Friedrich von Bonin

Judas Ischarioth Träumer, Täter, Täuscher


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fremd.

      Wir spüren dagegen die politischen Spannungen hinter den Erzählungen über Jesus, einem Freund der Armen, einem Rebellen, wir ahnen abenteuerliche menschliche Verwicklungen, wenn wir lesen, einer habe seinen besten Freund, seinen Lehrer und Erlöser, um schnöde zwanzig Silberlinge verraten.

      Neugier treibt uns, diese Geheimnisse schreibend aufzuspüren, wenn wir die Geschichte neu erzählen.

      Die religiösen Lehren, um die es den Evangelisten ging, wollen wir nach Möglichkeit unangetastet lassen

      3.

      Im Jahre 63 v. Chr. eroberte der römische Feldherr Pompeius Syrien, um es als Provinz dem römischen Reich anzugliedern. Aus römischer Sicht wurden die Römer damit auch Herrscher im zu Syrien gehörenden Palästina, so jedenfalls sahen sie es. Sie nannten diese Provinz Juda, das aufgeteilt war in das südliche Judäa und das im Norden liegende Galiläa. Die Römer nannten die Einwohner Palästinas daher die Juden.

      Die römischen Besatzer, gewohnt, in ihren neu eroberten Provinzen die religiösen Strukturen und die örtlichen Behörden soweit als möglich zu erhalten, wenn sie ihren Interessen nicht widersprachen, waren mit der Komplexität der jüdischen Gesellschaft von Anfang an überfordert.

      In Juda fanden sie ein zutiefst religiöses Volk vor, das stolz darauf war, einen unsichtbaren Gott, und zwar nur einen, anzubeten. Dieser Gott, so glaubten sie, hatte ihnen unverbrüchliche Gesetze gegeben, die es einzuhalten galt, und zwar auch gegen staatliche Autorität. Über diese göttlichen Gesetze wachte eifersüchtig eine starke, gebildete und kluge Priesterkaste, die Pharisäer und Schriftgelehrten. Das geistliche Zentrum des Landes lag in Jerusalem, und zwar in dem Tempel, den alle Juden als Mittelpunkt anerkannten.

      Daneben herrschten über alle weltlichen Fragen die jüdischen Könige, die von der Familie der Hasmonäer gestellt wurden, deren Macht aber endete, sobald die Priester eine Frage als die Gesetze Gottes berührend deklarierten und die Entscheidung darüber für sich reklamierten. Kein König durfte den Versuch wagen, gegen die Priester zu regieren, und sei es auch in der kleinsten Frage, er wäre gescheitert.

      Seit die Römer die Herrschaft übernommen hatten, wurden die jüdischen Könige vom Kaiser in Rom als Titularkönige ernannt und abgesetzt.

      Die Tempelpriester hätten dergleichen Eingriffe in ihre Autorität auch von den Römern nicht geduldet. Weder ließen sie sich einsetzen und absetzen noch akzeptierten sie eine Einmischung in geistliche Fragen und was geistlich war, bestimmten sie.

      Die Priester bezogen ihre Autorität auch gegen die Besatzungsmacht einerseits aus dem tiefen Glauben des Volkes. Sie waren imstande, weite Teile des Landes in Aufruhr zu versetzen, wenn sie die Religion, wie sie sie definierten, in Gefahr sahen. Andererseits kooperierten sie, soweit ihre Vorstellung von Frömmigkeit es zuließ, mit den Besatzern, manchmal sogar gegen Patrioten im Volk Israel.

      Und so herrschte ein labiles Gleichgewicht zwischen dem römischen Präfekten, dem jüdischen König, den Priestern und dem jüdischen Volk, das stets in Gefahr war, außer Kontrolle zu geraten.

      4.

      Für die Römer war Syrien und vor allem Palästina von erheblicher geopolitischer Bedeutung. Die römische Politik war seit langer Zeit expansiv und dafür lag Palästina strategisch außerordentlich günstig:

      Seit Generationen begegneten die römischen Legionen an ihrer Ostgrenze dem riesigen Perserreich, das um Macht und Einfluss und Gebiete mit ihnen konkurrierte. Als Pompeius Palästina eroberte, waren die Perser von den Parthern abgelöst worden, die sich im ehemaligen Perserreich niedergelassen hatten, deren Politik aber nicht weniger expansiv als die der Römer und der Perser war.

      Auf dem Weg zu dieser sehr unsicheren Grenze hatten die Römer mit Palästina und Syrien ein Aufmarschgebiet für ihre Legionen und den Nachschub, gewissermaßen durch eigenes Gebiet. Ihre militärische Position wurde daher entscheidend gestärkt durch die Einnahme Syriens und mit ihm Palästinas.

