Andreas Zenner

Heiße Tage - liebestolle Nächte


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      „Darf ich dich ein Stückchen begleiten.“

      „Es ist nicht weit“, meinte sie spöttisch, „das schaffe ich gerade noch alleine. Aber wenn du unbedingt meinst.“

      „Ist es dir peinlich mit so einem alten Dackel wie mir durch die Gegend zu ziehen?“

      „Fishing for compliments“, grinste sie, „ich sag nix.“

      Wir trotteten nebeneinander her und ich kam mir vor wie ein halbwüchsiger Pennäler, der vor dem Abschlussball des Tanzkurses seine Angebetete abholt.

      „Ich find‘s auch komisch, aber was soll ich machen?“

      Sie zuckte mit den Schultern. Schweigend gingen wir ein Stückchen. Ich gab mich meinen Fantasien hin, träumte von einer Romanze. Vor der Schauburg blieb sie ruckartig stehen, baute sich vor mir auf.

      „Ich mag keine Geheimnistuerei“, sagte sie. „Ich habe einen Freund. Er arbeitet in Münster und kommt immer an den Wochenenden.“

      Ich schluckte, fing mich rasch. Ihr Geständnis störte meine Pläne gehörig.

      „Dann könnten wir uns doch mal unter der Woche treffen. Natürlich nur, wenn du Lust hast.“

      „Weiß nicht.“

      „Ist doch nichts dabei“, spielte ich meine Enttäuschung herunter, „mal miteinander Essen gehen, oder einen Spaziergang machen.“ Mehr sagte ich nicht.

      „Du hast so hungrige Augen. Wie ein Steppenwolf. Da ist Vorsicht geboten.“

      Sie hatte ihren Hesse gelesen.

      „Und meine Zähne habe ich von einem Vampir, der mit Vorliebe anwesende junge Frauen aussaugt. Die Frauen im Fernsehen kommen immer so blutleer daher.“

      Wider Willen musste sie lachen.

      „Dann ist alles geklärt. Ich darf dich anrufen. Alles Weitere findet sich.“

      „Schon Angst vor der eigenen Courage?“, reizte sie mich. Sie ließ sich auf das Spielchen ein.

      „Das nicht, aber ich bin es nicht gewöhnt, so direkt zu sein.“

      „Hast du so viel Zeit zu vertrödeln?“, fragte sie ernsthaft.

      Wir bogen in die Bauerstraße, erreichten die breite Allee mit den Lindenbäumen. Milde Abendsonne färbte das Laub golden. Die dicht an dicht geparkten Autos waren mit schwarzer, klebriger Schmiere aus zusammengebackenem Zucker und Straßenstaub bekleckert. Jedes Jahr das gleiche, Myriaden von Blattläusen die sich mit süßem Saft vollsaugten. Ich kannte den ohnmächtigen Zorn der Fahrer, die jeden Morgen leise fluchend die verklebten Scheiben reinigen mussten. Im Sommer wird so der eingefleischteste Umweltschützer zum Baumhasser.

      „Da bin ich“, verkündete Tiffy und schob eine schwere, geschnitzte Eingangstür auf. Wie in Trance folgte ich ihr. Im Hausflur wehte uns aufsteigende, muffige Kellerkühle an. An den Wänden klebten bis zur halben Höhe bunt gemusterte Fließen. Der Boden gepflastert mit durchgetretenen roten Sandsteinplatten. An der Treppe ein abgegriffener hölzerner Handlauf mit blanken Messingbeschlägen.

      „Also dann, danke für den Tee.“ Sie streckte mir die Hand entgegen. Ein verirrter Sonnenstrahl huschte durch die bunt verglasten Fenster des Treppenhauses, malte farbige Kringel auf den Boden, wie die Scherben eines Regenbogens. Einen winzigen Augenblick zögerte ich, dann ergriff ich ihre Hand. Und weiß der Teufel, nicht mehr ganz Herr meiner Sinne, zog ich sie an mich. Den Arm mit der Aktentasche schlang ich unbeholfen um ihre Taille. Mein Gesicht näherte sich dem ihren, meine Augen versanken in ihren Augen. Ich küsste sie. Sie wich nicht aus. Ich presste meine Lippen gierig auf ihren Mund, schmeckte Lebkuchengewürze. Einen flüchtigen Augenblick bildete ich mir ein, sie erwidere meinen Kuss. Als sich unsere Lippen voneinander lösten, lächelte sie und maß mich mit einem versonnenen Blick, den ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu deuten wusste. Mit einem kehligen Lachen machte sie sich los.

      „Doch Steppenwolf“, grinste sie. „Was erlauben Sie sich mein Herr, ich bin ein anständiges Mädchen“, schauspielerte sie. Tiffy trat zwei Schritte zurück, drehte sich um und hüpfte lachend die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Ich hörte ihre Schritte. Hörte wie sie leichtfüßig von Stufe zu Stufe sprang. Ich sah ihr nach, überwältigt. Wie im Traum hallte ihre Stimme von oben.

