Robert Louis Stevenson

Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke


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unwürdig; jedoch meine eigene Geschichte, so wie Mr. Simon sie vor Gericht darstellen wollte, schien, was schiere Gemeinheit und Feigheit anbetraf, in jeder Hinsicht eine exakte Parallele bilden zu sollen.

      Die Stimmen zweier Lakaien von Prestongrange, die sich auf der Türschwelle unterhielten, brachten mich wieder zu mir selbst.

      »Heda«, sagte der eine, »der Zettel hier ist sofort dem Kapitän zu überbringen.«

      »Ist der Hochlandsbandit etwa wieder herbefohlen?« fragte der andere.

      »Es scheint so«, entgegnete der erste. »Der Alte und Simon wollen ihn sprechen.«

      »Ich glaube, Prestongrange ist verrückt geworden«, meinte der andere. »Er wird James More nächstens noch ins Bett nehmen.«

      »Na, es ist weder deine noch meine Sache«, erklärte der erste.

      Und sie trennten sich, der eine, um seinen Auftrag zu erledigen, der andere, um ins Haus zu gehen.

      Das sah so schlimm wie nur möglich aus. Kaum war ich fort, da schickten sie schon nach James More, auf den, wie ich von vorneherein vermutet hatte, Mr. Simons Bemerkung, sie hätten Männer im Gefängnis, die zu jeder Schandtat bereit wären, um ihr Leben zu retten, abzielte. Mich überlief es kalt, und im nächsten Moment schoß mir in Erinnerung an Catriona das Blut zu Kopf. Armes Mädchen! Ihr Vater sollte einer üblen Sache wegen gehenkt werden. Was aber unverzeihlich war: er schien seine Haut durch die schändlichste, feigste und gemeinste Art des Mordes, durch einen Meineid, retten zu wollen, und um das Unglück voll zu machen: ich selbst war zu seinem Opfer ausersehen. Da begann ich rasch und ziellos drauflos zu marschieren, ohne jeden anderen Gedanken als den Wunsch nach Bewegung, Luft und freiem Himmel.

      Mein Weg mündete auf den »Lang Dykes«, einer ländlichen Straße, die sich längs der Höhen an der Nordseite der Stadt hinzieht. Von dort konnte ich die ganze düstere Häusermasse überblicken: die Burg auf dem steilen Felsen mit dem See zu ihren Füßen, und die weit auslaufende, sanft abfallende Linie der Türme, Giebel und rauchenden Schornsteine. Bei diesem Anblick schwoll mir das Herz in der Brust. Wie gesagt, trotz meiner Jugend war ich an Gefahr gewöhnt, jedoch Gefahren, wie sie mir heute morgen in der angeblich so sicheren Stadt gedroht hatten, erschütterten mich in ungeahnter Weise. Gefahren der Sklaverei, Gefahren des Schiffbruchs, Gefahren durch Pulver und Schwert: allen hatte ich in Ehren getrotzt; aber die Gefahr, die in der scharfen Stimme und dem feisten Gesicht Simons, des eigentlichen Herrn von Lovat, lag, brachte mich völlig außer Fassung. Ich ließ mich am Ufer des Sees an einer Stelle nieder, an der das Schilf weit in das Wasser ragte, tauchte meine Hände in das Naß und badete meine Schläfen. Hätte ich fliehen können, ohne auch den letzten Rest meiner Selbstachtung zu verlieren, ich wäre vor meinem tollkühnen Unternehmen davongelaufen. Aber (war es nun Mut oder Feigheit oder vielleicht etwas von beiden) ich entschied: die Sache ist zu weit gediehen, um einen Rückzug zu gestatten. Bisher hatte ich mich beiden Männern gegenüber behauptet; ich würde mich auch weiter behaupten, und, komme was da wolle, an meinem Wort festhalten.

      Das Bewußtsein meiner eigenen Standhaftigkeit tröstete mich ein wenig, aber nicht viel. Trotz allem und allem konnte ich ein eisiges Gefühl im Herzen nicht loswerden, und das ganze Leben schien mir ein finsteres, gefährliches Geschäft. Für zwei Seelen insbesondere floß ich vor Mitleid über. Die eine war ich selbst in meiner freundlosen, bedrohlichen Lage. Die andere war das Mädchen, die Tochter James Mores. Ich kannte sie kaum, aber ich hatte sie gesehen, und mein Urteil stand fest. Ich hielt sie für ein Mädchen von reinstem Ehrgefühl, empfindlich in diesen Dingen wie ein Mann; Schande, dachte ich, würde sie töten; und im nämlichen Augenblick glaubte ich von ihrem Vater, daß er am Werke sei, sein eigenes, entehrtes Leben gegen das meinige einzuhandeln. Das schaffte eine Art Gedankenverbindung zwischen dem Mädchen und mir. Bisher war sie nur wie ein Wanderer am Wege neben mir aufgetaucht, eine flüchtige Erscheinung, die mich jedoch seltsam fesselte; jetzt entdeckte ich plötzlich nahe Bande zwischen mir und ihr als Tochter meines Blutsfeindes, ja Mörders, wie ich ihn mit Recht bezeichnen konnte. Ich überlegte, daß es doch ein recht hartes Schicksal sei, mein Lebtag um anderer Leute willen gejagt und verfolgt zu werden, ohne ein bißchen eigene Freude am Leben. Zwar hatte ich satt zu essen und ein Bett zum Schlafen, wenn meine Angelegenheiten es mir gestatteten; alleindarüber hinaus wollte mein Reichtum mir nichts nützen. Sollte ich gehenkt werden, so waren meine Tage gezählt; kam es nicht dazu, und entrann ich mit heiler Haut allen diesen Gefahren, so würde ich das Leben vielleicht noch satt bekommen, ehe ich mit ihm fertig war. Plötzlich tauchte Catrionas Gesicht vor mir auf, mit leise geöffneten Lippen, wie ich es das erstemal erblickt hatte; gleichzeitig spürte ich eine Schwäche in meinem Herzen und Kraft in meinen Beinen und machte mich entschlossen auf den Weg nach Dean. Sollte ich morgen gehenkt werden – und die Möglichkeit, daß ich bereits heute nacht im Gefängnis schlafen müßte, lag auf der Hand – so wollte ich vorher wenigstens noch einmal Catriona sehen und sprechen.

