den vermeintlichen Anführer anzusehen.
„Nach Norden. Warum?“
Tado überging auch diese Frage. Etwas in ihm drin atmete erleichtert auf. Er wusste nicht, wie er reagiert hätte, wenn sie nach Süden, auf sein Dorf zugehalten hätten.
Dem grünbraun gekleideten Mann schien das Schweigen allmählich unbehaglich zu werden, denn er versuchte erneut, ein Gespräch anzufangen: „Verzeih meine Unhöflichkeit. Ich hätte mich vielleicht erst einmal vorstellen sollen. Mein Name ist Natrell, Anführer des Volkes der Waldtreiber. Wie heißt du?“
„Tado“, erwiderte Tado so kurz wie möglich, um zu sehen, wie Natrell nun wieder versuchen würde, ein Gespräch zu beginnen.
Er hatte sich vorgenommen, den Anführer auf diese Weise zu ärgern, weil er diesem die Wunde an seiner linken Schläfe immer noch nicht verziehen hatte.
„Tado? Ein komischer Name.“, murmelte Natrell vor sich hin.
Tado hatte es allerdings vernommen und beschloss, von nun an am besten gar nicht mehr auf seine Fragen einzugehen.
„Es tut uns wirklich sehr Leid“, beteuerte Natrell noch einmal. „Wenn wir irgendetwas für dich tun können, lass es uns wissen.“
Tado sah sich nun allerdings doch gezwungen, etwas zu erwidern: „Ihr könntet mir sagen, wie ich wieder auf meinen alten Weg zurückfinde und mich in Ruhe lassen.“
„Natürlich“, antwortete der Anführer der Waldtreiber sofort. „Das ist nicht besonders schwer. Du befindest dich nämlich keine zweihundert Meter östlich deines Weges. Aber du könntest jemanden von unserem Volk mitnehmen. Er ist dem Leben als Waldtreiber überdrüssig geworden und sehnt sich nach einem Dasein als Bewohner eines Dorfes oder einer Stadt.“
Das passte Tado gar nicht. Aber er widersprach nicht. Immerhin hatten die Waldtreiber ihm das Leben gerettet, auch wenn sie selbst es eher weniger so sahen.
Natrell winkte den Jungen, der noch am Feuer saß, zu sich heran. Dieser hatte seinen Umhang abgelegt. Er wirkte etwas... tollpatschig.
„Tado, das ist Spiffi.“
Nachdem er nun die Gelegenheit hatte, sich die ihm vorgestellte Person genauer anzusehen, beschloss er, seinen Auftrag doch keiner Gefahr in Form dieses Waldtreibers auszusetzen.
„Ich muss euch leider enttäuschen. Aber ich habe nicht vor, in naher Zukunft zu einer Zivilisation zurückzukehren“, log Tado. „Ich bin gewissermaßen auf Reisen.“
„Umso besser“, meinte Natrell. „Dann sieht er wenigstens etwas von der Welt außerhalb unseres Lagers.“
Tado biss sich auf die Zunge. Egal, was er versuchte, der Waldtreiber hatte immer eine Antwort parat. Und so musste er wohl oder übel Spiffi als Reisegefährten mitnehmen. Spiffi selbst schien glücklich darüber zu sein. Auf dem Weg durch die Höhle nach draußen bewahrheitete sich Tados Gedanke über seinen neuen Begleiter: Spiffi war ein Tollpatsch. Mehr als einmal stolperte er über einen Stein, den er mit geschlossenen Augen hätte wahrnehmen können. Mehr als einmal rutschte er auf dem Boden aus, der so rau war, dass jeder Versuch, irgendetwas darauf umher zu schleifen, kläglich misslingen müsste.
Doch schließlich kamen sie ohne schwere Verletzungen aus der Höhle heraus. Was Tado sah, verschlug ihm geradezu den Atem. Das „Lager“, als welches es Natrell bezeichnet hatte, stellte sich als eine riesige Anzahl von Baumhäusern heraus! Manche waren um den Stamm einer großen Eiche gebaut, andere befanden sich in den Baumwipfeln, sodass man sie von bestimmten Positionen aus nicht einmal sehen konnte. Diese stellten vermutlich eine Art Wachturm dar. Aber das war nicht alles. So einfach die Häuser auch gebaut sein mochten, so reich schienen ihre Besitzer zu sein, denn überall standen massive Truhen herum. An sich nichts besonderes, fast jeder in Gordonien hatte seine eigene „Schatztruhe“, in der er seine Klamotten und wertvolle Dinge verstaute. Aber manche dieser Truhen hier standen offen, sodass Tado ihren Inhalt sehen konnte: Gold. In einigen glitzerten zwar auch einige Edelsteine, aber größtenteils herrschte Gold vor: goldene Armbänder, Ketten, Ringe, Goldmünzen, Kerzenständer, teils sogar Schwerter aus Gold. Der Wert dieser Dinge musste so gewaltig sein, dass kein Mensch der Welt sie zu kaufen vermochte.
