für ein geschwollenes Geschwätz“, dachte Klotzhofer. „Und das ausgerechnet von Herrn Sarakow.“ Wie oft hatte er versucht, den Herrn Kultursekretär persönlich zu erreichen und ihn um Hilfe und Vermittlung für sein Vorhaben zu bitten. Doch der zeigte wenig Interesse, schob immer wieder seine Untergebenen vor, die ihrerseits um wochenlange Geduld baten, um eine einfache Anfrage per Mail zu beantworten. Dabei konnten sie alle genug Deutsch oder hatten zumindest geeignete Dolmetscher und Übersetzer. Nein, über dieses Fax konnte sich Klotzhofer nicht wirklich freuen. Dafür war es nicht adäquat geschrieben – zwar in gutem Deutsch, jedoch in einer amtlichen Sprache, die kaum ein Minimum an Lob und Anerkennung für Klotzhofers Arbeit erkennen ließ. Genauso geschwollen und genauso förmlich wie die Briefe und Mails von den führenden geistlichen Vertretern. Nirgendwo ein Wort von all den geretteten russischen und georgischen Ikonen oder gar von der Heiligen Barbara. Was war da nur falsch gelaufen? Die Gutachten ließen nun wirklich keine Zweifel über den außerordentlichen kunsthistorischen Wert all dieser Exponate. Es war zum Haareraufen.
Einige Minuten später kam Friedrich von seinem Rundgang aus dem Museum zurück. Pflichtbewusst hatte er alle Exponate noch einmal überprüft und wollte nun die nervöse und offensichtlich auch etwas eingeschüchterte Sekretärin trösten.
„Machen Sie sich einfach nichts daraus, Frau Miersch, ermutigte er sie mit behutsamer aber einigermaßen fester Stimme. „Natürlich ist Klotzhofer heute an diesem wichtigen Tag sehr angespannt. Zu mir ist er heute auch anders als sonst. Aber keine Angst, das gibt sich schon wieder. Was war das eigentlich vorhin für ein niedliches Liedchen, das Sie da vor sich hin gesungen haben?“
„Ach, kennen Sie das nicht?“, entgegnete die Sekretärin und konnte nun auch wieder lächeln. „Das ist das Lied von den dürren Reiselein, die man am Namenstag der Heiligen Barbara in ein warmes Wasserkrüglein stellt. Wenn man das sehr gewissenhaft und behutsam tut und dazu seine Gebete verrichtet, dann werden die Reiselein pünktlich zu Heiligabend aufgehen. Ich dachte immer, Sie seien katholisch.“
„Das bin ich zwar, aber deshalb kann und muss ich noch lange nicht sämtliche Heiligenliedchen kennen.“ Friedrich räusperte sich angestrengt. „Außerdem ist es selbst dann erlaubt, über die Dinge auch mal ein bisschen zu schmunzeln. Barbara, Bärbel und all diese Gebräuche darum, da muss ich immer an dieses Schwarzwaldmädel aus den 50er Jahren denken. Hieß die nicht auch Bärbele oder so ähnlich?“
„Ja, ich glaube schon. Aber nun wollen wir erst mal hoffen, dass dieser Tag heute gut ausgeht und die Eröffnung der Ausstellung doch noch ein voller Erfolg wird“, sagte Frau Miersch und vergrub sich sorgenvoll in ihre geschäftliche Korrespondenz.
Am späten Nachmittag lud das Museum endlich zum Empfang. Klotzhofer war erleichtert, dass er vorher alle Journalisten überzeugen und sofern nötig auch beruhigen konnte. Nur ein Verfahren gegen ein Revolverblatt war noch anhängig, doch er konnte zumindest auf eine einstweilige Verfügung hoffen. Vielleicht musste der Herausgeber dieses Blattes sogar eine deftige Geldstrafe zahlen. Denn gegen die Beurteilungen, Fachgutachten und ehrenwörtlichen Versicherungen namhafter Kuratoren, Kunsthistoriker und Russlandkenner konnte auf Dauer einfach niemand ankommen.
Schon vor dem Museum herrschte ordentlich viel Betrieb. Die ersten Gruppen von geladenen Gästen vermischten sich mit den Berufspendlern zwischen Messe und Messeturm, die neugierig und wie gebannt auf das übergroße Plakat mit dem Porträt der Barbara starrten. Viele der Ehrengäste und zufälligen Passanten blieben auch vor dem Porträtstand stehen, um eine der schönen Stadtansichten zu kaufen. Auch Friedrich schaute in der letzten Ruhe vor dem großen Sturm kurz vorbei. „Na so etwas, ist denn Ihr Mann heute gar nicht da?“, fragte er verwundert die ältere Matrone, die gerade das Wechselgeld zählte. „Nee nee, der is heute so’n bissken krank, na ja, wat willste machen, da muss ick eben ran“, entgegnete Bertha Teschke, die bessere Hälfte des Porträtkünstlers. Dann schmunzelte sie. „Ick krieg aber nur Karikaturen mit jestrichelten Männeken hin. Leider kann ick nich so wie mein Mann den Pinsel schwingen.“ Friedrich lächelte ermutigend zurück, klopfte Frau Teschke auf die Schultern. „Ach lassen Sie nur, das wird schon. Ihrem Mann geht es bestimmt bald besser. Außerdem, Sie wissen doch: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.“ Dann ging Friedrich zurück ins Museum.
