Clemens Anwander

Des Orakels Richterspruch


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vollführte sie mit einer Hand eine Bewegung, die so aussah, als wollte sie ein kleines Tier verscheuchen – wohl, um ihm zu verstehen zu geben, ruhig zu sein - während sie in der anderen eine mittelgroße Tasche trug. Jarihm ging vor ihr her und setzte sich artig neben die Schildmaid, während die mysteriöse Frau vor ihr stehen blieb. Mit einer schnellen Bewegung öffnete sie den Verband und beäugte die Wunde.

      »Genau wie ich es vorhergesehen habe. Dann habt ihr den Attentäter erwischt?«

      Sucaría nickte perplex. Sie hatte bereits etwas von der Macht der Unbekannten zu spüren bekommen, aber das machte ihr Wissen nicht weniger unheimlich. Die Frau blickte sie erleichtert an und holte ein kleines Fläschchen aus der Tasche hervor.

      »Trink das. Es wird dir neue Kräfte verleihen.«

      Sie hielt es der Schildmaid entgegen. Ohne den geringsten Zweifel ergriff es diese, zog den Korken aus der Flasche, und augenblicklich breitete sich ein süßlicher Geruch aus. Es erinnerte sie an allerlei Beeren, aber auch an etwas, dass sie nicht recht zuordnen konnte. Ihr Hinterkopf warnte sie davor, unbekannte Substanzen zu trinken, aber für Zweifel war es inzwischen schon um einiges zu spät. Mit einem großen Schluck leerte sie das Behältnis, und wohlige Wärme breitete sich in ihrem Körper aus. Es hatte geschmeckt, wie es gerochen hatte, abgesehen davon, dass das Getränk noch ihre Kehle hinunter brannte.

      »Honigschnaps aus Ionikas, versetzt mit Beeren, Heilkräutern und etwas von meinem Ch’i. Und bevor du fragst: Die Beeren sind für den Geschmack, die Kräuter für die Wirkung und das Ch’i als magischer Beschleuniger. Und der Alkohol hilft beim Verdauen.« ,erklärte die Dame in Weiß augenzwinkernd. »Ch’i?« ,fragte Sucaría müde.

      »Magisch Kraft, welche zauberbegabte Personen aus magischen Quellen fördern und durch ihren Geist in sich speichern können.«

      Noch während die Dame in Weiß das sagte, kramte sie erneut in ihrer Tasche und förderte ein Glas mit grüner Paste und Verbandszeug zu Tage. Mit zwei Fingern fuhr sie in die Creme und verteilte sie großzügig über die blutige Stelle. Sucaría zuckte schmerzverzerrt zusammen, das Zeug brannte wie Feuer! Ungerührt machte die Frau in Weiß einfach weiter, und anschließend verband sie die Wunde wieder.

      »Damit dürftest du in zwei Tagen wieder wie neu sein.« Sucaría wollte sich gerade bei ihr bedanken, als ihr einfiel, dass sie ihren Namen gar nicht kannte.

      »Delphi. Man nennt mich Delphi, Sucaría.« Die Frau lächelte herzlich.

      »Moment mal«, schaltete sich Jarihm jetzt ungestüm in das Gespräch ein, der bisher dem Werken der beiden lediglich zugesehen hatte. Er wandte sich ihr zu.

      »Du hast mir gesagt, sie sei eine alte Freundin von dir. Wie kann es dann sein, dass du ihren Namen nicht kennst? Und sie«, jetzt drehte er seinen Kopf der mysteriösen Frau zu, die sich gerade als Delphi vorgestellt hatte.

      »Wie konnten sie meinen Namen wissen, wenn wir uns noch nie zuvor gesehen haben? Wie konnten sie überhaupt wissen, dass wir kommen würden? Es war ja nicht gerade so, als ob wir uns angemeldet hätten.«

      Delphi schaute ihn trotz seiner sichtlichen Aufregung seelenruhig an.

      »Sucaría und du, ihr seid heute hier, um von mir eure Zukunft vorhergesagt zu bekommen.«

      »Nein, nein, nein. Wir sind hier, weil sie ihr Gold schulden, welches sie jetzt dringend benötigt. Nicht wahr, Sucaría?«

      Die Schildmaid senkte betreten den Kopf. Sie konnte ihm jetzt einfach nicht in die Augen sehen. Sie hasste sich selbst dafür, dass sie unaufrichtig hatte sein müssen. »Sucaría?«

      Seine Stimme war voller Zweifel. Sie musste ihm einfach antworten, das schuldete sie ihm.

      »Das Ganze ist nicht ganz so, wie es dir jetzt erscheint. Die Wahrheit ist, dass ich dich hierher gelockt habe. Die gesamte Geschichte mit meinen Spielschulden bei Zilrag habe ich erfund…«

      Sie konnte nicht mehr weitersprechen. Sie hatte plötzlich das Gefühl, als ob ein großes Gewicht auf ihrem Oberkörper liegen würde welches alle Luft aus ihr rausdrückte und verhinderte, dass sie weitersprechen konnte.

