Friedrich von Bonin

Judas Ischarioth Träumer, Täter, Täuscher


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noch einmal versucht. Und so ist er durch das Tor gekommen und hat im Palast angeklopft. Die Wächter dort konnten mit ihm nichts anfangen und haben mich gerufen. Er heißt David, sagt er und hat eine wichtige Botschaft für den Statthalter. Immer wieder hat er betont, dass die Botschaft für die Römer wichtig sei, nicht für ihn.“

      „Und wo ist er jetzt?“

      „Ich habe ihn in die Wachstube führen lassen, man hat ihm Brot und Wein gegeben und da wartet er jetzt auf deine Entscheidung.“

      Unwillig dehnte sich Rufus in seinem Sessel. Sie waren unmöglich, die Juden, aber vielleicht hatte dieser eine ja wirklich eine wichtige Botschaft? Rufus wog ab, war seine Neugier größer oder seine Angst, von so einem dahergelaufenen Bewohner seines Bezirkes hereingelegt und lächerlich gemacht zu werden? Aber er hatte sich ohnehin schon zu viel mit diesem Mann beschäftigt, jetzt kam es darauf nicht mehr an.

      „Also gut, führ ihn ins Audienzzimmer und sag mir Bescheid, wenn er da ist, dann höre ich mir an, was er zu sagen hat.“

      Nach zehn Minuten ging der Statthalter langsam und würdig in den Saal, in dem er Besucher empfing. Er wusste, dieser Raum machte Eindruck auf jeden, er war mit dicken Teppichen belegt, die Wände waren geschmückt mit Bildern vom Kaiser in goldenen Rahmen, Jagdszenen, Waffen aus seinen Kriegszügen waren da ausgestellt, unter anderem ein mit Edelsteinen verzierter persischer Krummsäbel.

      Als er den Raum betrat, sah er sich einem großen, muskulösen Juden gegenüber, der in einfachste Lumpen gekleidet war. Er war unbewaffnet, wenn er Waffen gehabt hatte, waren ihm die abgenommen worden.

      „Ich bin Annius Rufus, Statthalter in Juda, du hast mit mir zu sprechen verlangt.“ Hochmütig sah er den Besucher aus seinen kurzsichtigen Augen an.

      David ließ sich Zeit, den Römer zu betrachten. Er war trotz seines hohen Postens schlank, er hielt sich sehr aufrecht. Das Gesicht wurde von einer großen, gekrümmten Nase beherrscht, stechend und streng fixierten ihn die schwarzen Augen. David erinnerte sich daran, was er über diesen Statthalter gehört hatte: Ein herrischer Mann sollte er sein, schnell aufbrausend, aber nicht sehr gewalttätig.

      „Nun, was starrst du?“ Rufus wurde ungeduldig, „dafür, dass du mit mir sprechen willst, bist du sehr schweigsam. Also sag, was du zu sagen hast und dann geh deiner Wege.“

      „Statthalter“, begann David und seine Augen blitzten, „mich schickt Isaak Ben Zacharias, ich glaube, du hast von ihm gehört.“

      „Der Isaak? Isaak, der Terrorist? Bist du wahnsinnig geworden?“ Annius Rufus konnte es nicht glauben, seine Stimme war leise und gepresst vor Grimm. „Du wagst es, mir hier, in meinem Palast, meine Legionäre um mich herum, zu sagen, dass du ein Komplize dieses Isaak bist? Ich werde dich auf der Stelle hinrichten lassen, und das ist das Humanste, was ich machen kann.“ Er wischte sich den Schweiß mit dem Tuch von der Stirn, die sommerliche Hitze hatte vor dem Audienzzimmer nicht Halt gemacht.

      „Willst du nicht erst die Botschaft hören, die ich dir bringe?“

      Auch David sprach leise, ihm schien die Temperatur nichts anzumachen.

      „Also gut, sag deine Botschaft, damit ich die Wache rufen kann.“

      „Wir haben deinen Steuereinnehmer gefangen, Lucius Falba, mitsamt den Steuern, die er unseren Landsleuten gestohlen hat. Wenn du ihn wiederhaben willst, musst du mir achtzigtausend Sesterzen geben, wir lassen ihn dann frei, das lässt dir Isaak sagen.“

      Rufus stand sprachlos. Eine so impertinente Botschaft hatte er in seiner ganzen Laufbahn nicht erhalten. Als er sich gefasst hatte, ging er zur Tür und öffnete sie.

      „Wache!“ schrie er, und vier Legionäre mit gefällten Speeren betraten den Raum.

      „Nehmt diesen Juden fest, er ist ein Terrorist und Mörder, ich werde ihn hinrichten lassen. Sperrt ihn ein. Du, Decurio, haftest mir mit deinem Kopf dafür, dass er morgen noch da ist, und zwar lebendig.“

      Der Decurio trat hinter David, der sich widerstandslos fesseln und abführen ließ.

