Clemens Anwander

Des Orakels Richterspruch


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lachte auf.

      »Der König von Sekoya bittet mich um seine Hilfe. Obwohl ich wusste, dass es so kommen würde, ist es doch eine sehr interessante Erfahrung. Also gut, da kann ich ja wohl nicht anders.«

      Mit einer ausschweifenden Bewegung fuhr sie sich mit ihrer rechten Hand durch ihre goldene Haarpracht.

      »Normalerweise würde ich ja eine Warnung aussprechen, dass ein Blick in die Zukunft manchmal mehr Unglück herauf beschwört, als er einem weiterhilft. Aber in diesem Fall verzichte ich darauf. Es ist dein Schicksal, meine Worte zu vernehmen. Und auch das meine, diese auszusprechen.«

      Die Frau seufzte tief, und Degaar meinte, so etwas wie Traurigkeit in ihrer Stimme zu vernehmen.

      »Meine Dienste sind aber nicht vollkommen umsonst.«

      »Ich bin zwei Tage beinahe ohne Unterlass hierher geritten, meine Frau ist das Wichtigste auf der Welt für mich. Nennt mir den Preis, und ich werde ihn bezahlen.«

      Degaar war fest entschlossen, er würde diese Höhle nicht ohne eine Weissagung verlassen.

      »Gold hat für mich keinen Wert, mein lieber Degaar. Glücklicherweise bist du aber trotzdem im Stande, mich zu bezahlen. Zweierlei verlange ich von dir. Einerseits den königlichen Siegelring.«

      Er warf seinen Blick auf den Ring, den er seit seiner Inthronisierung am linken Ringfinger trug. Wann immer er ein königliches Dokument verfasste, setzte er damit neben seine Unterschrift auch einen Abdruck in heißem Wachs. Er war ein Zeichen der Macht und befand sich im Besitz seiner Familie seit sein Großvater, Tchiyo Xardics, ihn als Zeichen der Führung der neu entstanden Koalition der acht Stadtstaaten schmieden hatte lassen. Konnte er es sich leisten, dieses wichtige Stück abzugeben? Doch welche Wahl hatte er schon? Naileens Leben stand auf dem Spiel. Er streifte sich resignierend mit der rechten Hand das Schmuckstück vom Finger.

      »Leg ihn einfach auf meinen Altar.«

      Degaar tat, wie ihm geheißen, und der Ring landete mit einem leisen Klimpern auf der steinernen Ablage.

      »Gut, kommen wir nun zum zweiten Teil meines Lohnes.«

      Degaar hörte ein klapperndes Geräusch, das offensichtlich vom Steinsockel kam, und der Siegelring war verschwunden. Der König vermutete eine Klappe, durch die seine Bezahlung ins Innere des Sockels gefallen war. Daraus schloss er, dass schon so manch eine Person ihre Wertsachen nach der Weissagung einfach wieder mitnehmen hatten wollen, und dass diese Vorrichtung eben dies wirkungsvoll verhinderte. Er musste schmunzeln. Anscheinend waren auch Hellseher nicht vor der Niedertracht so manch eines Menschen gefeit.

      »Du musst etwas für mich tun, wenn du wieder im Schloss angekommen bist. Ich verlange von dir, dass du dich um deine Erbfolge kümmerst. Ich schreibe dir nicht einmal vor, wie diese auszusehen hat, sondern lediglich, dass du sie regeln sollst. Innerhalb einer Woche vom heutigen Tage an. Das sollte dafür leicht ausreichen.«

      Degaar dachte kurz darüber nach.

      »Was haben sie davon, wenn ich einen Erben festlege?«

      Die Frau hob entwaffnend ihre Arme.

      »Darf eine ehrenhafte Bürgerin Sekoyas sich nicht um den Fortbestand ihres geliebten Landes sorgen?«

      Degaar beschloss, nicht weiter nachzuhacken. Im Vergleich zu dem Siegelring, den er vorhin abgegeben hatte, war diese Forderung geradezu lachhaft leicht zu erfüllen. Es war ganz klar, was passieren würde. Er würde Sekoya so lange regieren wie er konnte, und danach würde das Königreich an sein und Naileens noch ungeborenes Kind gehen. Es war schließlich nur eine Frage der Zeit, bis sie schwanger wurde. Und sollte es zum Äußersten kommen, und sie blieben wirklich kinderlos, was er sich eigentlich nicht vorstellen konnte, würde das Königreich an Naileen fallen. Sie war um zwei Jahrzehnte jünger als er und bildhübsch. Ein neuer König wäre sicherlich schnell gefunden. Es konnte nicht schaden, diese Gedanken auch niederzuschreiben.

      »Habe ich dein Ehrenwort, dass du diese Forderung erfüllen wirst?«, wollte die Hellseherin wissen.

