Gernot Gottwals

Im Eifer deines Dieners


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am folgenden Tag vorbereiten. Wie so oft, wenn er seinen Schrecken über eine Bluttat unter Kontrolle bringen wollte, neigte er mal wieder zu einem protokollarisch-militärischen Lagebericht.

      „Hallo Christiane, hier Pokroff. Uhrzeit 20.30 Uhr, Leiche in der Einfahrt zum alten Polizeipräsidium. Dort ist vor etwa einer halben Stunde der Museumsdirektor Werner Klotzhofer ermordet worden. Du bist empfangsbereit? Immerhin hast du Bereitschaft.“

      „Selbstverständlich, Herr Major. Wer bitte ist ermordet worden?“ Pokroff konnte freilich nicht ahnen, dass er seine Kollegin bei einem Date störte. Denn mit Ende Dreißig war die Polizeibeamtin, die gebürtig aus Darmstadt kam, noch Single, hatte sich für diesen scheinbar so unverdächtigen Abend extra ihre Frisur richten lassen. Auch ihre Verabredung verhielt sich in diesem Moment völlig arglos und versuchte lediglich, eine blondierte Haarsträhne der Kommissarin sanft zu berühren. Ihr neuer Schwarm Jan, den Pokroff bislang nur vom Sehen kannte, war ein junger und aufstrebender Versicherungsagent der erfolgreich auf Provision arbeitete und wusste, dass man für alle Notfälle des Lebens gewappnet sein musste. Christiane jedoch konnte die Geste nicht genießen, brachte kaum ein angestrengtes Lächeln hervor, ehe sie zurückfragte: „Du meinst doch nicht etwa den früheren Kunsthändler zwischen Dom und Braubachstraße, der sich jetzt zum Direktor für dieses private Sakralmuseum ernannt hat?“

      „Das ist der ermordete Mann“, antwortete Pokroff trocken. „Kanntest du ihn etwa?“

      „Na ja, sagen wir mal: flüchtig. Von zwei oder drei Besuchen und einem Einkauf. Aber meine Eltern sind öfters in dieses Geschäft gegangen, als es noch dem Vorgänger gehörte. Bei Klotzhofer, da werden wir sehr aufpassen müssen. Der hat schon immer gerne geprahlt und die Leute mit seinen angeblich ach so tollen Plänen genervt. So macht man sich jedenfalls keine Freunde, sondern zieht nur die Neider auf sich.“

      „Dann haben wir einen entsprechend großen Kreis an Verdächtigen zu untersuchen. Also Folgendes: Eine Zeugin hat den möglichen Täter beschrieben, wahrscheinlich der Priester von der benachbarten russisch-orthodoxen Gemeinde. Evangelos und ich fahren gleich noch bei seiner Dienstwohnung vorbei und verhören ihn. Für heute Abend kriegen wir die Lage mit unseren Leuten alleine in den Griff. Aber du schnappst dir morgen gleich unsere Spezis von der Spurensicherung und stellst dieses Museum für Osteuropäische Sakralkunst auf den Kopf. Offenbar waren Täter und Opfer dort verabredet, bevor es zum Showdown an der hinteren Hofeinfahrt gekommen ist. Sicher werden wir dort wichtige Zeugen finden, die uns die Vorgeschichte zu diesem Mord erzählen können. Und dann müssen wir natürlich Klotzhofers Wohnung durchsuchen. Noch irgendwelche Fragen?“

      „Nein, Sir, vorerst nicht. Das heißt, vielleicht doch. Warum leitest du die Untersuchung morgen im alten Präsidium nicht, wo du den Bau doch wie deine Westentasche kennst?“

      „Nein, das ist keine gute Idee. Ich werde mich mit Zorbas auf den Außenbereich und den Hauptverdächtigen konzentrieren. Du kannst im alten Präsidium völlig unvoreingenommen ohne subjektive Erinnerungen ermitteln. Ich komme dann später hinzu. Gute Nacht.“

      Noch bevor die Spurensicherung ihre Arbeit in der Ludwigstraße zu Ende bringen konnte, setzte ein ungemütlicher Regen ein, der die Arbeit behinderte. Als die Kollegen alle fertig waren, konnte Pokroff freilich noch lange nicht an den Heimweg denken. Natürlich hatte er sich schon beizeiten über die Zuständigkeiten in der russischen Gemeinde informiert. Dabei war ihm der eifernde Priester, der sich schon mal mit der Nachbarschaft anlegte, keineswegs entgangen. Nun war es nicht allzu schwer, die Namensfetzen, die die alteingesessene Frankfurterin in der Aufregung aufgeschnappt hatte, entsprechend zuzuordnen. Igor, Gregor, Gregory, Gregoriew – schließlich klang das doch alles recht ähnlich.

      Kapitel 4

      Pokroff verständigte sofort sämtliche verfügbaren Einsatzkräfte und schrieb den russischen Priester zur Großfahndung aus. Mit zwei weiteren Beamten fuhr er dann zu Gregoriews Dienstwohnung, die schräg gegenüber von der Matthäuskirche im angrenzenden Westend lag. Doch dort war er nicht. Derweil suchte Zorbas mit den übrigen Beamten die Kirche und das gesamte Gelände zwischen Sakralmuseum und Hauptbahnhof ab.

