Friedrich von Bonin

Judas Ischarioth Träumer, Täter, Täuscher


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aus Jerusalem.

      „Es mag ja sein, dass ihr ihnen gebt, was sie verlangen, aber wir Bauern in Galiläa, wir haben nichts mehr, was wir ihnen geben könnten. Wir haben selbst nichts zu essen und sie wollen immer noch mehr.“

      Verächtlich zog Isaak den Mundwinkel herunter an seinem Feuer. Weiche Feiglinge waren das, in Jerusalem, und nicht in der Lage, ihren Bauern zu helfen. Einer nach dem anderen gab seinen Betrieb auf, den dann reiche Kaufleute aus der Stadt, aus Tiberias, für sehr wenig Geld kauften und durch Verwalter bewirtschaften ließen. Und die richteten nach römischem Vorbild Manufakturen ein, die billig produzieren konnten, ihre Erzeugnisse waren immer noch teurer als die römischen, allerdings auch kaum mehr besser, aber sie verstanden es, sie den Menschen als „Originalware aus Galiläa“, etwas Besonderes, anzubieten, so dass sie verkaufen konnten.

      Die alten Bauern aber, Zacharias, Gad und die anderen, wurden von ihren Höfen verjagt. Hilflos trieben sie in der ersten Zeit auf den Straßen dahin, bettelten, bis zu Skeletten abgemagert, die ebenfalls dürren Kinder an den Händen, bei den Reichen. Immer wieder wurden sie aus den Dörfern vertrieben, weil die verbliebenen Bauern ebenfalls immer ärmer wurden, bis sie in den Städten landeten, in Tiberias, in Cäsarea, selbst in Nazareth, wo es reichere Häuser gab, in der Hoffnung, dass darin mitleidige Menschen wohnten. Aber auch dort wurde ihnen schnell klargemacht, dass sie nicht erwünscht waren. Schließlich fielen sie, sie wurden immer mehr, den römischen Legionären als bettelnde, arme, gesetzlose Menschen auf, die die römische Ordnung störten. Die Offiziere vertrieben sie auch aus den Städten.

      Isaak fröstelte, obwohl ihn das Feuer wärmte. Er sah sich noch, den fünf- sechsjährigen, mit seinem Vater über das Land gehen, allein, einsam. Seine Mutter war dem Schreck nicht gewachsen gewesen, der die Familie ergriff, als ihr reicher Nachbar, der Römerfreund Chaim, der sich selbst den Beinamen „Tertius“ gegeben hatte und den römischen Adelstitel um geheimnisvolle Verdienste erhalten hatte, mit fünf Legionären auf dem Hof erschien und die arme Hütte betrat, in der die Familie zu Abend aß.

      „Ihr verschwindet jetzt hier, und zwar schnell“, sagte er, nicht einmal unfreundlich, „ich habe die Schuldpapiere von Mordechai, dem Geldverleiher, gekauft. Ihr könnt die hundert Sesterzen, die er euch geliehen habt, nicht zurückzahlen, also nehme ich euer Land. Ihr habt hier nichts mehr zu suchen.“

      Isaak erinnerte sich bis heute an den leisen Laut, den seine Mutter von sich gab, als sie die Hände an der Schale, aus der sie trank, verkrampfte, die Schale zu Boden fiel und zerbrach und seine Mutter ganz langsam in sich zusammensank.

      „Das hast du verschuldet, du Römerfreund“, Zacharias sprang auf und wollte Chaim fassen. Aber sofort warfen sich zwei der Legionäre auf ihn, fesselten ihn und trugen ihn hinaus, wohin Isaak ihnen folgte, nach einem letzten Blick auf die Mutter.

      Erst sehr viel später begriff er, dass seine Mutter bei dem brutalen Überfall des Nachbarn gestorben war.

      „Papa“, weinte er, „Mama soll wiederkommen, ich habe Hunger.“

      Zacharias drückte die Hand seines Sohnes fester.

      „Mama wird nicht wiederkommen, Isaak“, flüsterte er mit gebrochener Stimme zu ihm hinunter, „ich weiß, du hast Hunger, warte nur ab, heute Abend wird es was zu essen geben.“

      Das war der Tag, an dem sein Vater zum ersten Mal in ein reiches Haus eingebrochen war. Zacharias hatte erfahren, dass der Besitzer verreist und das Haus nur sehr schwach von drei Sklaven bewacht war, die fest schlafen würden. Isaak musste vor dem Hoftor warten und Wache stehen.

      „Wenn irgendwer kommt, schrei ganz laut und lauf weg, so schnell du kannst“, schärfte ihm sein Vater ein, „lauf immer in diese Richtung bis zum Wald und versteck dich, bis ich wiederkomme.“

      „Und wenn du nicht wiederkommst?“, weinte der Junge.

      „Sei ganz sicher, wenn ich erwischt werde, wird das für die anderen gefährlicher sein als für mich.“ Zacharias Stimme verriet seine Entschlossenheit und grimmig zeigte er dem Sohn das lange Messer, das er an der Seite unter dem Umhang trug.

