mein Vater fürchtet sich vor ihr.« Der Name ihres Vaters ließ mich innehalten. Ich sah sie an, wie sie da an meiner Seite ging; ich stellte mir den Mann vor und das wenige, was ich von ihm wußte, sowie all das, was ich vermutete; dann verglich ich die beiden und kam mir bei meinem Schweigen wie ein Verräter vor. »Übrigens habe ich Euren Vater erst heute morgen getroffen«, sagte ich. »Wirklich?« rief sie mit so freudiger Stimme, daß sie meiner zu spotten schien. »Ihr sahet James More? Ihr habt doch nicht etwa mit ihm gesprochen?« »Auch das«, antwortete ich.
Und nun, glaube ich, nahmen die Dinge den denkbar schlechtesten Verlauf für mich – sie schenkte mir einen Blick voll tiefster Dankbarkeit. »Ich danke Euch«, sagte sie. »Ihr habt mir sehr wenig zu danken«, entgegnete ich und verstummte von neuem. Aber es schien, daß ich mich wenigstens von einem Teil der Last, die mich drückte, befreien müßte. »Ich habe sehr häßlich zu ihm gesprochen,« sagte ich, »ich konnte ihn nicht recht leiden; ich war nicht freundlich zu ihm, und er war böse auf mich.« »Ich meine, dazu hattet Ihr sehr wenig Recht, und noch viel weniger Recht, es seiner Tochter zu erzählen!« rief sie laut. »Aber wer ihn nicht liebt und ehrt, den will auch ich nicht kennen.« »Ich möchte Euch noch ein Wort sagen«, fuhr ich zitternd fort. »Vielleicht sind weder Euer Vater noch ich in der besten Laune, wenn wir uns bei Prestongrange befinden. Ich nehme an, wir haben beide gefährliche Dinge dort zu erledigen, denn es ist ein gefährliches Haus. Er tat mir außerdem leid, und ich war der erste, mich in ein Gespräch einzulassen, und ich hätte Gescheiteres tun können. Im übrigen bin ich der Ansicht, daß seine Aussichten sich bald bessern werden; Ihr sollt sehen!«
»Durch Eure Freundschaft jedenfalls nicht, das sehe ich«, entgegnete sie. »Und für Euer Mitleid läßt er Euch herzlich danken.« »Miß Drummond,« rief ich, »ich stehe ganz allein auf der Welt ...« »Das wundert mich nicht«, sagte sie.
»O laßt mich reden«, flehte ich. »Ich will nur dies eine Mal reden und Euch dann, wenn Ihr's wünscht, auf immer verlassen. Ich bin heute in der Hoffnung auf ein gutes Wort zu Euch gekommen; ich brauche es so nötig. Ich weiß, das, was ich sagte, muß Euch verletzen; ich wußte es, als ich es aussprach. Es wäre so leicht gewesen, zu heucheln und Euch zu belügen; könnt Ihr Euch nicht denken, wie groß die Versuchung war? Könnt Ihr nicht in meinem Herzen die Wahrheit leuchten sehen?« »Ich glaube, Mr. Balfour, hier ist viel Lärm um nichts«, entgegnete sie. »Ich meine, wir wollen es mit dieser Begegnung bewenden lassen und wie gesittete Menschen auseinandergehen.« »O, macht, daß wenigstensein Mensch an mich glaubt,« bettelte ich, »ich kann es sonst nicht ertragen. Die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen. Wie soll ich sonst mein furchtbares Los ertragen? Wenn gar keiner an mich glaubt, kann ich es nicht tun. Dann muß der Mann eben sterben, dann kann ich es nicht.« Sie hatte bisher hocherhobenen Hauptes vor sich hingestarrt; bei meinen Worten und dem Ton meiner Stimme jedoch blieb sie unvermittelt stehen. »Was sagt Ihr da?« fragte sie. »Wovon redet Ihr?« »Mein Zeugnis kann einen Unschuldigen retten,« fuhr ich aufgeregt fort, »und sie wollen nicht dulden, daß ich es ablege. Was würdet Ihr an meiner Stelle tun? Ihr, deren Vater in Gefahr schwebt, könnt Euch in meine Lage versetzen. Würdet Ihr die arme Seele im Stich lassen? Sie haben alle Mittel an mir versucht. Sie haben mich bestechen wollen; sie haben mir Geld und Güter angeboten. Und heute erst hat der Bluthund mir klar gemacht, wo ich in Wahrheit stehe, und was er alles tun würde, um mich zu morden und mit Schande zu überhäufen. Man will mich als des Mordes mitschuldig bezichtigen; ich soll Glenure gegen Geld und alte Kleider in ein Gespräch gelockt haben. Ich soll getötet und entehrt werden. Soll ich auf diese Weise umkommen, ich, der ich kaum noch ein Mann bin – soll es wirklich dazu kommen, daß ganz Schottland dies von mir glaubt – solltet auch Ihr das von mir glauben und mein Name nur als ewiger Fluch weiterleben – Catriona, wie kann ich es dann durchführen! Das ist unmöglich, das geht über Menschenkraft!« – Meine Worte brachen in wilder Erregung aus mir hervor, einander überstürzend; als ich innehielt, sah ich, daß sie mich erschrocken anblickte. »Glenure? Es ist der Appiner Mord!« sagte sie leise, aber auf das höchste erstaunt. Ich war vorhin umgekehrt, um sie zu begleiten, und wir befanden uns jetzt dicht vor der Höhe über dem Dorfe Dean. Bei diesen Worten versperrte ich ihr plötzlich mit der Miene eines Mannes, der den Verstand verloren hat, den Weg. »Um Gottes willen!« schrie ich, »um Gottes willen, was habe ich getan! Ich muß behext sein, so zu reden!« »Gott im Himmel, was fehlt Euch jetzt?« rief sie.