Klotzhofer wähnte sich derweil schon in Feierlaune. Die Ikonen strahlten, und in den Gläsern perlte es. Die fleißigen Ameisen hatten ihr Werk vollendet – die Klosterglocken erklangen inzwischen, als müssten sie zum Gottesdienst rufen. Im Foyer, rechts neben der Eingangshalle, hatte der Direktor zum Empfang geladen. Krimsekt, nicht zu lieblich, dafür aber von edler Herkunft und zum entsprechenden Preis. Der Direktor hatte es schließlich nicht nötig zu sparen. Denn an diesem Tag war er der Gewinner. Wenigstens für ein paar Stunden. Fast fühlte er sich wie ein Zar. Deshalb gab es Kaviar, nur vom Feinsten, versteht sich. Und natürlich durfte auch der Auftritt eines weltberühmten Kosakenchors aus Sankt Petersburg nicht fehlen. „Kalinka, malinka, malinka meja!“ Zu dem beliebten russischen Volkslied, das die Kosaken anstimmten, versuchten wenigstens die engsten Getreuen Klotzhofers leidenschaftlich zu klatschen und das restliche Museum in Feierstimmung zu versetzen.
Kaum war das Volkslied verklungen, da bat der Direktor zum großen Festakt. Nein, mit einem langen Rundgang durch die Sammlung wollte er sich und seine Gäste nicht aufhalten. Ein paar Ausführungen zur Gottesmutter von Kasan und der Höllenfahrt Christi, ein kurzer Blick in die georgische Abteilung mit funkelnden liturgischen Gefäßen, das musste reichen. Die Raumdekoration wechselte zwischen goldenen Zarenadlern und rot-weißen Georgskreuzen, so wie es gerade gebraucht wurde. Dann jedoch kam der große Höhepunkt, auf den Klotzhofer so lange gewartet, den er immer wieder geprobt und minutiös inszeniert hatte.
Mit den Worten „Wenn Sie mir nun bitte folgen möchten“, bat der Direktor nun in den großen Ausstellungsraum im ersten Stock. Die ausgewählte Gruppe von zwanzig Journalisten und Ehrengästen folgte ihm willentlich, ließ sich an der schmiedeeisernen Brüstung durch den lichten Korridor mit Blick auf die bernsteinfarbenen Bleiglasfenster führen. Dazu der dumpfe, tiefe, aber doch melodische Stundenschlag des großen Glockenturms von Sergijew Possad – ja, jetzt stimmte die so mühsam einstudierte Choreographie endlich.
„Man, das sieht ja vielleicht barock aus!“ Die Journalistin Lisa Naumann konnte sich ihren vorlauten Kommentar einfach nicht verkneifen. Der Blick auf den mit üppigen Ranken geschmückten Torbogen offenbarte ihr das ganze Ausmaß preußischer Machtdemonstration – ihren Kollegen verschlug es vor Faszination die Sprache.
„Ja, da haben Sie durchaus Recht“, entgegnete Klotzhofer mit strahlenden Augen. „Das ist typisch Gründerzeit. Damals, als Frankfurt zu Preußen gehörte. Ein herrlicher und prachtvoller Stil, wie geschaffen für unsere Ikonenmalerei.“ Dabei wies der Direktor auf die Inschrift „Sitzungssaal“, die in verschlungenen Lettern unter dem neubarocken Sandsteingiebel des Eingangs zu lesen war.
„Dann mal hinein in die gute Stube!“ Mit großherziger Geste bat der Hausherr sein Gefolge in den weißen stuckverzierten Saal hinein. In der Mitte hatten die Raumdekoratoren die Kulisse einer imaginären Ikonostase aufbauen lassen. Links und rechts erzählten beschriftete biblische Szenen aus dem Leben Jesu, von Mariä Verkündigung bis zur Kreuzigung auf Golgatha. Dazu wurde die vielstimmige russisch-orthodoxe Liturgie des Heiligen Chrysostomos eingespielt – tiefe Bässe ergänzten sich mit engelsgleichen Frauenstimmen, die immer wieder die Macht des Herrn priesen:
„Gospodin, gospodin, gospodin, Amen.“
„Bitte hier entlang!“ Klotzhofer versammelte die Gruppe in der Mitte der Ikonostase vor einem schweren purpurnen Samtvorhang, der den Blick ins Allerheiligste verschloss. Wie ein Magier schob er den Vorhang beiseite. Dann kam endlich der Höhepunkt: die Ikone der Heiligen Barbara, die vor einem goldfunkelnden Hintergrund glänzte. Ein Abbild des Paradieses, das mit seinem lieblichen Lächeln und seiner funkelnden Krone aus der jenseitigen Welt herüberstrahlte. Das Meisterwerk eines unbekannten Künstlers, das jedoch in seinem kostbaren Kleid und der anmutigen sowie detailverliebten Ausführung für die unendlichen Weiten Sibiriens ein begehrtes Sammlerstück darstellte, zumal es viele Jahrzehnte lang als verschollen galt. „Schauen Sie sich nun das Kleinod unserer Sammlung an, die Heilige Barbara aus dem Oblast Jekaterinburg“, forderte Klotzhofer seine Besucher auf.
„Herr