Robert Louis Stevenson

Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke


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Rettung – da stießen unsere Freunde in den Dünen, sei es aus Verzweiflung, ihr Opfer entrinnen zu sehen, sei es in der Hoffnung, Andie abzuschrecken, einen schrillen, mehrstimmigen Schrei aus.

      Der Lärm hier an dieser gottverlassenen Küste war wirklich furchterregend, und sofort hielten die Männer in dem Boote an.

      »Wer da? Was ist los?« schrie der Kapitän, der sich jetzt bequem in Rufweite befand.

      »Freunde von mir«, entgegnete Alan und begann auf der Stelle durch das seichte Wasser zum Boot hinauszuwaten. »Davie,« sagte er, noch einmal innehaltend, »Davie, kommst du wirklich nicht mit? Ich kann dich nicht hier lassen.«

      »Nicht einen Zoll weit«, sagte ich.

      Eine Sekunde zögerte er immer noch, bis zu den Knien im Salzwasser.

      »Wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen«, sagte er und wurde, jetzt bis zu den Hüften naß, an Bord der Jolle gezogen, die sofort wieder auf das Schiff zuhielt. Ich stand, wo er mich verlassen hatte, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Alan saß mit dem Gesicht zu mir gekehrt und sah mich an, und das Boot glitt unbehindert weg. Plötzlich war ich so nahe daran, in Tränen auszubrechen, wie nur je in meinem Leben, und fühlte mich als den verlassensten, einsamsten Burschen in ganz Schottland. Da drehte ich mich mit dem Rücken dem Meere zu, den Dünen entgegen. Kein Mensch war zu sehen oder zu hören; die Sonne schien über nassem und trockenem Sand, der Wind wehte durch die Dünen, die Möwen schrieen traurig. Als ich den Strand hinaufschritt, hüpften die Sandflöhe munter durch den angeschwemmten Tang. Kein Laut oder sonstiges Merkmal von Leben an jenem unheimlichen Ort. Und doch wußte ich, Menschen waren da und belauerten mich zu irgendeinem verborgenen Zweck. – Es waren keine Soldaten, sonst hätten sie uns längst überfallen und gefangen genommen; zweifellos hatte ich es nur mit ganz gemeinen Halunken zu tun, gedungen zu meinem Schaden, vielleicht um mich zu verschleppen, vielleicht auch, um mich kaltblütig zu ermorden. Nach dem Range der Mietlinge hielt ich das erstere für wahrscheinlicher; was ich von ihrem Charakter und ihrer Liebe zu diesem Geschäft wußte, ließ das letztere als möglich erscheinen, und bei dieser Vorstellung fror mir das Herzblut. Mir kam der tolle Gedanke, mein Schwert in der Scheide zu lockern; denn war ich auch völlig außerstande, mich Klinge gegen Klinge mit einem Gentleman zu messen, so glaubte ich doch in einem Handgemenge ganz gehörigen Schaden anrichten zu können. Doch ich erkannte rechtzeitig die Torheit eines Widerstandes. Ohne Zweifel war dieser Überfall der ›bestimmte Weg‹, über den Prestongrange und Fraser sich geeinigt hatten. Der eine, des war ich sicher, hatte gesorgt, daß man mein Leben schonte; der andere aber hatte höchstwahrscheinlich Neil und seinen Gefährten gegenüber irgendeinen gegenteiligen Wink fallen lassen, und zog ich blank, so spielte ich meinem Todfeinde vielleicht einen Trumpf in die Hand und besiegelte eigenhändig meinen Untergang. Diese Gedanken hatten mich bis zu der Strandböschung begleitet. Ich sah mich um; das Boot näherte sich der Brigg. Alan ließ als Lebewohl sein Taschentuch flattern, und ich winkte ihm meine Antwort mit der Hand. Aber selbst Alan war für mich angesichts meiner schrecklichen Lage zu einer nebensächlichen Angelegenheit zusammengeschrumpft. Ich drückte den Hut fest ins Gesicht, biß die Zähne zusammen und schritt gerade auf den Dünenkranz los. Es war eine schwierige Kletterpartie, der Sand gab unter meinen Tritten nach wie Wasser. Aber schließlich packte ich oben an der Dünenkuppe ein Büschel des langen Seegrases und zog mich auf festeren Boden hinauf. Im nämlichen Augenblick rührte sich etwas, und sechs bis sieben Männer, sämtlich zerlumpt und jeder mit einem Dolch in der Hand, tauchten hier und dort wie aus dem Erdboden auf. Die Wahrheit ist, ich schloß die Augen und betete. Als ich sie wieder öffnete, waren die Halunken, schweigend und ohne jede Eile, einen Schatten näher gekrochen. Aller Augen waren auf mich gerichtet, und mit seltsam starken Empfinden spürte ich ihr Leuchten und die Furcht, mit der die Burschen sich auch weiterhin mir näherten. Ich streckte ihnen meine leeren Hände entgegen; da fragte mich einer mit starkem, hochländischen Akzent, ob ich mich ergäbe. »Unter Protest,« entgegnete ich, »falls Ihr das versteht, was ich bezweifle.« Nach diesen Worten stürzten sie alle über mich her, wie ein Schwarm Vögel über Aas, packten mich, nahmen mir meinen Degen ab und das Geld aus meinen Taschen, banden mich, Hand und Fuß, mit einem starken Strick und warfen mich auf einen Klumpen Seegras. Dort setzten sie sich im Halbkreis um ihren Gefangenen und starrten ihn schweigend an, wie reißende Tiere, Löwen oder Tiger auf dem Sprung. Nach einer Weile ließ ihre Aufmerksamkeit nach. Sie rückten näher aneinander heran, fingen an, sich auf gälisch zu unterhalten und verteilten mit größter Unverfrorenheit vor meinen Augen unter sich mein Eigentum. Währenddessen war es mein Trost, daß ich von meiner Lage aus meines Freundes Flucht verfolgen konnte. Ich sah, wie das Boot die Brigg erreichte, wie es hochgezogen wurde, wie die Segel sich blähten, und wie das Schiff hinter den Inseln an North Berwick vorbei das offene Meer gewann. Im Verlauf der nächsten zwei, drei Stunden stießen mehr und mehr zerlumpte Hochländer zu uns, darunter als einer der ersten Neil, bis die Gesellschaft an die zwanzig Mann zählte. Mit jedem Ankömmling wurde das Gespräch wieder lebhaft, und es klang, als folgten Beschwerden und Erklärungen einander. Das eine fiel mir auf: keiner der Nachzügler erhielt einen Anteil an der Beute. Die letzte Auseinandersetzung war äußerst heftig und bewegt, und einmal dachte ich, es käme zu einem Kampf. Das Ergebnis war, daß sie sich trennten; die Mehrzahl zog vereint in westlicher Richtung davon, während Neil mit zwei anderen als Bewachung zurückblieb.