      »Ich, Tchiyo Degaar, Herrscher über Sekoya, schwöre hiermit innerhalb einer Woche ein Testament zu verfassen.«

      »So sei es! Also dann Degaar, ich weiß zwar bereits, wie deine Frage lauten wird, doch sprich sie trotz allem nun aus.«

      »Meine Frau, Naileen, leidet an einer schrecklichen Krankheit. Ich möchte wissen, was ich tun kann, um sie vor dem Tod zu bewahren.«

      Die mysteriöse Frau in Weiß schloss für kurze Zeit die Augen und begann dann zu sprechen.

      »Wie mein Lohn besteht auch deine Frage, ohne dass dir das bewusst ist, aus zwei Teilen. Bezüglich der Krankheit kann ich nur folgendes sagen: Du kannst nichts tun!«

      Wut stieg in Degaar empor! Nichts tun?! Wenn er das gewollt hätte, hätte er auch gleich im Schloss bleiben können. Diese verdammte Frau hatte ihm zwei Forderungen abgerungen für die Information, dass er unfähig war, das Leben seiner Frau zu retten? Er kochte förmlich über, so verärgert war er über diese Aussage. Ohne zu denken trat er auf die Frau zu, die Fäuste geballt. Er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, das wusste er selbst. Der Ärger hatte seine Fesseln der Zurückhaltung gesprengt. Er holte zu einem Schlag aus, als die Wahrsagerin davon unbeeindruckt weitersprach.

      »Sei unbesorgt. Naileen hat überlebt und ist inzwischen schon wieder bei Sinnen. Zwar wird sie Zeit ihres restlichen Lebens immer wieder Schwächeanfälle haben, doch diese Krankheit wird ihr nicht den Tod bringen.«

      Degaar fühlte, wie ihm die Knie weich wurden, wegsackten, und er zu Boden ging. Er warf seinen Kopf in den Nacken und blickte zur Höhlendecke empor. Konnte das wahr sein? Würde sich Naileen auch ohne übernatürliche Hilfe von ganz alleine wieder erholen? Sollte dies wirklich der Fall sein, wäre er der glücklichste Mann er Welt! Die Frau in Weiß hatte kurz gestoppt mit ihrer Ausführung, wohl um ihm etwas Zeit zu geben, um aufzunehmen, was sie eben gesagt hatte, sprach aber nun weiter.

      »Du solltest dir aber darüber im Klaren sein, dass sie, jedes Mal wenn sie sich dir hingibt, ein klein wenig schwächer wird, und ihr Ende damit etwas näher rückt. Der zweite Teil deiner Frage dreht sich schlussendlich darum, wie du deine Frau vor dem Tod bewahren kannst. Dies ist unmöglich. Der Tod ist eine Unausweichlichkeit in unser aller Leben, man kann ihn nicht überlisten. Jede Person, ob Mann oder Frau, reich oder arm, mächtig oder ohne Möglichkeiten, erliegt ihm gleichermaßen. Nicht einmal Orakel wie ich sind in der Lage, ihm auf ewig auszuweichen, auch wenn uns normalerweise ein langes Leben beschert ist.« Sie verzog ihren Mund zu einem schwer zu deutenden Grinsen. War dies Sarkasmus, den Degaar da zu erkennen glaubte? Oder gar Resignation? Wie sie das Wort „normalerweise“ betont hatte, ließ einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen.

      »Naileens Untergang wird eines Tages durch das Wasser erfolgen, ob du das nun willst, oder nicht.«

      Die Hellseherin räusperte sich.

      »Geh nun, König von Sekoya, reite heim zu deiner dich liebenden Frau. Sie erwartet dich bereits sehnsüchtig. Genießt die schöne Zeit, die euch noch zusammen verbleibt, sie wird wahrlich nicht ewig währen. Und vergiss nicht, das Versprechen einzulösen, dass du mir gegeben hast!«

      Mit diesen Worten wandte sie sich ab, und schritt in den hinteren Teil der Höhle. Degaar hatte genug gehört. Auch wenn er nicht wusste, was er von diesem Orakelspruch halten sollte, so hatte er durch ihn doch neue Hoffnung geschöpft. Inbrünstig hoffte er, dass es keine falsche Hoffnung war! Er rappelte sich auf, schnappte seine wenigen Habseligkeiten und eilte Richtung Höhlenausgang. Er warf seine Fackel weg und stieg aus dem Erdloch empor. Draußen stand bereits der große, prächtige Vollmond am Himmel, der gerade so viel Licht spendete, dass Degaar es wagen konnte, schon jetzt den Heimritt anzutreten. Er ignorierte das eng umschlungene junge Pärchen vollkommen, das an ihm vorbei zu eben jener Höhle ging, die er gerade verlassen hatte. Er schwang sich auf seinen Rappen und gab ihm die Sporen.

      Perspektive

      Sucaría atmete auf. Die verdammte Wunde schmerzte einfach