Friedrich von Bonin

Judas Ischarioth Träumer, Täter, Täuscher


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sah ihn durchdringend an.

      „Hast du dir das gut überlegt, Statthalter?“, fragte er, „ich habe dir gesagt, dass dann dein Steuereinnehmer stirbt, und je langsamer ich sterbe, desto qualvoller wird sein Tod sein.“

      „Du hast noch eine Chance“, antwortete Rufus drohend, „du kannst mir versprechen, dass ihr Falba freilasst, ohne Lösegeld, ohne Gegenleistung, dann schicke ich einen Boten zu eurer Bande und biete den Tausch an. Verweigerst du die Mithilfe daran, hängst du morgen am Kreuz.“

      „Ich werde weder dir noch irgendeinem Römer helfen, ich werde dir auch nicht mein Wort geben“, antwortete David kalt, „glaube mir, selbst wenn ich dir helfen würde, käme dein Beamter nicht frei. Isaak wird nicht tun, was du verlangst, selbst wenn ich ihn darum bitte. Falba wird sterben.“

      „Gut, wenn das dein letztes Wort ist, stirbst du auch“, herrschte ihn Rufus an und brüllte „Wache!“

      „Hier, nehmt diesen Mann, er ist ein galiläischer Aufrührer und Terrorist“, befahl er dem eintretenden Centurio, „bindet ihn ans Kreuz, gleich neben dem Stadttor, jeder soll sehen können, wie wir mit solchen Verbrechern umgehen.“

      Sie führten David hinaus und hängten ihn vor dem Tor an ein hohes Kreuz, wo er nach drei Tagen qualvoll starb

      „Du bist ein Barbar“, weinte Flavia am Abend, „du bist schuld, wenn Falba stirbt, ich hasse dich, ich will dich nicht mehr sehen.“

      Rufus nickte traurig. Von diesem Tag an lebten die Eheleute getrennt. Rufus verabscheute das Land mehr denn je.

      8.

      Judas, Davids junger Begleiter, hatte sich in den Tamariskenbüschen nahe der Stadt versteckt, um auf die Rückkehr Davids zu warten. Er war am ersten Tag nicht beunruhigt, dass sein Gefährte nicht zurückkam. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass er bei dem römischen Statthalter ein leichtes Spiel haben würde. Es war klar gewesen, dass sie David erst einsperren und bedrohen würden. Sie mussten sogar damit rechnen, dass die Römer ihn umbrachten, aber das Risiko kannten beide vorher.

      Judas war vielleicht vierzehn, fünfzehn Jahre alt, vielleicht auch ein Jahr älter, wer wusste das schon so genau. Er war eines Tages in dem Lager des Isaak aufgetaucht, einfach so, hatte sich an den sehr aufmerksamen Wachen vorbeigeschlichen, war bei Nacht durch die lagernden Männer gekrochen und hatte den Anführer geweckt.

      „Höre, Isaak, ich bin Judas, ich will mit euch kämpfen.“

      Isaak war aufgesprungen, sofort hellwach.

      „Wie bist du durch unsere Wachen gekommen?“ schrie er so laut, dass mit einem Schlage alle seine Männer aus dem Schlaf gerissen wurden und zu den Waffen griffen.

      „Ich bin einfach durchgekommen“, antwortete Judas leise und bescheiden, „ich habe mich jahrelang darin geübt, unsichtbar zu werden, niemand kann mich sehen, wenn ich mich verstecken will, und schon gar nicht nachts.“

      „Das werden wir sehen“, Isaak war immer noch voller Grimm, dass dieser Grünschnabel so einfach direkt neben ihm im Lager aufgetaucht war. Was, wenn die Römer einen ebenso geschickten Spion hatten?

      „Wir machen morgen früh die Probe. Da wirst du dich an mich schleichen, und wehe dir, wenn ich dich erwische. Jetzt legen wir uns wieder hin, du wirst von fünf Männern bewacht, versuche ja nicht, zu fliehen.“

      „Warum sollte ich fliehen?“ Judas Stimme hatte einen kecken Unterton, „ich habe mich ja hergeschlichen, um hierzubleiben, nicht um wegzulaufen.“

      Am nächsten Tag hatte der Junge erstaunliche Proben seiner Geschicklichkeit abgegeben, sich selbst aufmerksamen Personen unbemerkt zu nähern.

      „Und kannst du kämpfen?“ fragte Isaak danach.

      Wortlos deutete Judas auf den Dolch, den er im Gürtel trug.

      „Stell mich auf die Probe“, sagte er.