      »Aber das kann doch gar nicht... Ich selbst habe gegen einen von Zilrags Schuldeneintreibern gekämpft im „Betrunkenen Elf“.«

      Sucaría sog betreten Luft ein. Sie hatte befürchtet, dass sie wieder darauf zu sprechen kommen würde müssen. Sie wollte es ihm nicht sagen, doch sie wusste, dass sie ihr keine andere Wahl mehr blieb.

      »Die beiden waren nicht wirklich Schuldeneintreiber sondern zwei meiner besten Freunde aus der königlichen Armee. Es sind Elitisten mit den Namen Vastor und Iklop.«

      Jarihm war jetzt aufgesprungen. Sucaría hob kurz ihren Blick um ihn anzusehen, was ein großer Fehler war. Er war aufgesprungen, sein Gesicht wutentbrannt und sein gesamter Körper bebte vor Aufregung. Doch sie meinte noch etwas erkannt zu haben: Er sah verwirrt aus und, was sie als viel schlimmer empfand, auch verletzt. Schnell senkte sie ihren Blick wieder, doch es war zu spät. Dieser Anblick hatte sie tief in ihrem Inneren getroffen. Ihr Herz zersprang ihr förmlich. Wie närrisch kam ihr jetzt doch ihre Hoffnung vor, er würde ihr einfach vergeben können. Sie spürte eine Erschütterung neben sich, als der Stuhl, auf dem er eben noch gesessen hatte, umfiel und am Boden aufprallte. Er hatte ihn wutentbrannt umgestoßen.

      »Ich verwinde hier. Sollte ich dich jemals wiedersehen, dann…«

      Er ließ den Satz unvollendet und sie hörte seine Schritte in Richtung Höhlenausgang verschwinden. Mühsam versuchte sie die Tränen zurückzuhalten. Plötzlich verstummten die Schritte. Er war stehen geblieben. Sollte das Schicksal etwa wirklich so gnädig gewesen sein und ihn ihr verzeihen lassen?

      »Dass du mich nach Strich und Faden belogen hast, ist schon schlimm genug. Aber das Ärgste ist, dass ich mich so in dir täuschen konnte. Ich dachte du wärst eine aufrichtige, herzensgute Person. Stattdessen muss ich rausfinden, dass du einen deiner Freunde schwer verwundet und den anderen, den du uns gestern ans Lager geschickt hast, brutal getötet hast. Diese Grausamkeit, diese Brutalität…«

      Nachdem er ihr diese Worte entgegengeschleudert hatte, lief er davon. Dicke Tränen kullerten ihr über die Backen. Sie wollte sagen, dass sie Vastor nicht tatsächlich verwundet hatte. Er hatte einen kleinen Sack mit Tierblut bei sich gehabt, den sie aufgestochen hatte um ihm seine „Verwundung“ zuzufügen. Wie sonst hätte sie Jarihm suggerieren können, dass ernsthafte Gefahr drohte? Sie wollte sagen, dass sie den Kerl von gestern Nacht nicht kannte, und dass er ein echter Angreifer gewesen war. Doch all dies blieb ihr in der Kehle stecken, stattdessen entfuhr ihr nur ein tiefes Schluchzen. Delphi zog ein kleines, weißes Stofftüchlein hervor und reichte es ihr, welches sie dankend annahm. Sie wollte stark sein, doch irgendwie trocknete der Strom an Tränen nicht aus. Die Frau in Weiß versuchte sie zu trösten. »Keine Bange meine Freundin. Du wirst ihn schon in Kürze wiedersehen.« Sucaría glaubte ihr nicht. Und selbst wenn, er hatte ihr für diesen Fall sogar gedroht.

      »Und er wird dir vergeben. Keine Sorge, ich beherrsche die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, sehr gut, selbst für die meiner Art. Ich werde Recht behalten.« Die Schildmaid blickte Delphi ins Gesicht. Sie wirkte, als würde sie absolut sicher sein, so als ob es nicht den geringsten Zweifel an der Tatsache geben würde, dass der junge Mann, der ihr auf seltsame Weise emotional so nahe ging, nicht dachte, dass sie das größte Scheusal sei, das je auf dieser Erde gewandelt ist. Die Art wie Delphi mit ihr umging, ließ langsam ihre Tränen versiegen, was diese zum Anlass nahm, wieder zu sprechen.

      »Es war essentiell, dass du ihn hierher gebracht hast. Er ist eine jener Personen, die keinen Zugang zum Ch’i haben. Er hätte einen Traum einfach als eben dies abgetan und wäre mit seinem Leben fortgefahren wie bisher. Aber jetzt, wo er einen kurzen Blick auf das Unerklärliche erhaschen konnte, wird er ins Grübeln kommen. Du hast die Saat gepflanzt, überlass die Zucht nur meinen fähigen Händen.« Sucaría verstand nicht vollkommen, was die Hellseherin sagte, aber irgendwie fand sie trotzdem Trost darin.

      »Was mich zu deinen Schicksal bringt.« Die Schildmaid schluckte. Sie hätte beinahe vergessen, dass auch sie hier war, weil das Orakel es so gefordert