      Es war eine typische frühe, wenn auch zu milde Winternacht im östlichen Gallus, unweit des Bahnhofs. Hier und da verließen ein paar späte Kneipengänger ihre Stammlokale und verloren sich im Dunkeln der wenig einladenden Straßen: hier und da mal ein neues, aber steriles Hotel, ansonsten vernachlässigte, zum Teil mit Graffiti beschmierte Fassaden alter Klinkerbauten, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatten.

      Sofern man dort ein paar fremdsprachige Äußerungen aufschnappen konnte, waren es meist Äußerungen in italienischen Dialekten. Sie stammten von Gastarbeitern der ersten Generation, die seit Jahrzehnten in Frankfurt lebten und kaum noch einen Bezug zur Dichtersprache von Petrarca oder Boccaccio hatten. Zwar war es auch für italienische Verhältnisse bereits ziemlich ungemütlich, doch die Afrikaner, die meist aus Äthiopien und Eritrea kamen und diese Gegend in den Sommermonaten oft in Scharen bevölkerten, waren außerhalb ihrer Stammlokale so gut wie gar nicht mehr zu sehen.

      Pokroff ordnete an, zwei Zivilfahrzeuge zur Beobachtung in der Friedrich-Ebert-Anlage zwischen Sakralmuseum und Matthäuskirche aufzustellen. Und zwar so, dass die Polizisten in Zivil die Dienstwohnung im Westend ebenso einsehen konnten wie das Eingangstor zwischen Museum und Kirche. Er selbst stellte seinen Wagen in der Ludwigstraße ab, damit er mit seinem jungen griechischen Kollegen auch das evangelische Gemeindehaus und den dortigen Eingang zur Kirche überblicken konnte. Doch zunächst stieg Pokroff aus und ging unruhig die Mainzer Landstraße auf und ab. Mittlerweile war Zorbas zurückgekommen und erklärte sich nur widerwillig bereit, sich die Nacht zusammen mit seinem Chef um die Ohren zu schlagen. „Für waschechte Südländer ist es immer noch kalt genug, und die Afrikaner frieren sich selbst bei fünf Grad womöglich ihr Hinterteil ab“, murrte er unwillig vor sich hin.

      „Aber wenigstens so ein Russe müsste doch abgehärtet genug sein, um irgendwo in der Stadt sein Gemüt abzukühlen“, ermutigte ihn Pokroff. „Er wird hier bestimmt bald irgendwo erscheinen. Dann können wir ihn festnehmen. Den Täter zieht es immer an den Tatort zurück. Kein Geistlicher dieser Welt verzieht sich nach einer solchen Tat einfach in sein Kämmerlein und betet still vor sich hin.“ Plötzlich tauchte ein dunkelhaariger Mann mit Bart an der Straßenecke auf. Instinktiv spannte Pokroff seine Muskeln an, wollte schon die Kollegen in der Friedrich-Ebert-Anlage herbeirufen. Auch von der Bundespolizei am Hauptbahnhof konnte man zur Not schnell Verstärkung einfordern. Doch dann kam der Mann näher, so dass eine Straßenlaterne sein Gesicht für einen Moment anleuchten konnte. Das Haar war eher dunkelbraun als schwarz und er hatte bestenfalls einen Dreitagebart. So übermächtig auch Pokroffs Wille nach einem schnellen Zugriff war, hier würde er ganz sicher einen Unschuldigen erwischen.

      Pokroff versuchte sich zu beruhigen und zu seinem Auto zurückzugehen. Allerdings sehr langsam und nachdenklich. Dann dachte er nochmals über den Abend und den ganzen Vorfall nach. Er hatte also Recht behalten. Iwan Gregoriew und Werner Klotzhofer, das konnte sich auf Dauer nicht vertragen. Wie sehr wünschte sich Pokroff nun jenen letzten freien Tag zurück, an dem er bei strahlendem Sonnenschein am Museum für Osteuropäische Sakralkunst vorbeigefahren war. Jenen Moment, als er versuchte, diese letzte Ruhe vor dem Sturm noch einmal zum Auftanken zu nutzen. Nun merkte er erst, wie sehr er diesen letzten freien Tag wirklich gebraucht hatte.

      „Verdammt, nichts zu sehen von unserem verrückten Priester“, brummte Zorbas. „Wer weiß, ob der sich nicht längst mit dem Nachtzug nach Moskau abgesetzt hat.“

      „Bestimmt nicht. Dann hätte ihn die Bundespolizei im Hauptbahnhof längst geschnappt“, versicherte Pokroff. „Der hat sich noch schnell und unauffällig Richtung Innenstadt verdrückt, bevor hier unser Großaufgebot angerückt ist. Aber spätestens zur Frühmesse muss er zurückkommen und hofft sicher, dass wir dann nicht mehr da sind. Und dann schlagen wir zu.“

      „Und bis dahin?“

      „Bis dahin, mein Lieber, sind wir beide zur Nachtwache eingeteilt. Selbst nach 0 Uhr kann der Feind noch von allen Seiten angreifen. Du setzt dich ans Steuer. Ich hoffe, du hast dir einen spannenden Krimi mitgebracht. Denn jetzt bin ich erst mal mit dem Ausruhen dran.“

      „Habe