      Die körperliche Bewegung und der Gedanke an mein Ziel gaben mir frischen Mut, so daß ich fast heiter wurde. Im Dorfe Dean, das im Grunde eines Tales neben dem Flusse lag, erkundigte ich mich bei einem Müllerknecht nach dem Wege, und er wies mich auf einen breiten Pfad, der mich am jenseitigen Ufer bergauf nach einem sauberen Häuschen führte in einem Garten mit Apfelbäumen und weiten Rasenflächen. Mein Herz schlug heftig, als ich die Öffnung in der Gartenhecke durchschritt und fiel mir gleich darauf in die Hosen, denn plötzlich stand ich einer grimmigen, finster blickenden alten Dame gegenüber, die dort spazierenging, und die als Kopfbedeckung eine weiße Haube trug, über die ein Männerhut geschnallt war.

      »Was sucht Ihr hier?« herrschte sie mich an.

      Ich sagte, ich wünsche Miß Drummond zu sprechen.

      »Und was habt Ihr mit Miß Drummond zu schaffen?« forschte sie. Ich erklärte, ich hätte sie vergangenen Samstag getroffen und wäre so glücklich gewesen, ihr einen kleinen Dienst zu erweisen und sei heute auf der jungen Dame persönliche Einladung hier. »Aha, der Musjö Sixpence!« rief sie mit schärfstem Hohn. »Ein schönes Geschenk, ein feiner Gentleman! Habt Ihr noch einen anderen Namen oder Titel, oder wurdet Ihr Sixpence getauft?«

      Ich nannte ihr meinen Namen.

      »Gott im Himmel!« rief sie. »Hat Ebenezer einen Sohn gezeugt?« »Nein, gnädige Frau«, entgegnete ich. »Ich bin der Sohn von Alexander und der Erbherr von Shaw.« »Wenn Ihr das durchfechten wollt, habt Ihr Euch ein saures Stück Arbeit vorgenommen«, bemerkte sie. »Ich sehe, Ihr kennt meinen Onkel,« entgegnete ich, »Ihr werdet Euch daher vielleicht freuen zu hören, daß die Angelegenheit bereits geregelt ist.« »Und was wollt Ihr von Miß Drummond?« fuhr sie fort. »Ich bin wegen meines halben Shillings gekommen, Madame,« sagte ich. »Ihr dürft Euch nicht wundern, wenn ich als meines Onkels Neffe ein wenig haushälterisch bin.« »So, so, Ihr habt also einen Funken von Witz«, bemerkte die alte Dame mit einigem Wohlwollen. »Ich dachte, Ihr wäret nur so ein windiger Junge – Ihr mit Eurem Sixpence und Eurem ›Glückstag‹ und Eurem ›Balwhidder zuliebe‹« – (Ich erkannte mit Befriedigung, daß Catriona sich wenigstens eines Teiles unseres Gespräches erinnert hatte.) »Aber so kommen wir nicht weiter«, fuhr sie fort. »Habe ich zu verstehen, daß Ihr auf Freiersfüßen geht?« »Die Frage ist bestimmt etwas verfrüht«, sagte ich. »Das Fräulein ist noch sehr jung, und ich leider auch. Ich habe sie erst einmal gesehen. Ich leugne nicht,« fügte ich in der Absicht hinzu, es einmal mit vollkommener Offenheit zu versuchen, »ich leugne nicht, daß sie mir, seit ich sie kennenlernte, ziemlich viel im Kopfe herumgeht. Das ist eine Sache für sich, aber es ist eine ganz andere Sache, sich festzulegen, und ich glaube, ich wäre ein Narr, wenn ich's täte.« »Na, Ihr nehmt, wie ich sehe, kein Blatt vor den Mund«, entgegnete die alte Dame. »Das tue ich, gottlob, auch nicht! Ich war dumm genug, dieses Gauners Tochter unter meinen Schutz zu nehmen; eine schöne Sache habe ich mir da aufgehalst, aber geschehen ist geschehen, und durchführen werd ich sie, wie's mir gefällt. Wollt Ihr mir weismachen, Mr. Balfour von Shaw, Ihr wäret bereit, James Mores Tochter zu heiraten, selbst wenn er gehenkt wird? Na also, und wo aus dem Heiraten nichts wird, wird auch nichts aus dem Hofieren und Karessieren, könnt Euch drauf verlassen. Mädchen sind schwache Geschöpfe«, setzte sie mit einem Kopfnicken hinzu, »und wenn Ihr's