      5.

      „Wen hast du denn da heute Morgen empfangen?“ Flavia war eine große, selbstsichere Frau. Annius Rufus hatte sie geheiratet, weil sie eine gute Partie war und weil Kaiser Augustus sie ihm empfohlen hatte, aber nicht zuletzt auch deswegen, weil sie so stolz und schön war. Mit den kohlschwarzen Haaren, dem aufrechten Gang ihrer schlanken Gestalt und im vollen Bewusstsein ihrer vornehmen Herkunft aus dem Geschlecht der Flavier saß sie ihm bei ihrem allmorgendlichen späten Frühstück gegenüber.

      „Da war ein aufdringlicher Jude, der meinte, er müsse unbedingt mit mir sprechen“, antwortete Annius, „es ist ihm aber nicht so gut bekommen.“

      „Wieso nicht gut bekommen?“

      „Na, ich habe ihn einsperren lassen, morgen bei Sonnenaufgang wird er gekreuzigt.“

      „Und sein Verbrechen?“ Annius Rufus liebte es, mit seiner Frau die Staatsgeschäfte zu besprechen, sie hatte ihm mit ihrer Klugheit und ihrer weitläufigen Bildung so manchen guten Rat gegeben, er war geneigt, auf sie zu hören.

      „Ein Terrorist war das, ein Abgesandter dieses Isaak, du hast seinen Namen schon gehört. Dieser Isaak führt einer der schlimmsten Banden in unserer Provinz an, die doch wirklich mit Kriminellen allzu reichlich gesegnet ist.“

      „Richtig, du hast es mir erzählt. Ist dieser Isaak nicht sogar ein politischer Aufrührer?“

      „Das weiß man bei solchen Leuten nie so genau, aber richtig ist, dass er zum Widerstand gegen unseren Kaiser und seine Behörden aufruft. Wir hätten ihn und seine Familie und viele andere Familien arm gemacht, so behauptet er immer wieder, dabei sind sie einfach nur arbeitsscheu. Wer arbeiten will im Reich, der verhungert auch nicht.“

      „Und weshalb ist der Mann zu dir gekommen?“

      „Er nannte sich David und behauptet, Isaak hätte einen unserer Steuerbeamten entführt und verlangt nun ein Lösegeld von achtzigtausend Sesterzen.“

      Flavia lächelte verächtlich.

      „Der ist ja verrückt“, meinte sie leichthin, „und so einer soll ein berühmter Hauptmann sein?“

      „Das habe ich David auch gesagt, bevor ich ihn habe verhaften lassen. Sollen sie doch ihren Falba behalten, wir haben noch mehrere Steuerbeamten.“

      Flavia stutzte: „Falba? Den haben sie gefangen genommen? Lucius Falba?“

      Rufus nickte nachlässig. „Ja, Lucius Falba ist in ihrer Gewalt, für ihn wollen sie das Lösegeld haben.“

      Flavia war jetzt aufgeregt.

      „Aber, mein Annius, wenn es Lucius ist, über den wir reden, den musst du mir freikaufen, auf jeden Fall, bitte. Lucius Falba ist ein entfernter Verwandter von mir, er ist ein Schwager meiner Schwester, du musst dich doch an ihn erinnern.“

      Flavia war jetzt gar nicht mehr herrschaftlich. Sie sah ihren Mann flehend an.

      „Mein Gatte, Annius. Du hast bei ihrer Hochzeit viel mit ihm gesprochen, erinnerst du dich? Und du hast ihm sogar den Posten verschafft, bei dem er jetzt in die Hände der Bande gefallen ist. Du musst ihm helfen, das kannst du doch, oder?“

      Rufus lehnte sich zurück und sah sich um, während er nachdachte. Der Palast des Statthalters in Cäsarea war von dem ersten Inhaber dieses Postens sehr aufwändig errichtet und eingerichtet worden. Dieses Zimmer, das er mit seiner Frau nur nutzte, um die Morgenmahlzeit einzunehmen, enthielt einen langen Esstisch, der mit wertvoll geschnitzten und behaglich gepolsterten Stühlen umstanden war. Er fühlte sich immer etwas einsam, wenn sie zu zweit daran saßen, leicht zwanzig Personen hätten hier untergebracht werden konnten. Dieser Raum war der einzige im ganzen Palast, in dem er Gäste bewirten konnte, die es nicht gewohnt waren, nach römischer Sitte an niedrigen Tischen auf Polstern zu liegen und in dieser Stellung die Mahlzeiten einzunehmen. Er hatte sich an die sitzende Position, die in Rom sonst nur der Hausfrau oder niederen Gästen vorbehalten war, gewöhnt und Gefallen daran