überhaupt nicht in die Nähe des Museums gekommen, wie oft soll ich das noch sagen. So glauben Sie mir doch bitte. Abgesehen davon kenne ich die dortigen Pförtner von meinen wenigen vorherigen Besuchen so gut wie nicht. Und schon gar nicht namentlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von denen mich so gut in Erinnerung hat, dass er mich erkennen würde, wenn ich denn tatsächlich dort gewesen wäre. Schon deshalb muss hier ein Irrtum vorliegen.“ Gregoriew glaubte, einen rettenden Strohhalm gefunden zu haben. Ein Pförtner, der ihn tagsüber gerade mal ein paar Sekunden lang gesehen hatte, schien unglaubwürdig, wenn er behauptete, ihn bei Nacht und Nebel identifizieren zu können.
„Hören Sie auf, Sie verstricken sich immer tiefer in Widersprüche. Wir werden bis morgen versuchen, eine Gegenüberstellung zu organisieren. Da sie aber offenbar kein Alibi und erst recht keinen Entlastungszeugen aufbieten können, bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie vorläufig festzunehmen. Sie werden bald dem Haftrichter vorgeführt. Aber der wird die Sache vermutlich genauso sehen wie ich auch.“
Gregoriew blickte die beiden Kommissare ratlos an. „Gut, aber bis dahin darf ich mir doch wenigstens einen Anwalt besorgen, nicht wahr?“
„Dieses Recht steht Ihnen selbstverständlich jederzeit zu.“
Als Gregoriew abgeführt wurde, blickte er sich nur noch einmal kurz um und nahm seinen Mut zusammen. „Ich bin sicher, Herr Kommissar, dass sich das alles bald aufklären wird. Ich bin unschuldig.“ Dann schwieg er. Der Termin beim Haftrichter am Nachmittag des folgenden Tages war so gut wie vorgezeichnet. Der Richter würde sich die verhaltenen Erklärungen und Unschuldsbeteuerungen des Priesters einige Zeit lang anhören, um dann aber erwartungsgemäß die Entscheidung des Hauptkommissars zu bestätigen. Der russische Anwalt der Gemeinde, den Gregoriew zwischenzeitlich aus seiner Kanzlei am Liebfrauenberg bestellen konnte, musste angesichts der fatalistischen Haltung seines Mandanten mit jeglicher Verteidigungsstrategie scheitern. Was auch tatsächlich so kommen sollte. Die Beweislage gegen seinen Mandanten schien einfach zu erdrückend.
Kapitel 6
Gregoriew wurde einstweilen in Gewahrsam genommen – im „Café Viereck“, wie es im Volksmund so schön heißt. Christiane Bechstein hatte derweil Riestermann zuhause angetroffen und fuhr mit ihm ins Polizeipräsidium. Auf der Fahrt dorthin fiel kaum ein Ton. Der kräftig gebaute Pförtner musterte die Kommissarin, strich sich zwischendurch über seinen Schnauzbart. Wie er war sie blond, hatte ihre Haare zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammengesteckt. Mehr als Ende dreißig konnte sie nicht sein, sicher eine aufstrebende und ehrgeizige Kollegin, die man ernst nehmen musste. Konnte er ihr etwas vorspielen, sie wie so oft mit ironisch galanten oder gar schnippischen Bemerkungen irritieren? Riestermanns Kopf musste rauchen, wollte er all diese Strategien durchspielen.
„Sagen Sie, Herr Riestermann, wie alt sind Sie eigentlich?“, brach die Kommissarin endlich ihr Schweigen.
„Siebenundfünfzig. Wieso?“
„Kann es sein, dass wir uns irgendwo schon mal begegnet sind? So agile, jung gebliebene Männer begegnen einem doch öfters mal im Wach- und Sicherheitsdienst.“
„Ich weiß nicht, was Sie meinen.“
„Letzen Sommer am Museumsufer. Vielleicht in der Mittagspause?“ Riestermann blinzelte mit den Augen. „Das muss sicher eine Verwechslung sein.“
„Vielleicht. Aber die genaue personelle Situation können wir später noch klären.“
Im Präsidium wartete schon die nächtliche Spaziergängerin Gisela Bachmann. Zusammen mit ihrem Vorgesetzten Pokroff fertigte die Kommissarin die Protokolle mit den Aussagen der beiden Zeugen an. Bachmanns und Riestermanns Beschreibung des mutmaßlichen Täters unterschieden sich nur geringfügig. Beide Männer schilderten, wie sie eine Gestalt im dunklen Mantel und mit Vollbart vor dem Museum und auf der Ludwigstraße gesehen hatten. Die Beschreibungen ließen an einer Identifizierung Gregoriews kaum einen Zweifel. Trotzdem sollte eine Konfrontation mit dem Gottesmann von Angesicht zu Angesicht die letzten Zweifel ausräumen. Diese Gegenüberstellung ordnete Pokroff für den nächsten Tag an und leitete sofort die nötigen Schritte in die Wege.
