Kapitel Was der Schwarze Andie von Tod Lapraik erzählte
Ich habe bisher wenig von den Hochländern gesprochen. Alle drei waren Gefolgsleute von James More; das band ihrem Herrn die Schuld sehr fest um den Hals. Alle konnten ein oder zwei Worte Englisch, aber Neil war der einzige, der genug für eine allgemeine Unterhaltung zu verstehen glaubte, obwohl seine Gefährten (war erst ein Gespräch im Gange) sich oft zur gegenteiligen Ansicht gezwungen fühlten. Alle waren einfache, willige Geschöpfe, die mehr Höflichkeit zeigten, als man nach ihrem verwahrlosten, wüsten Aussehen hätte annehmen mögen, und fielen Andie und mir gegenüber von selbst in die Rolle von Dienern.
Hier an diesem einsamen Ort inmitten der bröckelnden Ruinen eines Gefängnisses, umgeben von den endlosen, fremdartigen Geräuschen des Meeres und der Vögel, glaubte ich schon früh an ihnen die Wirkungen abergläubischer Furcht zu bemerken. Wenn es nichts zu tun gab, schliefen oder ruhten sie, eine Beschäftigung, die sie nie satt bekamen, oder Neil unterhielt die anderen mit Geschichten, die indes alle grausig waren. War keines dieser beiden Vergnügen erreichbar – schliefen, zum Beispiel, zwei und sah der dritte sich außerstande, es auch zu tun –, so pflegte er ängstlich lauschend dazusitzen; seine Unruhe wuchs, er schrak zusammen, erbleichte und verkrampfte die Hände – kurz, glich in seiner Spannung einem gestrafften Bogen. Die Art seiner Befürchtungen vermochte ich nie zu erraten, aber ihr Anblick wirkte ansteckend, und die Natur des Ortes, an dem wir uns befanden, begünstigte diese Angst. Andie hatte dafür einen volkstümlichen Ausdruck, den er immer wieder brauchte.
»Ja,« pflegte er zu sagen, »hier auf Baß ist es nicht geheuer.«
So scheint es mir auch heute noch. »Nicht geheuer« war es dort, Tag und Nacht, ›nicht geheuer‹ waren die Geräusche – das Geschrei der Lummen, das Branden des Meeres und das Echo der Felsen – die ständig an unsere Ohren tönten, am stärksten aber bei verhältnismäßig ruhigem Wetter. Sogar bei geringem Wellengang umbrüllten die Wogen den Felsen wie der Donner selbst oder wie das Trommeln ganzer Armeen: ein furchtbarer, aber ausgelassener Lärm. Und an den stillen Tagen gar konnte es jeden, der lauschte, – nicht nur die Hochländer, wie ich aus Erfahrung weiß – ganz entnerven, so zahlreich waren die leisen, hohlen Stimmen, die in den Felsennischen widerhallten und uns unablässig verfolgten.
Das bringt mich auf eine Geschichte und eine Szene, an der ich teilnahm, die unsere Lebensweise von Grund auf veränderten und für mein Entkommen von größter Bedeutung waren. Ich saß eines Nachts neben dem Feuer, in tiefes Nachdenken versunken, und begann in Erinnerung an Alan sein Lied zu pfeifen. Da legte sich eine Hand auf meinen Arm, und die Stimme Neils bat mich, aufzuhören, denn die Musik sei ›nicht geheuer‹.
»Nicht geheuer?« fragte ich. »Wieso denn?«
»Ja,« meinte er, »die hat ein Geist gemacht, die auf sein Leib kein Kopf nicht hatte.«
»Nun,« sagte ich, »hier kann es keine Geister geben, Neil; es ist nicht anzunehmen, daß sie so weit vom Wege abirren, um ein paar Lummen vorzuspuken.«
»Was sagt Ihr da?« fuhr Andie dazwischen. »Ist das Eure Meinung? Ich sage Euch, hier hat schon Schlimmeres als Geister gespukt.«
»Was gibt es denn Schlimmeres, Andie?« fragte ich.
»Zauberer«, erwiderte er. »Und'n Zauberer war es zum mindesten. Aber das ist 'ne merkwürdige Geschichte«, fügte er hinzu. »Wenn Ihr wollt, erzähl ich sie Euch.«
Darüber gab es freilich nur eine Meinung, und selbst der Hochländer, der von den dreien am wenigsten Englisch konnte, setzte sich zurecht, um mit aller Macht zu lauschen.
