Robert Louis Stevenson

Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke


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Ihr seht, kann ich auch dichten, nur will es sich nicht reimen«, bemerkte sie und fuhr dann fort:

      »Ich bin Barbara Grant, des Lord Staatsanwalts Tochter,

      Und Ihr seid, wie mich dünket, Dauvit Balfour.«

      Ich sagte ihr, daß ihr Talent mich in Erstaunen setze. »Und wie heißt die Melodie?« erkundigte sie sich. »Ich kenne ihren richtigen Namen nicht«, entgegnete ich. »Ich nenne sie einfach ›Alans Lied‹.«

      Sie sah mir gerade ins Gesicht. »Ich werde sie ›Davids Lied‹ nennen,« meinte sie, »obwohl es mich nicht wundert, falls sie im geringsten den Liedern gleicht, die Euer israelitischer Namensvetter Saul vorsang, daß der König nur wenig Trost daraus schöpfte; es ist eine melancholische Musik. Der andere Name gefällt mir nicht; wenn Ihr also Eure Melodie je wieder hören wollt, müßt Ihr mich schon unter meiner Überschrift darum bitten.« Das wurde mit so vielsagender Betonung gesprochen, daß ich im Herzen erschrak. »Weshalb denn, Miß Grant?« forschte ich. »Nun,« meinte sie, »solltet Ihr je dazu kommen, gehenkt zu werden, so will ich Eure Abschiedsrede und Beichte nach dieser Melodie setzen und singen.« So erhielt ich die unzweifelhafte Gewißheit, daß sie zum Teil wenigstens von meiner Geschichte und der mir drohenden Gefahr unterrichtet war. Aber woher und in welchem Umfange, das war eine schwierigere Frage. Es war klar, sie wußte, daß mit dem Namen Alan irgendeine Gefahr verbunden war und warnte mich auf diese Weise, ihn noch weiter zu erwähnen; es war auch klar, daß sie von dem kriminellen Verdacht wußte, der auf mir ruhte. Ich vermutete ferner, daß die Brutalität ihrer letzten Rede (der sie im übrigen noch ein sehr lautes Musikstück folgen ließ) unserer gegenwärtigen Unterhaltung ein Ende machen sollte. Ich stand also da und gab vor, ihr zuzuhören und ihr Spiel zu bewundern; in Wahrheit jedoch wirbelten mir die Gedanken im Kopfe herum. Stets habe ich bei der betreffenden jungen Dame eine starke Neigung für das Geheimnisvolle gefunden, und sicher ist, daß diese erste Unterredung uns in Tiefen führte, die jedes Lotversuchs spotteten. Das eine habe ich viel später erfahren: man hatte von jenem Sonntag guten Gebrauch gemacht. Der Bankbediente war aufgespürt und mein Besuch bei Charles Stuart entdeckt worden, und man hatte daraus den Schluß gezogen, daß ich mit James und Alan ziemlich tief unter einer Decke stecke und mit dem letzteren wahrscheinlich in ständiger Verbindung stände. Daher hier am Spinett der Wink mit dem Zaunpfahl.

      Mitten in diesem Musikstück rief eines der jüngeren Fräulein, das sich an einem der Fenster, die auf den Hof hinausgingen, aufgehalten hatte, ihren Schwestern zu, rasch einmal herzukommen; dort wären wieder die »Grauen Augen«. Alle sprangen eilig auf und drängten sich zusammen, um einen Blick zu erhaschen. Das Fenster befand sich an einer fernen Ecke des Zimmers, unmittelbar über der Haustür, und wurde von dem Hof flankiert.

      »Kommt, Mr. Balfour,« riefen sie alle, »kommt her und seht! Ein wunderschönes Geschöpf! Die ganzen letzten Tage hält sie sich zusammen mit den zerlumpten Kerlen hier in einem Winkel des Hofes auf, und doch scheint sie eine vollkommene Dame!«

      Ich hatte es nicht nötig, hinzusehen; und ich schaute auch nicht zweimal oder gar zu lange hin. Ich fürchtete, sie könnte mich dort entdecken, wie ich aus dem Musikzimmer auf sie herabblickte, während sie da unten stand und für ihren Vater drinnen im Hause, dessen Bitten ich eben erst zurückgewiesen hatte, vielleicht unter Tränen um Gnade flehte. Aber schon der eine Blick genügte, um mir eine bessere Meinung von mir selbst zu geben und meine Angst vor den Damen zu verscheuchen. Sie waren schön, das stand außer jedem Zweifel, aber Catriona war auch schön, zudem von einer Art innerlichem Feuer wie eine glühende Kohle. In dem Maße, wie die anderen mich bedrückten, steigerte sie mein Selbstvertrauen. Es fiel mir ein, daß ich mich mühelos mit ihr unterhalten hatte. Wußte ich mit diesen vornehmen Fräulein nichts anzufangen, so war das vielleicht deren eigene Schuld. In meine Verlegenheit begann sich jetzt ein wenig Humor zu mischen, der meine Stimmung etwas hob; und wenn die Tante von ihrer Stickerei aufsah und die drei Töchter mir wie einem Baby schöntaten, während auf »Papas Befehl« aus jeder ihrer Mienen zu lesen war, hätte ich mitunter selber lachen mögen.

