seine Hand etwas zögerlich aus, bekam erneut Zweifel: Warum mieden die führenden Köpfe fast alle seine Eröffnungsfeier, schickten bestenfalls ihre obersten Dienstboten vorbei? Etwas mehr Respekt hätte sich der Herr Direktor doch erbeten. Dann endlich drängte ein prominenter Herr aus dem Frankfurter Geschäftsleben nach vorne. Zunächst noch etwas vorsichtig, als wollte er mit seiner markanten Adlernase die Luft prüfen. Dann streckte er dem Direktor seine Rechte entgegen: „Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Museum, Herr Klotzhofer. Wir freuen uns auf eine lange und ertragreiche Zusammenarbeit.“ Es handelte sich um Tamas Temaschwili, den Inhaber einer bedeutenden kaukasischen Import- und Eventfirma in Frankfurt. „Hinter mir sind noch ein paar Geschäftsfreunde, die Ihnen gratulieren wollen.“
Klotzhofer nahm die gratulierenden Hände dankbar entgegen. Darunter auch die von Gerhard Kayser, dem recht fülligen Präsidenten der Albinia-Kulturstiftung und Vorsitzenden der gleichnamigen Firma, die für die Versicherung der wertvollen Ikonen verantwortlich war. Endlich schienen es ein paar Besucher wirklich ernst mit ihrer Präsenz und ihren Komplimenten zu meinen. Frankfurt, die Stadt der Finanziers, der Stiftungen und Mäzene. Klotzhofer hatte immer gewusst, dass man ihn hier nicht im Stich lassen würde.
„Ach ja“, ergänzte Temaschwili, „viele Grüße soll ich Ihnen auch noch von unserem Freund Gudensberger bestellen. Er hat es leider nicht geschafft, ihm ist heute noch ein Termin in Chicago dazwischengekommen.“
Kaum hatte der Kosakenchor aus Sankt Petersburg seine letzte Einlage aus einem Kirchenlied und einem Volkslied zum Besten gegeben, als sich plötzlich eine dunkelhaarige Gestalt mit ergrautem Vollbart durch die Menschenmenge schob und den Weg Richtung Mikrofon bahnte. Zunächst fiel sie keinem auf. Dann ließ der untersetzte Mann seine volle Stimme ertönen: „Herr Klotzhofer, an diesen Ikonen klebt Blut. Zwanzig Mönche wurden alleine für die Heilige Barbara dahingemetzelt, ein wunderschönes Kloster brutal in Brand gesteckt. Diese Ikone hätte Russland niemals verlassen dürfen. Ein Skandal für dieses Museum, und Sie haben alle meine Warnungen voller Selbstherrlichkeit in den Wind geschlagen ...“
„Siiie, wagen Sie es nicht ...!“ Klotzhofer wollte sich gerade gehörig steigern, als Friedrich seinem Chef ein Handzeichen gab und nun selbst versuchte, den Störenfried beiseitezuschieben. „Was fällt Ihnen ein, verschwinden Sie gefälligst, wie konnten Sie überhaupt hereinkommen?“ Ein hilfesuchender Blick Richtung Pförtner. „Ja, ja, ich verstehe schon, einem orthodoxen Geistlichen kann man nicht so einfach den Zutritt verwehren. Aber Sie hatten keine Einladung. Und Sie sind hier absolut unerwünscht!“
Doch so einfach gab sich der Eindringling nicht geschlagen. „Für alle, die mich nicht kennen, ich bin Vater Gregoriew, Kranken- und Obdachlosenseelsorger der Russisch-Orthodoxen Kirche in Frankfurt. Herr Klotzhofer, Sie glauben, Sie sind mit ihren falschen und pseudoseriösen Zertifikaten von irgendwelchen gekauften Gutachtern auf der sicheren Seite. Wir aber glauben all diesen selbst ernannten Kunstexperten kein Wort mehr! Klotzhofer, die Sache ist noch nicht zu Ende. Wir werden uns sprechen, und das schon in wenigen Stunden. Dann wird abgerechnet. Ich komme wieder!“ Gregoriew ballte vor Wut seine Faust, so dass er eher einem Revolutionär