Else Ury

Nesthäkchens erstes Schuljahr


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diese sich kaum aufrechterhalten konnte. Lauter kleine Händchen, lauter knicksende Beinchen.

      »Leb' wohl, Lotte – auf Wiedersehen, Hilde – na, Margot, morgen hast du doch keine Angst mehr – auf Wiedersehen, Annemarie.«

      »Auf Wiedersehen, Tante« – und sich besinnend, daß sie ja den Namen nennen sollte, verbesserte sich Annemarie: »Auf Wiedersehen, Tante Fräulein Hering.«

      Diesmal langte Nesthäkchen mit strahlendem Gesicht unten bei Fräulein an. Allerdings nur mit einem Gummischuh und ohne den kleinen Regenschirm. Von dem hatte ein anderes Kind Besitz ergriffen und wollte ihn durchaus nicht wieder herausgeben, weil er ihm so gut gefiel.

      Nachdem Fräulein mit vieler Mühe beides wieder herbeigeschafft hatte, ging es wieder in das Regenwetter hinaus.

      »Klitsch – klatsch – tromtromtrom« machte der Regen.

      »Hüit – hüi – it« heulte der Wind.

      Alle beide aber übertönte das Jauchzen von Nesthäkchen: »Hurra – fünfzig Kinder!«

      2. Kapitel

      Die große Schultüte

      Als Nesthäkchen von ihrem ersten Schulbesuch heimkehrte, hing draußen am Garderobenhaken ein dunkelgrüner Mantel und ein schwarzes Kapotthütchen.

      »Großmama ist da – Großmuttchen ist da!« Jubelnd schallte es von Klein-Annemaries Lippen beim Anblick der bekannten Sachen.

      Ja, wirklich, drin im Wohnzimmer bei Mutti saß die liebe Großmama. Ihr Gesicht leuchtete vor Freude, als ihr Herzblatt Annemarie mit aufgeschnallter Schulmappe hereinstürzte.

      »Großmuttchen, jetzt bin ich ein richtiges Schulmädchen!« Mit einem Satz sprang Annemie, ungeachtet ihrer neuen Würde, Großmama auf den Schoß. Die herzte und küsste ihren kleinen Liebling und streichelte sogar vor lauter Liebe die neue Schulmappe mit.

      »Also so sieht unser Nesthäkchen als Schulmädel aus«, sagte sie, das reizende, kleine Mädchen voll Großmutterstolz betrachtend. »Ja, aber hast du denn auch schon alles, Herzchen, was ein richtiges kleines Schulmädel haben muß?«

      »Natürlich,« nickte Nesthäkchen wichtig, »bloß ein paar Hefte und ein Rechenbuch sollen wir uns noch kaufen.«

      »Und sonst fehlt gar nichts mehr?« forschte Großmama mit heimlichem Lächeln.

      »Nee«, war das Ergebnis von Klein-Annemaries sekundenlangem Nachdenken.

      »O weh, da hast du am Ende auch schon eine Schultüte, wie sie jedes artige Kind am ersten Schultage zu bekommen pflegt?« scherzte Großmama und zog eine feuerrote Riesentüte hervor. »Da kann ich die wohl wieder mitnehmen?«

      Nesthäkchen wurde röter als die Schultüte, mit beiden Händen griff sie danach.

      »Nee, ach nee, die hat mir gerade noch gefehlt; au, ist die fein, die ist ja noch größer als meine Gerda, und soviel Schokolade ist drin – ach, ich danke dir tausendmal, Großmuttchen!« Annemaries Dankesbezeigung fiel so stürmisch aus, daß sich ein süßer Schokoladenregen aus der offen gebliebenen Tüte auf Großmama ergoß.

      Nachdem die braunen Flüchtlinge wieder alle eingefangen waren, fand Annemarie endlich Zeit, auch Mutti zu begrüßen.

      »Na, wie ist's dir in der Schule ergangen, meine Lotte?« fragte Mutti.

      »Famos – fünfzig Kinder sind in der Klasse, und Margot Thielen aus unserem Hause ist auch da. Aber das ist eine Heulsuse, ich habe mich zu ihr gesetzt, damit sie jemand aus ihrer Heimat bei sich hat und sich nicht so sehr grault. Und ich habe gar nicht geheult, man bloß ein ganz klein bißchen schoniert habe ich mich zuerst. Und ein einziges Mal bin ich bloß weggelaufen –«

      »Was – du bist fortgelaufen, Lotte?« fiel Mutti ihrem eifrig berichtenden Nesthäkchen erschreckt ins Wort.

      »Ja, aber bloß ein einziges Mal, und ich bin auch gleich wiedergekommen. Fräulein hat mich zurückgebracht«, beruhigte Annemarie Mutti.