      »Ich kenne jemand, dem Eure Tagesarbeit sehr schlecht gefallen würde, Neil Duncanson«, sagte ich, als die anderen sich entfernt hatten. Als Antwort versicherte er mir, man würde mich schonend behandeln, da ich ›ein Bekannter des Fräul'ns‹ wäre. Das war unsere ganze Unterhaltung; sonst ließ kein Muttersohn sich an jenem Teil der Küste blicken, bis die Sonne hinter den Bergen des Hochlands versank und die Dämmerung sich zur Nacht vertiefte. Um diese Zeit bemerkte ich einen langen, hageren, knochigen Tiefländer von auffallend dunkler Gesichtsfarbe, der uns zwischen den Dünen auf einem Ackergaul entgegenritt. »Jungens, habt ihr einen Ausweis wie diesen hier?« rief er, ein Papier hoch haltend. Neil zog ein zweites hervor, das der Fremde durch eine Hornbrille studierte, worauf er erklärte, alles wäre in Ordnung; wir seien die Leute, die er suche. Dann saß er ab, und ich wurde statt seiner auf das Pferd gesetzt; man band meine Füße unter den Bauch des Tieres zusammen, und wir machten uns unter der Führung des Tiefländers auf den Weg. Er muß seine Route gut gewählt haben, denn die ganze Zeit über begegneten wir nur zwei Menschen, einem Liebespärchen, die uns vielleicht für Schmuggler hielten und bei unserem Kommen flohen. Einmal befanden wir uns hart am Fuße des Südhangs von Berwick Law; ein andermal, als wir einige offene Hügel passierten, gewahrte ich die Lichter eines Dorfes und in der Nähe, zwischen Bäumen, einen alten Kirchturm, alles aber noch so fern, daß jeder Hilferuf, selbst wenn ich daran gedacht hätte, umsonst gewesen wäre. Endlich hörten wir wieder das Meer. Der Mond schien, wenn auch nicht hell, und in seinem Licht konnte ich die drei mächtigen Türme und bröckelnden Bastionen von Tantallon, dem alten Stammsitz der Roten Douglas, erkennen. Das Pferd wurde in der Tiefe eines Grabens zum Grafen angekoppelt, und mich führte man hinein durch den Hof und von dort in einen verfallenen, steinernen Saal. Hier, mitten auf den Fliesen, bauten meine Wärter ein lustiges Feuer, denn die Nacht war kühl. Meine Hände wurden losgebunden, ich wurde an dem einen Ende der Halle gegen die Mauer gesetzt und erhielt (nachdem der Flachländer Mundvorrat hervorgeholt hatte) Haferbrot und eine Kanne französischen Schnapses. Danach ließ man mich wieder mit meinen drei Hochländern allein. Diese scharten sich eng ums Feuer und tranken und schwatzten; der Wind pfiff durch die Mauerlücken, wirbelte den Rauch und Flammenwolken umher und heulte durch die Turmspitzen. Ich konnte das Meer am Fuße der Klippen hören, und da ich in bezug auf mein Leben beruhigt und nach diesem Tage an Leib und Seele erschöpft war, drehte ich mich auf die Seite und schlief. Wie spät es war, als man mich weckte, vermochte ich durchaus nicht zu erraten, aber der Mond war untergegangen, und das Feuer brannte schwach. Man löste meine Fußfesseln und schleppte mich durch die Ruinen einen steilen Pfad den Klippen entlang an eine Stelle, wo ich in einem natürlichen Felshafen ein Fischerboot fand. Dieses mußte ich besteigen, und wir stießen bei leuchtendem Sternenlicht vom Ufer ab.

      Ich dachte nicht nach, wohin sie mich führten; ich spähte nur hier und dort nach einem Schiff aus, und indessen ging ein Wort Ransomes – »die Zwanzigpfünder« – mir unaufhörlich im Kopfe herum. Sollte ich wiederum