      „Ruf mich an.“

      Ich nickte, ohne mir darüber im Klaren zu sein, dass sie mein Nicken nicht sehen konnte. Oben klappte eine Tür, fiel knarrend ins Schloss. Besoffen vor Glück taumelte ich aus dem Haus, starrte von außen an der Fassade hoch, in der Hoffnung, sie hinter einem der zweiflügligen Fenster zu erspähen. Doch nichts bewegte sich. Kein Vorhang bauschte sich, hinter dem sie sich hätte verstecken können. Die ersten Neonlampen flammten in den Büros im Hochparterre auf. Geschäftige Schatten glitten über die Wände.

      Nach einer Weile unschlüssigen Wartens, schwebte ich zur U-Bahnstation Hohenzollernplatz. Die rechte Hand fest auf die linke Brust gepresst, wo ich in der Tasche ihre Telefonnummer versteckte.

      Zuhause klemmte ich die Serviette mit der rot leuchtenden Telefonnummer an den Garderobenspiegel. Wie kitschig, dachte ich. Meine anfängliche Euphorie wich rasch nagenden Zweifeln. Ich war kaum fähig die mitgeführten Papiere zu studieren, malte stattdessen Strichmännchen auf meinen Block. Ich legte Tschaikowskys Violinkonzert auf. Die Geigenklänge stießen mich noch stärker in den Sumpf der Unsicherheit. Was zum Teufel hatte ich da begonnen und welchen Hafen steuerte ich an? War ich überhaupt noch der Steuermann oder schon der Galeerensklave? Gewiss, über allem stand meine unbezähmbare Sucht nach Sex. Aber falls ich tatsächlich zum Schuss kommen würde, was dann? Davonschleichen, wie ich es bei Erika tat, in stillschweigender Übereinkunft? Sie schien mir nicht der Mensch, mit dem man das machen konnte.

      Nachts wälzte ich mich schlaflos hin und her. Vergeblich versuchte ich mich zu beruhigen, indem ich mir immer wieder vorsagte: Es ist nichts passiert, außer einem belanglosen Kuss unter Freunden. Gar nichts. Es gibt keinen Grund aufgeregt zu sein. Weit nach Mitternacht schlief ich ein, träumte von ihrem jungen verführerischen Körper, der in greifbare Nähe gerückt schien und doch meilenweit entfernt war.

      Am nächsten Morgen erwachte ich mit dem Gedanken Tiffy sofort anzurufen. Aber ich wollte sie nicht bedrängen und schon gar nicht aufdringlich erscheinen. Ich geduldete mich, obwohl mir das Herz bis zum Halse klopfte, blickte ich nur auf die Serviette mit den knallroten Ziffern. Bevor ich ins Büro aufbrach nahm ich den Zettel noch einmal in die Hand, drehte ihn sehnsuchtsvoll, gleich einer kostbaren Reliquie. Flüsterte den Namen Tiffy lautlos vor mich hin.

      „Alter Narr“, schimpfte ich mich, „sie will nichts von dir. Über das Alter einer romantischen Schwärmerei solltest du hinaus sein.“

      Andererseits da war dieser Kuss, den ich auf meinen Lippen spürte als hätte sie ihn mir eben erst geschenkt. Ich glaubte Kardamom, Nelke und Zimt zu schmecken, leckte mir verstohlen die Lippen, obwohl gewiss nicht mehr das geringste Tröpfchen des Chai-Tees darauf haften konnte.

      „Denk an deine Regeln“, hämmerte ich mir ein. Vergeblich. In der Kanzlei machte ich offensichtlich einen verstörten Eindruck, denn Erika taxierte mich mit einem fragenden Blick. Sie saß zugeknöpft wie immer an ihrem Schreibtisch, hämmerte einen Schriftsatz in die Maschine, musterte mich über ihre Brille. Ich war an diesem Tag so verwirrt, dass ich sogar vergessen hatte mir meine rote Fliege umzuhängen. Wortlos erhob sie sich und fischte aus meinem Spind eine Ersatzfliege, die sie mir, nicht ohne mich verunsichert von der Seite anzublicken neben die Kaffeetasse legte. Ihr üppiger Busen streifte mein Ohr, gefährlich nah. Übermütig gab ich ihr einen Klaps auf den Po.

      Alte Gewohnheit dachte ich, auch wenn ich mir diese plumpen Vertraulichkeiten sonst nicht erlaube. Sie maß mich denn auch mit einem strafenden Blick, rauschte wortlos aus dem Raum. Ich wurde nicht schlau aus ihrem Verhalten, wollte mir aber in meinem euphorischen Zustand keine Gedanken über Erika machen. Zu sehr beschäftigte mich Tiffy. Meine Laune schwankte zwischen vergnügtem vor mich hin pfeifen und mutlosem dahindämmern.

      An diesem Tag war ich zu nichts zu gebrauchen.