      Als der Vater aus dem Haus zurückkam und Isaak wieder an der Hand nahm, trug er einen prall gefüllten Beutel auf dem Rücken. Sie gingen ruhig in den Wald, lagerten sich dort und aßen zum ersten Mal seit Wochen wieder ausreichend.

      Immer öfter brach nun Zacharias in Häuser ein, fand Lebensmittel, aber auch Gold, Schmuck und bares Geld der Römer, Sesterzen, so dass sie nicht mehr oft hungern mussten.

      3.

      Isaak schüttelte den Kopf. Es war mittlerweile dunkel geworden, sie hatten vier Feuer entzündet, an denen sie das Gerstenbrot rösteten, um es mit Gurken, Oliven und Käse zu essen. Fleisch gab es nur selten bei ihnen zu essen, nur dann, wenn sie ein Schaf oder eine Ziege erbeuteten, was selten genug geschah.

      Isaak sah von seinem etwas erhöhten Platz auf das Lager. Seine Männer hatten sich um die Feuer herum versammelt, sie lagen auf dem Boden, aßen, tranken und redeten. Gelächter erfüllte den Platz, in einer Lautstärke, die Isaak niemals geduldet hätte, wäre er nicht sicher gewesen, dass sie unbeobachtet und kein Mensch in der Nähe war. Er hatte insgesamt acht Wächter ausgestellt, obwohl er keine Gefahr sah, das war reine Routine. Die Feuer flackerten lebhaft, die Männer hatten ausschließlich trockenes Holz gesammelt, so dass fast kein Rauch zu sehen war. Die Bäume um sie herum waren dicht belaubt, ab und zu drehte sich im leichten Wind, der jetzt aufkam, ein Blatt und erweckte den Eindruck, ein Mensch oder Tier beobachte sie. Die Männer schreckte das nicht, sie waren die Umgebung gewöhnt.

      Über dreißig Rebellen waren hier versammelt, zum Teil zerlumpt, einige besser gekleidet, weil sie von ihren Opfern Hosen, Jacken und Schuhe genommen hatten. Isaaks Gesicht verfinsterte sich: sie waren nicht zimperlich, durften es nicht sein, wenn sie überleben wollten, und so hatte mancher Mann sein Leben lassen müssen, weil er sein Paar Schuhe nicht freiwillig hergegeben hatte. Ihre Kleidung war sehr unterschiedlich, aber auch die zerlumptesten unter ihnen trugen hochwertige Waffen: Schwert und Dolch und Schild die einen, Dolch und Pfeil und Bogen die anderen und alle waren kampferfahren, sie fürchteten keinen Feind, und erst recht nicht die römischen Legionen. Sie hatten sich mit ihren dreißig Mann schon an eine ganze Hundertschaft gewagt, die sie einmal drei Tage lang gejagt hatte. Sie hatten sich in einen Hinterhalt gelegt, hatten ihre Pfeile abgeschossen und waren dann hervorgestürmt. Im Kampf Mann gegen Mann war jeder einzelne seiner Männer jedem Legionär haushoch überlegen, das wusste Isaak.

      In Gedanken kehrte er zum heutigen Tag zurück. Heute hatten sie bessere Beute gemacht, der Römer würde ihnen eine Menge Geld bringen, aber erst einmal musste der römische Statthalter Annius Rufus wissen, dass sein Steuereinnehmer gefangen war und Isaaks Forderung kennen. Wen sollte er nach Cäsarea schicken, wer war klug und mutig genug, um mit dem obersten römischen Beamten zu verhandeln? Er durfte nicht die Gefahr vernachlässigen, in die sich der Bote begab. Es konnte gut sein, dass Annius Rufus ihn hinrichten ließ, wenn er von der Geiselnahme hörte. Die Römer waren für Isaak unberechenbar, entweder ließen sie sich auf Verhandlungen ein oder sie ermordeten seinen Boten, egal, wer es war. Und die Hinrichtungsmethoden der Römer waren grausam. Sie kreuzigten unweigerlich diejenigen, die sie für politische Straftäter hielten, und einen Angriff auf ihren Steuerbeamten würden sie jedenfalls für ein politisches Verbrechen halten. Isaak schüttelte sich. Ein Gekreuzigter, der nicht durch Nägel verwundet, sondern nur an das Kreuz gebunden wurde, starb nicht schnell. Er hing in der Sonne, er verblutete nicht, sondern er verdurstete in drei Tagen, bis alle Flüssigkeit aus ihm gewichen war. Er war eines Tages mit seinem Vater an so einer Hinrichtungsstätte vorbeigekommen und hatte noch heute die heiseren Verzweiflungsrufe des Delinquenten im Ohr, der dort schon den zweiten Tag gehangen hatte.

      Wen also sollte er beauftragen?

      Der beste Unterhändler wäre wohl Mathias, auf ihn hätte Isaak sich am liebsten verlassen, er würde auch gehen, wenn ihn sein Hauptmann darum bat, er würde auch die Gefahr kennen, aber darüber mit jugendlichem Übermut lachen. Isaak hatte Mathias in sein Herz geschlossen, der junge Mann war wie ein Sohn für ihn, nein, den würde er nicht gehen lassen.

      David vielleicht. Ein furchtbarer Kämpfer,