„Kann ich jetzt endlich gehen?“, fragte Riestermann ungeduldig nach einer Stunde Vernehmung. „Ich bin noch hundemüde von der letzten Nachtschicht. Und wie anstrengend die war, das brauche ich Ihnen ja nicht auszumalen, oder?“
„Einen Moment noch“, erwiderte Christiane Bechstein bestimmt.
„Da ist noch eine Sache. Als Sie Ihren Nachtdienst angetreten haben, ist da außer Gregoriew noch mal irgendjemand ins Museum gekommen? Bitte denken Sie genau nach.“
„Nein, wieso. Das Museum war zu, und weshalb sollte da noch mal jemand zurückkommen?“
„Vielleicht, um nach dem Rechten zu sehen. Ihr Chef hatte schließlich ein schwieriges Gespräch vor sich, das ja auch tödlich für ihn ausgehen sollte.“
„Na das konnte ja nun wirklich keiner ahnen, dass da mit jemandem so die Pferde durchgehen. Aber auf wen wollen Sie eigentlich hinaus?“
„Es geht um Herrn Friedrich und Frau Miersch. Beide erklärten sie uns, sie hätten das Museum gemeinsam pünktlich nach Dienstschluss verlassen. Was ihr Kollege vom Tagesdienst bestätigen konnte. Danach sind sie noch ein Stück Heimweg gemeinsam gelaufen. Aber Frau Miersch berichtete uns, sie habe Herrn Friedrich überreden wollen, noch mal zurückzugehen. Aus Sorge.“
„Aus Sorge um diese beiden Verrückten? Das hat ihr Friedrich bestimmt ganz schnell ausgeredet, weil es bei diesen beiden Platzhirschen sowieso zwecklos gewesen wäre. Beim besten Willen, Frau Kommissarin, außer Gregoriew hat sich spätabends niemand mehr in der Nähe des Museums blicken lassen.“
Christiane Bechstein gab sich fürs Erste mit dieser Erklärung zufrieden und verabschiedete Riestermann. Danach schaute sie noch in Pokroffs Büro vorbei. Denn nun trieb sie eine ganz andere Frage um.
„Sag mal bitte, Waldemar, wie war das nun genau mit der Vernehmung von Gregoriew? Er wollte ein Mädchen in einer Bar treffen, das ihn um Hilfe gebeten hatte, weil es in Gefahr ist?“
„Ja, das behauptet er nach wie vor steif und fest. Aber Sawinsky und ich nehmen ihm diese Geschichte nicht ab.“
„Aber wie könnt ihr da so sicher sein? Mensch, Waldemar, wenn da wirklich eine junge Studentin in Gefahr ist, dann müssen wir sie doch dringend finden und ihr helfen!“
„Das müssten wir in der Tat, wenn es sie überhaupt gibt. Aber dieser komische Priester und eigenartige Gutmensch kann ja nicht mal genau die Bar benennen, wo er sie getroffen haben will. Außerdem sprechen momentan alle Indizien dafür, dass er zur Tatzeit am Tatort war und sich das Mädchen nur ausgedacht hat.“
„Aber wie kannst du das nur so selbstverständlich annehmen? Als Seelsorger ist Gregoriew nun mal für Menschen in Not zuständig. Vor allem für Kranke, Obdachlose und bedrängte Ausländer. Mensch, wir müssen das Mädchen unbedingt finden.“
„Dafür müssen wir versuchen, aus seinen vagen Andeutungen die Bar zu lokalisieren und dort weitere Zeugen zu finden. Wenn das Mädchen Probleme mit Prostitution hat, finden wir im Bahnhofsviertel vielleicht weitere Hinweise. Ich werde mich mit den Kollegen dort sofort darum kümmern. Und du schaust jetzt bitte unserem Team im Museum auf die Finger, dass denen dort nichts durch die Lappen geht. Verstanden?“
„Und wann kommst du dazu?“
„Irgendwann später, wenn ich mit der anderen Arbeit hier fertig bin. Oder morgen. Pokroff lächelte kurz: „So sehr drängt es mich auch nicht dorthin. Ich habe nicht nur gute Erinnerungen an diesen Palast. Noch Fragen?“
„No, Sir.“ Etwas irritiert verließ die Kommissarin Pokroffs Büro und fuhr noch einmal ins Museum für Osteuropäische Sakralkunst zurück. Hier leisteten die Experten von der Spurensicherung bereits ganze Arbeit, befragten sämtliche Mitarbeiter und inspizierten auch die Büro- und Arbeitsräume des Museums sehr genau. Christiane Bechstein koordinierte die laufenden Befragungen, ließ sich von Friedrich eine Liste sämtlicher Mitarbeiter geben, fragte auch nach deren früheren