war, mit zitternder Stimme.
„Es steht dir frei, hinüberzuschwimmen“, meinte Etos leicht genervt. Plötzlich vernahmen sie ein Rascheln. Zwischen den Büschen unter ihnen kamen sechs große, schwarze Tiere hervor. Vom Körperbau her ähnelten sie Tigern, waren aber ungleich größer. Dieser Anblick gab Spiffi wohl neue Kraft, denn er überquerte mit einer Schnelligkeit, die nicht nur Tado überraschte, den Ast und winkte Etos, der sich nun auch in Bewegung setzte. Die Tiere hatten inzwischen den Baum umkreist und begannen ihn nun nacheinander und mit einer erschreckenden Geschwindigkeit, hinaufzuklettern. Etos und Grook hatten die natürliche Brücke ebenfalls überwunden, und auch Baako erreichte soeben ihr Ende. Nun machte sich Tengal daran, auf dem Ast hinüberzubalancieren. Die schwarzen Tiger hatten bereits mehr als die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Die beiden letzten Verbliebenen spielten eine Runde Schere-Stein-Papier darum, wer als erster gehen durfte. Selbstverständlich verlor Tado. Und genauso selbstverständlich erreichte der erste seiner Verfolger genau in dem Moment den Ast, in dem Regan auf der anderen Seite ankam und er gerade losgehen wollte. Natürlich zögerte das Tier nicht lange und setzte zum Sprung an. Tado griff schnell nach einem seiner gesammelten Steine und warf ihn dem Tiger in das leicht geöffnete Maul. Der Getroffene verschluckte das Wurfgeschoss. Doch wenigstens einmal war das Glück auf seiner Seite. Der scharfkantige Stein musste dem Tier wohl im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken geblieben sein, denn es röchelte plötzlich und schien das Gleichgewicht zu verlieren, woraufhin es einfach abrutschte und einige Meter tief in den Fluss fiel, wo es umgehend von den riesigen Reptilien zerfleischt wurde. Tado nutzte die Gelegenheit und rannte auf das jenseitige Ufer zu.
Aber natürlich hat alles seinen Preis, und dem Glück von eben folgte nun ein Unglück: Der Ast brach. Unter einem lauten Krachen gab das Holz nach und fiel zusammen mit dem Pechvogel in den Fluss. Sein Versuch, nach dem unversehrten Teil der provisorischen Brücke zu greifen, wurde mit einer üblen Schürfwunde belohnt, trug aber nicht zu seiner Rettung bei. Tado fiel ziemlich genau in die Mitte des Wassers und verschwendete keine Zeit damit, überrascht oder gar entsetzt zu sein, sondern watende schnell auf das rettende Ufer zu. Selbstverständlich war seine lautstarke Ankunft im Fluss nicht unbemerkt geblieben. Ein Sumpfkrokodil (ein besonders hässliches, dessen Grün schon fast ins Schwarz überging) hatte bereits zu seiner Verfolgung angesetzt, die übrigen waren zu seinem Glück noch immer mit dem Tiger beschäftigt. Es erreichte ihn, als das Wasser ihm nur noch bis zu den Knien stand. Tado trat blindlings hinter sich, traf auch etwas- nur vermutlich nicht das Krokodil. Dieses schnappte nämlich nach seiner Hand und verfehlte sie nur um Haaresbreite. Als er endlich wieder trockenes Land unter den Füßen hatte, ließ sein Verfolger überraschender- wie glücklicherweise von ihm ab; wahrscheinlich lebten diese Wesen ausschließlich im Wasser und mieden das Land.
Das Gefühl, gerettet zu sein, währte nur kurz. Eine Waldlibelle schnellte so dicht an ihm vorbei, dass die durch ihre Flügel aufgewirbelte Luft seinen Oberarm streifte und eine violette, handgroße Stelle hinterließ, die sich ungefähr so anfühlte, als hätte sie jemand mit einem glühenden Eisen bearbeitet. Tado schrie vor Schmerz auf, warf sich zur Seite und landete mitten in einem seesternförmigen Gebilde. Dieses entpuppte sich, selbstverständlich, wie er in Gedanken hinzufügte, als gigantische fleischfressende Pflanze. Sie maß ungefähr zwei Meter im Durchmesser und wollte wohl ihre fünf riesigen Zacken zuklappen, kam aber offenbar mit der Größe ihres Opfers nicht zurecht, sodass sich ihre gezahnten Ränder nur tief in sein Fleisch gruben. Unter unvorstellbaren Qualen stand Tado auf und schleppte sich einige Schritte von dem unheimlichen Geschöpf weg. Der violette Fleck an seinem Arm brannte stärker als zuvor und beschränkte sich mittlerweile nicht mehr nur auf die betroffene Stelle, sondern breitete sich über den ganzen Körper aus. Offenbar tat das Gift bereits seine Wirkung, die sich, nebenbei gesagt, als schlimmer als angekündigt erwies. Zudem lähmte es seinen Körper nahezu. Unter großer Kraftanstrengung gelang es ihm schließlich, mit fast schon übernatürlich zitternden Händen, die Flasche mit dem Wasser des Lebens hervorzuholen. Er trank sie bis auf ein Drittel leer. Er konnte sehen, wie die tiefen Schrammen an Arm und Hand aufhörten zu bluten und alle Holzsplitter von alleine heraus fielen, er konnte ertasten, dass sich die tiefen Einschnitte der Pflanze schlossen, er konnte spüren, wie das Gift aus seinem Körper wich und die Haut ihre normale Färbung annahm und er konnte fühlen, wie die Kraft in ihn zurückkehrte und die Lähmung wich. Obwohl er bis eben noch vollkommen durchtränkt von dem sumpfigen Wasser war, konnte Tado keine Spur von Nässe auf seiner Kleidung ausmachen.