      Gleichzeitig bildete Palästina das Bindeglied zwischen den in Syrien agierenden Legionen der Römer und dem getreidereichen Ägypten, das ebenfalls unter römischen Einfluss geraten war und der Versorgung der Legionen diente.

      Schließlich bot Syrien mit Palästina wie andere eroberte Gebiete, wie zum Beispiel das schon von Cäsar eroberte Gallien und die iberische Halbinsel, den Römern einen willkommenen Absatzmarkt für ihre in Italien hergestellten Waren. Das waren insbesondere Feldfrüchte und deren Produkte, Wein, Oliven, Getreide, die in Italien auch durch Einsatz der in den Kriegen gefangenen Sklaven billig und vor allem im Überfluss hergestellt wurden. In Italien hatte sich darüber hinaus die Produktion von materiellen Waren vervielfacht. Auch hier waren Sklaven die Ursache, dass die Römer auf den Bauernhöfen und in den Handwerksstätten große Manufakturen errichteten, in denen sie rationell und schnell produzierten.

      Lebensmittel und Handwerkserzeugnisse gab es daher in Italien im Überfluss, und zwar so viel, dass sie die auf Wachstum ausgerichtete römische Wirtschaft gefährdeten. Rom musste daher immer wieder um neue Absatzmärkte besorgt sein, die es sich durch immer weitere kriegerische Eroberungen erschloss, eben auch Palästina.

      Die Juden wurden daher aus Rom aufmerksam, ja, argwöhnisch, beobachtet.

      Die meisten der anderen in den eroberten Gebieten lebenden Einwohner hatten sich entweder an die römische Herrschaft gewöhnt oder waren nach großen und heftigen Aufständen niedergeworfen worden. Die römische Verwaltung war klug genug, sich nicht in die religiösen Gebräuche der Besatzungsgebiete einzumischen. Sie selbst waren vom Volkscharakter eher rational und auf Effizienz bedachte Menschen, die zwar ihre Götter verehrten, mit Jupiter an der Spitze. Allzu viel Einfluss auf ihr tägliches Verhalten oder Befinden hatten diese Götter aber nicht. Wohl ließen sich die Römer von ihren Auguren die Auspizien lesen, um Weissagungen über die Zukunft zu erhalten, sie fragten nach dem voraussichtlichen Erfolg von Feldzügen und Schlachten, ließen sich aber in ihren grundsätzlichen politischen Entscheidungen eher von wirtschaftlichen und strategischen Erwägungen beeinflussen als von dem, was Götter ihnen prophezeien mochten.

      5.

      Syrien war römische Provinz, eine Neueroberung, die das Reich nach Osten erweitern sollte. Der große Pompeius, der Feldherr, hatte das Land dem römischen Reich einverleibt und war dann nach Süden marschiert, hatte gewissermaßen im Vorbeigehen Palästina miterobert, das Land der Juden. Einen Statthalter hatte er eingesetzt, zunächst in ihrer Hauptstadt Jerusalem, dann in Cäsarea, und erst war auch alles gut gegangen. Die römischen Eroberer kümmerten sich grundsätzlich nie um die Religion der eroberten Völker, jeder sollte glauben, was er von seinen Vätern gelernt hatte, das war römische Tradition und erhielt in vielen Provinzen den Frieden.

      Auch in Palästina folgten sie ihrem bewährten Prinzip. Die römischen Beamten erklärten den jüdischen Autoritäten, sie übernähmen ab sofort die politische Macht, die Wirtschaftsverwaltung und die Justiz, darüber hinaus bestimmten sie die Außen- und Innenpolitik des Landes, alles Übrige bleibe der jüdischen Selbstverwaltung überlassen.

      Nach kurzer Zeit fragten sich die Statthalter allerdings, ob sie damit nicht zu nachlässig gewesen waren, als sie nämlich erfahren mussten, wie groß die Bedeutung der jüdischen Religion für die Politik in Palästina war:

      Da waren zunächst die zwei Regierungen, die mächtige Priesterkaste und der jüdische König. Hatten sie den König endlich dazu gebracht, ihre Verwaltungsanordnungen zu befolgen und bei seinem Volk durchzusetzen, so stellten sie häufig ärgerlich fest, dass die Priester die Anweisungen des Königs und damit der Römer keineswegs akzeptierten, sondern ihren Gläubigen ganz andere Dinge zu tun befahlen. Hatten sie sich daher umgekehrt zuerst an die Priester gewandt und diese überzeugt, konnte es geschehen, dass der König ihnen erbitterten Widerstand entgegensetzte.

      Und schließlich gab es „das Buch“, das ein ständiger Gegenstand ihrer religiösen Gespräche und das ihnen heilig war. Es enthielt ihre Gesetze, sie waren dem Volk Israel, wie sie sich selbst nannten, von ihrem Gott gegeben worden, und die Prophezeiungen ihrer verstorbenen Priester.

      Jeder