      »Aber du darfst doch aus der Schule nicht fortlaufen, Lotte, versprich mir, daß du das nie wieder tun wirst!« verlangte Frau Doktor Braun eindringlich.

      »Nee – bloß wenn sie mich wieder mal auslachen«, gab Nesthäkchen bereitwilligst zu.

      »Nein, auch dann darfst du nicht fortlaufen«, sagte Mutti so ernst und bestimmt, wie sie selten zu ihrer Kleinsten sprach.

      Großmama aber fragte aufgebracht: »Wer hat mein Herzblatt ausgelacht?«

      »Alle haben sie gelacht, bloß weil ich gesagt habe, Vater heißt ›Edchen‹ und ›mein Einziges‹ und ›Herr Doktor‹ – und er heißt doch so!« setzte Klein-Annemarie, das Köpfchen zurückwerfend, hinzu und gab ihrer Behauptung durch Auftreten mit dem Füßchen noch stärkeren Nachdruck.

      Da lachten auch Großmama und Mutti herzlich. Letztere aber sagte dann: »Wenn du wieder einmal danach gefragt wirst, Lotte, dann sagst du, dein Vater heißt Doktor Braun. Und nun gehe und lege die Mappe ab, Kind, oder willst du gleich bis morgen früh so bleiben?«

      Jetzt mußte auch Nesthäkchen lachen, das eben noch ganz bestürzt in die belustigten Gesichter geblickt hatte. Und dann sprang Annemarie, ihre große, rote Schultüte in der Hand, ins Kinderzimmer, wo die Puppen schon sehnsüchtig auf sie warteten.

      Da ging ein Leuchten über all die starren Porzellan- und Zelluloidgesichter, als sie ihres kleinen Mütterchens endlich wieder ansichtig wurden.

      »Seht mal, Kinder, was ich habe«! Strahlend hielt die Kleine ihren Puppen die große, rote Tüte hin. Die Schulmappe flog – pardauz – in irgendeine Ecke und gerade auf den Puppenjungen Kurt, der sich meistens in allen Ecken herumtrieb.

      »Au, meine Hühneraugen!« schrie dieser, trotzdem seine beiden Beine abgeschlagen waren.

      Aber Annemarie kümmerte sich nicht um Kurts Schimpfen, wohl aber um das Fräulein.

      »Pfui, Annemie, so gehst du mit deiner neuen Mappe um – ein ordentliches kleines Mädchen hängt seine Schulmappe an den dafür bestimmten Haken. Und dann laß dich gleich umziehen. Sachen, die man in der Schule trägt, darf man nicht zu Hause anbehalten, sonst kommen Flecke und Risse hinein.«

      Gehorsam befolgte die Kleine Fräuleins Worte. Vorher aber mußte sie noch ganz schnell Gerdachen das Porzellangesicht streicheln.

      »Ist dir sehr bange nach mir gewesen, mein Liebling?« flüsterte sie der Puppe ins Ohr.

      Die schien mit dem Kopf zu schütteln.

      »Na ja, du hast ja jetzt auch einen Mann! Ich habe dich ja gestern noch ganz schnell mit meinem Herrn Leutnant verheiratet, damit du nicht so allein bist, wenn ich in die Schule muß. Der ist noch kein bißchen kaputt, bloß die Nase und der Helm sind etwas eingedrückt. Da habe ich dir doch nicht so doll gefehlt, nicht wahr?« Annemie sah nicht, daß die Puppe nickte, denn Fräulein zog ihr gerade das Hauskleidchen über.

      Aber als sich die Kleine jetzt nach dem jungen Ehemann umsah, war der nirgends zu finden. Nach langem Suchen kam der Herr Leutnant endlich aus der Puppenküche hervorgekrochen, dort mußte er wohl gestern Abend beim Hochzeitsschmaus vergessen worden sein. Oder war der Herr Leutnant ein Topfgucker und wollte sehen, was ihm seine liebe Frau Gerda zum Mittag gekocht habe?

      Noch ein junges Ehepaar, das gestern Hochzeit gefeiert, hatte Annemie unter ihren Kindern. Das war das blasse Irenchen und der Puppenjunge Kurt mit den abgeschlagenen Beinen. Irenchen saß sogar noch mit dem weißen Brautschleier und dem grünen Petersilienkranz im Haar da.

      Die übrigen Puppen schienen von dem Hochzeitstanz sehr müde zu sein. Mariannchen machte ihre Augen, die auch sonst nur aufgingen, nachdem sie ein paar tüchtige Katzenköpfe bekommen hatte, heute überhaupt nicht auf. Lolo, das schwarze Mohrenkind, blinzelte Annemarie verschlafen an, und Baby schlief sogar mit offenen Augen.

      Annemarie hatte nicht recht Zeit für ihre Kinder. Schularbeiten