      Nach einer Weile kehrte Papa zurück, immer noch der gütige, fröhliche, liebenswürdige Mann. »Jetzt, Mädchen, muß ich Euch Mr. Balfour wieder entführen; ich hoffe aber, es ist Euch gelungen, ihn zur Rückkehr dorthin zu bewegen, wo ich ihn stets gerne sehen werde.« Also machten sie mir alle ein billiges Kompliment, und ich wurde abgeführt. War dieser Besuch im Schoße der Familie geplant, um meinen Widerstand zu beugen, so scheiterte er kläglich. Ich war kein solcher Esel, nicht zu merken, welche traurige Rolle ich gespielt hatte; und erkannte, daß die Mädchen sich zu Tode gähnen würden, sobald sie nur meinen steifen Rücken sähen. Ich fühlte genau, wie wenig ich gezeigt hatte, was an Zartem und Liebenswürdigem in mir lebte; so sehnte ich mich denn danach, beweisen zu können, daß ich zum mindesten des andern Stoffs, des Harten und Gefährlichen, nicht entbehrte. Nun, ich sollte meinen Willen haben, denn die Szene, die jetzt meiner harrte, war von ganz anderer Art.

      Ein Mann erwartete uns in Prestongranges Studierzimmer, den ich schon auf den ersten Blick nicht ausstehen konnte, so wie man ein Frettchen oder einen Ohrwurm verabscheut. Er war bitter häßlich, schien jedoch ein vollkommener Gentleman und hatte ein stilles Wesen, das indes plötzlicher Attacken und heftiger Zornausbrüche fällig war, und eine leise Stimme, die, wenn es ihm paßte, schrill und drohend werden konnte. Der Staatsanwalt stellte uns auf zwanglos liebenswürdige Art vor. »Das hier, Fraser,« meinte er, »ist Mr. Balfour, von dem ich Euch erzählt habe. Mr. David, Mr. Simon Fraser, den wir früher unter einem anderen Namen kannten – aber das ist eine alte Geschichte. Mr. Fraser hat etwas mit Euch zu besprechen.« Mit diesen Worten trat er zu seinen Bücherschränken und machte sich am andern Ende des Zimmers mit einem Quartbande zu schaffen. So blieb ich allein mit dem Menschen, den ich von allen auf der Welt am wenigsten erwartet hätte. Die Art der Vorstellung ließ keinen Zweifel zu; dieser Mann konnte niemand anders sein als der verfehmte Herr von Lovat, das Haupt des großen Clans Fraser. Ich wußte, daß er sich während der Rebellion an die Spitze seiner Leute gestellt hatte; ich wußte, seines Vaters Kopf – der Kopf des alten Lords, des »grauen Fuchses vom Berge« – war jenes Verbrechens wegen auf dem Block gefallen, und das Vermögen der Familie war sequestiert und ihr Adel gelöscht. Ich konnte mir nicht denken, was er in Grants Haus zu schaffen hatte; ich kam nicht auf den Gedanken, daß man ihn an das Gericht berufen hätte, daß er seine ganze Überzeugung abgeschworen und jetzt so weit um die Gunst der Regierung buhlte, daß er sich nicht scheute, in der Appiner Mordsache als stellvertretender Staatsanwalt zu erscheinen. »Nun, Mr. Balfour,« hub er an, »was sind das für Dinge, die ich von Euch hören muß.« »Es kommt mir nicht zu, voreilig zu urteilen,« erwiderte ich, »wenn jedoch der Herr Staatsanwalt Euer Gewährsmann ist, betone ich, daß er über alles Bescheid weiß.« »Ich will Euch nur gleich sagen, daß man mich mit der Appiner Mordsache betraut hat,« fuhr er fort, »und daß ich unter Prestongrange auftreten werde; nach meinem Studium der Aussagen bei dem Vorverhör kann ich Euch versichern, Ihr seid gänzlich im Irrtum. Die Schuld Alan Brecks ist offenbar; und Eure Zeugenaussage, in der Ihr zugebt, ihn im entscheidenden Moment auf dem Hügel gesehen zu haben, wird genügen, ihn zu hängen.« »Es dürfte ziemlich schwer sein, ihn zu hängen, so lange man ihn nicht hat,« bemerkte«ich. »Und was die andern Dinge betrifft, so möchte ich Euch durchaus nicht dreinreden.«

      »Der Herzog ist von allem unterrichtet«, fuhr er fort. »Ich komme soeben von Seiner Gnaden und er hat sich mir gegenüber mit dem Freimut geäußert, der einem so großen Edelmanne ziemt. Er nannte Euch bei Namen, Mr. Balfour, und erklärte im voraus seine Dankbarkeit, falls Ihr Euch von denen leiten ließet, die Euer eigenes Interesse und die Interessen Eures Vaterlandes so viel besser verstehen als Ihr selbst. Dankbarkeit ist im Munde eines solchen Mannes keine leere Phrase: experto crede. Ich nehme an, Ihr wißt einiges über meinen Namen und meinen Clan und von dem verdammenswerten Beispiel und beklagenswerten Ende meines seligen Vaters, von meinen eigenen Mißgriffen ganz zu schweigen. Nun, ich habe mit dem guten Herzog meinen Frieden gemacht; er hat sich für mich bei unserem Freunde Prestongrange verwendet, und hier sitze ich wieder fest im Sattel und trage sogar einen Teil der Verantwortung in diesem Prozeß gegen die Feinde König Georgs, der die schamlos-dreiste Kränkung seiner Majestät rächen soll.« »Ohne Zweifel eine stolze Stellung für Eures Vaters Sohn«, bemerkte ich. Er runzelte