Nun hatte ihm dieses Wasser schon zum zweiten Mal das Leben gerettet. Was täte, wenn er es aufgebraucht haben würde (‚Was in wahrscheinlich gar nicht allzu ferner Zukunft auch geschehen wird, wenn das so weitergeht’, dachte er ärgerlich).
Doch sein nächster Gedanke galt den anderen. Er hatte sich schon während seiner beinahe tödlichen Tortur gewundert, wo sie denn die ganze Zeit blieben, und fast schon sehnsüchtig auf einen Pfeil Spiffis im Sumpfkrokodil oder dem Tiger (oder bei dessen Schießkunst auch in ihm) gewartet. Nun aber sah er den Grund: Auch sie waren angegriffen worden, und zwar von den übrig gebliebenen schwarzen Tigern. Wahrscheinlich hatten diese die zerstörte Stelle des Astes einfach übersprungen. Zwar empfand Tado es als angenehmer, zu sechst gegen fünf Tiger zu kämpfen, noch dazu bewaffnet, als sich mit Steinen gegen eines der Tiere zu wehren, beinahe von einem Sumpfkrokodil aufgefressen, von dem Luftzug eines Monstrums von Libelle getötet und einer gigantischen fleischfressenden Pflanze zerstochen zu werden, aber das sagte er natürlich nicht den anderen gegenüber, die übrigens immer noch mit zwei der Bestien kämpften. Offensichtlich hatte Tado mehr als unverschämtes Glück gehabt, eines dieser Ungeheuer mit einem Stein zu ersticken, denn in den anderen toten Tigern steckten jeweils gut und gerne ein halbes Dutzend Pfeile. Gerade krachte Regans Morgenstern auf einen der Angreifer nieder und zerschmetterte dessen Schädel, während Grook sein Schwert in den Leib des selbigen bohrte. Etos, Baako und Tengal stachen derweil fast gleichzeitig ihre Klingen in das andere Tier. Spiffi sammelte bereits noch brauchbare Pfeile auf, die ihm scheinbar ausgegangen waren. Tado sah erst jetzt, dass jeder der Sechs ziemlich üble Wunden davon getragen hatte. Der Goblin und der Bogenschütze tranken gerade etwas von ihrem Wasser der Quelle des Lebens, von dem auch sie nicht mehr allzu viel zu besitzen schienen, während die Aonarier ihre Verletzungen anderweitig notdürftig versorgten. Bei ihnen handelte es sich nur um kleinere Schrammen, offenbar wussten sie sich besser zu verteidigen. Tado gesellte sich zu ihnen.
„Du... hast überlebt?“, fragte Etos mehr als nur ungläubig. „Ich habe genau gesehen, wie dich die Libelle verletzt hat!“
Tado winkte ab. „Manchmal muss man einfach Glück haben. Jetzt sollten wir vielleicht eine kleine Pause machen“, schlug er vor.
Die anderen begrüßten diesen Vorschlag, und so entschieden sie sich schließlich dafür, an Ort und Stelle eine Rast zu machen. Spiffi schlang gleich fünf Käsebrote hinunter, und auch die Aonarier, der Goblin und Tado selbst sparten nicht gerade mit ihren Vorräten. Trotzdem waren sie schon nach wenigen Minuten wieder marschbereit.
Es musste kurz nach Mittag sein, als die kleine Gruppe an eine sonnenbeschienene Lichtung gelangte. Inmitten der leuchtenden Grasfläche lag, flankiert von zwei Felsen, einer der schwarzen Tiger, mit denen sie schon Bekanntschaft geschlossen hatten. Das Tier schlief offenbar. Tado wollte schon umkehren, um die Lichtung im Schutz des Waldes zu umrunden, wurde aber von Etos zurückgehalten.
„Nicht“, sagte er. „Du könntest versehentlich auf einen Ast treten und ihn damit wecken. Die Tiger besitzen ein sehr gut ausgeprägtes Gehör, allein die Tatsache, dass er bis jetzt noch nicht aufgewacht ist, grenzt an ein Wunder.“
Die Worte ließen Tado sich nur mit Mühe beherrschen: „Aber wir können niemals über die Lichtung spazieren!“
„Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du deinem Unmut demnächst ein wenig leiser zum Ausdruck bringen könntest!“, flüsterte Etos und warf beunruhigt einen Blick zum Tiger. Das schwarze Tier rührte sich noch immer nicht. Bevor irgendjemand ein weiteres Wort verlieren konnte, trat der König der Aonarier einige Schritte auf die Lichtung hinaus. Widerwillig folgten ihm die anderen. Besonders für Spiffi mussten die wenigen Meter eine Qual sein, er hatte den Blick ununterbrochen auf die schwarze Gestalt geheftet. Gerade als sie an dem Schlafplatz des Tiers vorbei kamen, regte es sich ein wenig. Im Bruchteil einer Sekunde standen die