Die Geschichte von Tod Lapraik
Mein Vater, Tom Dale – Friede seiner Asche! – war in seinen jungen Jahren ein wilder, toller Bursch mit wenig Vernunft und noch weniger Tugend. Er liebte den Wein und die Weiber und lustige Unterhaltung; doch daß er ehrliche Arbeit liebte, hab ich nie gehört. Eins ergab das andere; bald hatte er sich als Soldat anwerben lassen und stand in Garnison in dieser Festung, und so kam es, daß die Dales auf Baß Fuß faßten. War das ein elender Dienst! Der Gouverneur braute sein eigenes Bier; wie's scheint, das schlechteste, das man sich nur denken konnte. Der Felsen wurde von der Küste aus verproviantiert, das Ganze war falsch geleitet, und mitunter waren sie im Essen nur auf die Fische und die Lummen angewiesen. Um allem die Krone aufzusetzen, herrschten damals die Religionsverfolgungen. Die eisig kalten Zellen waren alle mit Heiligen und Märtyrern besetzt, dem Salz der Erde, die ihrer gar nicht würdig ist. Und obzwar Tom Dale, ein einzelner Soldat, wacker sein Feuerschloßgewehr spazieren trug, und, wie gesagt, den Wein und die Weiber liebte, verrichtete er mehr aus Pflicht denn aus Freude seinen Dienst. Zu Zeiten hatte er kurze Offenbarungen von den Herrlichkeiten der Kirche – dann stieg ihm der Zorn hoch, des Herrn Heilige so mißhandelt zu sehen, und Scham packte ihn bei dem Gedanken, daß er bei einem so sündhaften Geschäft das Licht hielt (oder eine Muskete führte). Mitunter, wenn er des Nachts auf Posten stand und alles so unheimlich still war, während der Winterfrost in den Mauern knackte, hörte er einen der Gefangenen einen Psalm anstimmen, und die andern fielen ein, und die heiligen Klänge stiegen aus den verschiedenen Räumen – ich meine: Gefängnissen – so mächtig auf, daß dieser alte Fels mitten im Meer ein Zipfel vom Himmelreich schien. Schwarze Schande erfüllte seine Seele, und seine Sünden ragten vor ihm auf, groß wie der Felsen von Baß, alle überragend die Todsünde, daß er mit Hand anlege, die Kirche Christi zu verfolgen und bedrängen. Aber die Wahrheit ist, er widerstand der Stimme des Geistes. Der Morgen kam, die Kameraden erwachten, und seine guten Vorsätze waren verschwunden. Damals hauste ein Erwählter des Herrn auf Baß, Peden, der Prophet genannt. Ihr werdet von dem Propheten Peden gehört haben. Niemals mehr hat es seinesgleichen gegeben, und manche bezweifeln, ob es das früher gab. Er war wild wie eine Moorhexe, furchtbar zu sehen und zu hören, und sein Antlitz war wie das Jüngste Gericht. Seine Stimme war die der Lummen und donnerte den Leuten in die Ohren, und seine Worte glichen glühenden Kohlen. Nun lebte damals auf dem Felsen ein Mädchen, die dort, glaube ich, wenig zu suchen hatte, denn es war kein Ort für ehrbare Weiber; aber sie war, wie es scheint, hübsch, und sie und Tom Dale verstanden sich gut. Der Zufall wollte, daß Peden ganz allein in seinem Garten betete, als Tom und das Mädchen vorbeigingen; und was fällt der Dirne ein? Mit Lachen und Spott überhäufte sie des Heiligen Andacht. Da stand er auf und schaute die beiden an, und Toms Knie wankten bei seinem Anblick. Doch als der andere sprach, geschah es mehr in Trauer denn im Zorne. »Armes Ding, armes Ding!« sagte er und blickte dabei das Mädchen an. »Ich höre dich schreien und lachen,« sagte er, »aber der Herr hält einen tödlichen Schuß für dich bereit, und bei jenem erstaunlichen Gottesgericht wirst du nur einen Schrei ausstoßen!« Kurz danach schlenderte sie mit zwei, drei Soldatenkerls auf den Klippen umher, und es war ein stürmischer Tag. Da kam ein Windstoß, packte ihre Röcke und wirbelte sie, so wie sie ging und stand, ins Meer. Und die Soldaten bemerkten, daß sie dabei nur den einen Schrei ausstieß. Ohne Zweifel, dieses Gottesgericht machte ziemlichen Eindruck auf Tom; aber der verging, und Tom blieb der alte. Eines Tages zankte er sich mit einem Kameraden. »Der Teufel hol mich!« schimpfte Tom, denn er fluchte stets gotteslästerlich. Und schon stand Peden da und starrte ihn an, schlau und finster, Peden mit seinem langen Gesicht und seinen brennenden Augen, sein Plaid fest um die Brust gewickelt und die eine Hand mit den schwarzen Krallen weit ausgestreckt – denn der Leibespflege achtete er nicht. – »Pfui, pfui, armer Mann!« schrie er, »armer, törichter Mann! Der Teufel hol mich, sagt er? Ich sehe den Teufel an seiner Seite!« Da brach die Erkenntnis seiner Schuld und der Gnade des Himmels über Tom herein wie der Ozean selbst; er warf die Pike weg, die er trug, und rief: »Nie mehr erhebe ich meine Hand gegen die Sache Christi!« Und er hielt sein Wort. Anfänglich gab's viele Scherereien, aber als der Gouverneur ihn so entschlossen sah, erteilte er ihm doch den Abschied, und Tom ließ sich in North Berwick nieder und heiratete und stand von dem Tage an bei allen ehrlichen Leuten in gutem Ruf. Es war im Jahre 1706, als die Insel Baß in die Hände derer von Dalrymple überging, und zwei Männer bewarben sich um den Verwalterposten. Beide eigneten sich trefflich dafür, denn beide hatten als Soldaten dort in Garnison gelegen und wußten die Lummen zu behandeln und kannten die Zeiten, in denen sie was wert waren. Außerdem waren – oder schienen doch – beide andächtige Bekenner und in erbaulichen Reden beschlagen. Der erste war kein anderer als Tom Dale, mein Vater; der zweite war