      „Los, wirf den Dolch auf den Stamm dieser Terebinthe“, befahl Isaak und wies auf den Baum, der etwa sechs Schritt von Judas entfernt war. „Nein, das ist zu leicht“, antwortete Judas, „auf den Olivenbaum da hinten will ich werfen, der ist schmaler und weiter weg.“

      Das Bäumchen stand in einer anderen Richtung, war zehn Schritte entfernt und nur so breit wie sein Handgelenk.

      Judas stellte sich vor den Baum, zog den Dolch aus dem Gürtel, warf ihn so schnell, dass die anderen die Bewegung kaum sehen konnten, und traf den Stamm.

      Und dann, zum Entsetzen der anderen, flog ein zweiter Dolch auf die Olive zu und grub sich einen Fingerbreit unter den ersten tief hinein.

      „Das ist meine Art zu kämpfen“, rief Judas stolz, „wollt ihr mich jetzt haben?“

      „Aber Junge, wo kam denn das zweite Messer her?“, fragte Mathias erstaunt.

      „Ich habe immer zwei Messer bei mir, das eine sichtbare, vor dem sich meine Feinde in Acht nehmen können, das zweite habe ich hier, in meinem Ärmel, in der Scheide, mit einer Schlaufe festgebunden. Es steckt so leicht in der Hülle, dass ich es mit einem Ruck des Arms in die Hand bekomme und werfen kann.“

      Judas zeigte den Umstehenden die Vorrichtung an seinem Ärmel. Zum Beweis steckte er das Messer in die Scheide, ein kurzer Ruck und er hatte es wurfbereit in der Hand.

      „Mann, du bist ja sehr gefährlich“, rief Isaak.

      „Noch viel gefährlicher“, gab Judas zurück. „Seht, wenn ich beide Messer geworfen habe, bin ich nicht wehrlos, ich habe hier, unter meinem Umhang, an einer Schnur ein drittes Messer. Erst wenn ich das geworfen habe, bin ich ohne Waffen.“

      Die Männer setzten sich auf einen Wink ihres Hauptmannes hin, um ihr Frühstück einzunehmen. Isaak lud den Gast zu seinem Feuer ein, um ihn auszufragen, was er hier bei seinen Leuten wollte und woher er käme.

      „Aber was interessieren euch meine Eltern, wofür ist es wichtig, warum ich zu euch gekommen bin?“ rief Judas selbstbewusst aus, „reicht es nicht, dass ich ein guter Kämpfer bin und euch helfen kann?“

      „Nein, das reicht eben nicht“, entgegnete Isaak ernst, „sieh mal, wir kämpfen hier nicht einfach, um zu rauben und uns reich zu machen. Klar, vieles von dem, was wir erbeuten, verbrauchen wir selbst, weil wir uns ernähren müssen. Aber vor allem haben wir uns zusammengetan, weil wir immer stärker werden und mit unserer Stärke die Römer bekämpfen wollen, und zwar so lange, bis unsere Landsleute merken, dass wir alle gemeinsam die Besatzer besiegen können und müssen. Wir wollen sie aus dem Land vertreiben, sie zerstören unsere Wirtschaft, unsere Kultur, alles.“

      „Ja, aber gegen die Römer will ich doch auch kämpfen.“ Judas war voller Eifer, „so lange ich denken kann, habe ich diese kalten, nüchternen Menschen mit den Quadratschädeln gehasst. Sie haben aus meinem Vater, den ich noch als starken und selbständigen Mann kannte, ein schwaches und jammerndes lebendes Wrack gemacht und ihn dann getötet, das sollen sie mir bezahlen.“

      Daran dachte Judas jetzt, als er in Deckung in den Büschen lag. Der zweite Tag des Wartens war vergangen, und Judas hoffte, dass David nun bald zurückkehren würde, und zwar erfolgreich. Aufmerksam beobachtete er aus seinem Versteck die Straße, die zur Stadt führte, und das Stadttor. Er hatte den Tag über die glühende Hitze nicht bemerkt, die ihm das Blut aus den Adern saugen wollte, immer hatte er nach David Ausschau gehalten. Viele Menschen hatte er in die Stadt gehen und aus ihr herauskommen sehen, aber David war nicht darunter gewesen. Stolz hatte Judas mit dem Wasser gespart und nur dann getrunken, wenn er kurz vor dem Verdursten war.

      Am Abend dieses Tages marschierte eine Kohorte römischer Legionäre aus dem Stadttor, sie führten einen Gefangenen mit sich, aber sie kamen nicht näher, sondern brachten den Gefangenen neben das Tor, wo sie eines ihrer hohen Kreuze errichteten, an die sie die von ihnen Verurteilten hingen. „Armer Kerl“, dachte Judas, „sie wollen ihn hinrichten.“

      Und dann wurde er aufmerksam. Er kannte den stolzen, aufrechten Gang, mit dem der Gefangene zwischen den Römern schritt, er kannte das