»Ich habe mein Ehrenwort gegeben«, stöhnte ich. »Ich habe mein Ehrenwort gegeben, und jetzt habe ich es gebrochen! O Catriona!« »Ich frage Euch, worum es sich handelt«, sagte sie. »Waren das die Dinge, von denen Ihr nicht sprechen durftet? Und glaubt Ihr etwa, ich hätte kein Ehrgefühl? Oder daß ich ein Mensch sei, der einen Freund verrät? Hier hebe ich meine rechte Hand hoch und schwöre Euch –«
»O, ich wußte, daß ich mich auf Euch verlassen konnte«, rief ich. »Ich dagegen – seht Ihr, das ist's! Ich, der ich erst heute morgen ihnen trotzte und lieber einen schimpflichen Tod am Galgen erleiden wollte als Unrecht tun – ich werfe wenige Stunden später in einem ganz gewöhnlichen Gespräch auf der Landstraße meine Ehre weg! ›Das eine geht klar aus unserer Unterredung hervor,‹ sagte er, ›ich kann mich auf Euer Wort verlassen.‹ Und wo ist mein Wort jetzt? Wer würde mir jetzt noch glauben? Ihr könnt mir doch nicht mehr trauen. Ich bin ganz tief gesunken; das beste wäre, ich stürbe!« Das alles sagte ich mit weinender Stimme, doch blieben mir Tränen versagt.
»Mir tut das Herz weh um Euretwillen,« entgegnete sie, »aber Ihr seid zu gewissenhaft, glaubt mir. Ihr meint, ich könnte Euch nicht mehr trauen? Es gibt nichts auf der Welt, in welchem ich mich nicht auf Euch verlassen würde. Und diese Männer? Ich würde mir ihretwegen nicht das Herz schwer machen! Männer, die nur auf Mittel und Wege sinnen, um Euch Fallen zu stellen und Euch zu verderben! Pfui, jetzt ist nicht die Zeit, sich selbst zu erniedrigen. Blickt auf! Wißt Ihr denn nicht, daß ich Euch bewundere, wie die großen Helden aus alter Zeit? Und nur weil Ihr ein Wort zuviel einem Freunde gegenüber habt fallen lassen, macht Ihr davon so viel Aufhebens! Wir müssen es beide vergessen!«
»Catriona«, sagte ich, und blickte sie beschämt und zerknirscht an, »ist das wirklich wahr? Habt Ihr immer noch zu mir Vertrauen?«
»Wollt Ihr selbst meinen Tränen nicht glauben?« rief sie. »Ich halte mehr als die ganze Welt von Euch, David Balfour. Mögen sie Euch hängen, ich werde Euch niemals vergessen; ich will alt werden und Eurer gedenken. Ich finde es groß, so zu sterben; ich werde Euch um Euren Galgen beneiden.«
»Dabei bin ich vielleicht nur ein dummes Kind, das sich vor Gespenstern fürchtet!« sagte ich. »Vielleicht führen sie mich doch nur an der Nase herum.«
»Das muß ich jetzt erfahren«, sagte sie. »Ich muß alles hören. Der Schaden ist nun schon geschehen, und ich muß das Ganze hören.«
Ich hatte mich am Wegrand niedergelassen, und sie setzte sich jetzt neben mich. Dann erzählte ich ihr alles, was ich hier geschrieben habe, und ließ lediglich meine Gedanken über ihres Vaters Verhalten aus.
»Nun,« meinte sie, als ich geendet hatte, »Ihr seid ein Held, das ist klar; ich hätte es niemals von Euch gedacht! Und ich glaube auch, daß Ihr Euch in Gefahr befindet. Oh, Simon Fraser! Was für ein Mensch! Sich um seines Lebens willen und für schmutziges Geld in einen derartigen Handel einzulassen.« Dann gebrauchte sie eine merkwürdige Redensart, die sie liebte und die wohl ihrer Muttersprache entstammte: »Du meine Qual! Seht nur die Sonne!«
Tatsächlich ging die Sonne bereits hinter den Bergen unter.
Sie forderte mich auf, bald wiederzukommen, reichte mir die Hand und ließ mich in einem Wirbel froher Gedanken zurück. Ich zögerte noch, mich in meine Wohnung zu begeben, denn ich hatte große Angst, sofort verhaftet zu werden. Daher aß ich in einem Wirtshause zu Abend und wanderte den größeren Teil der Nacht in den Gerstenfeldern umher und fühlte mich Catriona ganz nahe, fast als trüge ich sie auf den Armen.
Achtes Kapitel Der Bravo
Am folgenden Tage, dem 29. August, begab ich mich, wie verabredet, zum Lord Staatsanwalt, ausstaffiert mit einem neuen Rock, den ich mir nach Maß hatte anfertigen lassen.
»Aha,« sagte Prestongrange, »Ihr seht heute nobel aus; meine jungen Fräulein sollen einen eleganten