In Natrells Gesicht, der Tados Faszination bemerkte, erschien ein stolzer Ausdruck.
„Wir überfallen Räuber und Wegelagerer“, sagte er zur Erklärung. „Die gibt es hier wie Felsen im Gebirge. Du solltest dich vorsehen, vielleicht machst du sonst schon bald Bekanntschaft mit ihnen.“
Tado hatte zwar noch nie von Räubern im friedlichen Grünen Wald gehört, aber das interessierte ihn im Moment auch gar nicht. Er war immer noch fasziniert von der Einfachheit der Baumhäuser, die aber gleichzeitig sehr effektiv im Kampf zu sein schienen. Die Leitern, die die einzige Zugangsmöglichkeit darstellten, konnte man bei Bedarf hochziehen. Den Angreifern blieb nun keine Möglichkeit mehr, auf die Bäume zu gelangen, ohne von Pfeilen durchbohrt zu werden. Für den Reichtum interessierte sich Tado nach einem kurzen Moment des Erstaunens weniger. Er hatte schon von Königen gehört, deren Schätze - aufeinander gestapelt - so hoch wie ein Berg waren. Natürlich übertrieben die Erzähler bei solchen Geschichten immer maßlos, aber ein Körnchen Wahrheit mussten sie wohl enthalten, wenn er sich die Kostbarkeiten der Waldtreiber so ansah.
Spiffi holte noch schnell einen Rucksack, den er auch von einem gewissen reisenden Händler hatte, seinen Bogen und einen prall gefüllten Köcher mit Pfeilen, bevor sich Tado und er von dem sonderbaren Volk verabschiedeten.
Die Goblins
Bald hatten sie Tados ursprünglichen Weg erreicht und marschierten weiter nach Norden. Als sie dem Mauergebirge so nahe waren, dass dieser durch die Bäume hindurch schon einige Felsen sehen konnte, stellte Spiffi die Frage, die er so gefürchtet hatte: „Wohin geht deine Reise eigentlich?“
Er zögerte. Sollte er ihm die Wahrheit sagen? Sollte er ihm sagen, dass er sich auf dem Weg zur Trollhöhle befand? Zwar erhielten die Botschafter seines Dorfes keine richtige Ausbildung, denn alles, was sie wissen mussten, würden sie auf ihrem ersten Auftrag lernen, dennoch hatte Tado erfahren, dass es besser sei, niemandem von seinem Vorhaben zu erzählen, um es in keiner Weise zu gefährden.
Eigentlich war er ein guter Lügner, dem sehr schnell passende Ausreden einfielen, nur in diesem Moment wusste er nichts anderes als die Wahrheit auf diese Frage zu antworten. Also sagte er geradeheraus: „Zur Trollhöhle.“
Diese Antwort kam so plötzlich, dass sein Begleiter abrupt stehen blieb und einen Laut vor sich gab, der sich wie das heisere Grunzen eines Schweins anhörte.
„Zur Trollhöhle?!“, krächzte er. Natürlich hatte auch Spiffi von der Trollhöhle gehört, und im Gegensatz zu Tado wusste er, was es bedeutete, zur Trollhöhle zu wollen. Nicht nur der Weg dorthin war so gefährlich, dass manche sich wohl lieber lebendig begraben lassen würden, als ihn zu gehen. Die Höhle selbst galt als einer der schrecklichsten Orte, die Gordonien zu bieten hatte.
Tado hielt nun auch an, wartete, bis Spiffi zu ihm aufgeschlossen hatte und fuhr dann mit einer Erklärung fort: „Ich habe einen Auftrag zu erfüllen. Mehr darf ich dir leider nicht sagen.“ Er fühlte sich wichtig, als er diese Worte sagte.
„Aber das ist reiner Selbstmord“, entgegnete Spiffi. Tado sah ihn nur verständnislos an.
„Es gibt Gerüchte, dass eine mächtige Person die Trollhöhle unterworfen und die darin lebenden Trolle zu seinen Untertanen gemacht hat. Diese Person nennt sich Lord des Feuers.“
Diese Worte brachten Tado zum Nachdenken. Er konnte diese Argumente nicht ausschließen. Er wusste ohnehin nur sehr wenig über die Länder außerhalb seines Dorfes, sollte ihm also dieses Gerücht entgangen sein, wäre es nicht weiter verwunderlich. Und Haktir würde er es ebenso zutrauen, ihm einen solchen Auftrag zu vermitteln, zumal er ebenfalls den Lord des Feuers erwähnte. Die Worte des Waldtreibers mochten also wahr sein.
Heftig diskutierend setzten sie ihren Weg fort.
Tado verteidigte dabei sein Vorhaben, zur