waren mit den Siedlern, vornehmlich dem weiblichen Anteil, darin einig, dass es angeraten sei, dem „Sauffteuff“ zu begegnen, dem Männer doch so leicht verfielen. Dies war womöglich der Grund, warum es bei den gelegentlichen Tanz- und Theaterabenden zu ausgesprochen regem Zuspruch der Alkoholbestände kam.
Josefine hatte vor allem den Damen-Club mit viel persönlichem Engagement ausgestattet. Auch wenn die meisten Möbel selbst gezimmert und geschreinert waren, so lagen doch Deckchen aus bester Brüsseler Spitze auf den Tischen und es wurde mit feinem Porzellan eingedeckt. Jede der Frauen hatte ihre Spezialität beim Backen und mancher dieser Genüsse fand seinen Weg in den Laden von Pecos Bill und den Magen eines indianischen Kunden.
An diesem Nachmittag war Nähstunde. Josefine saß mit einem Dutzend Frauen im Club, während Marianne Seiler, eine überaus begabte Schneiderin, ein paar ihrer Kenntnisse weiter gab. Es ging nicht alleine um Näh- und Schneiderkünste, sondern auch um die Möglichkeiten, die Kleidung zu säubern, zu pflegen und frei von Ungeziefer zu halten.
„Früher hat man die Sachen über offenem Feuer geräuchert, um die Plagegeister zu vertreiben“, erklärte Frau Seiler, „und musste sie anschließend natürlich waschen, um den lästigen Geruch los zu werden. Das Problem bei Läusen ist ihr Nachwuchs. Die winzigen Nissen können sich in jeder Naht versteckt halten. Daher müsst ihr darauf achten, mit dem Bügeleisen jede einzelne Naht sorgfältig zu erhitzen und zu glätten.“ Die Schneiderin nahm zwei Bügeleisen und stellte sie nebeneinander auf den Tisch. „Bei dem hier ist es ganz simpel. Ein einfaches Glätteisen, welches man auf den Ofen stellt und mit dem man, wenn seine schmiedeeiserne Bodenplatte genug erhitzt ist, über die Kleidung fährt. Aber dieses Modell hier, bei dem klappt man das Oberteil zurück und gibt glühende Kohlestückchen hinein. Es klingt ein wenig umständlich, meine Lieben, aber dafür bleibt die Unterseite sauber und man beschmutzt die Kleidung nicht mit Rückständen von der Ofenplatte.“
Josefine nickte und schob sich das letzte Stück Apfelkuchen in den Mund.
Eine der Frauen sah dies mit sichtlichem Wohlgefallen. „Noch ein Stück, meine Verehrte?“
„Grundgütiger, Sie bringen mich wahrhaftig in Versuchung“, gestand Josefine. „Ihr Apfelkuchen ist wirklich ganz exquisit, meine Liebe. Ich möchte behaupten, dass Ihr Rezept weit besser ist, als das meine. Aber ich muss doch ein wenig auf meine Linie achten.“
„Ach, Unsinn.“ Die Frau schob ein zweites Stück auf Josefines Teller. „Das Geheimnis ist übrigens der Schmand. Ich gebe immer ein wenig saure Sahne hinzu. Nun nehmen sie schon, liebe Josefine, eine Frau braucht ihre Rundungen. Männer mögen es, wenn an uns Weibern auch etwas dran ist.“
Auch wenn die Siedlerin es nicht beabsichtigte, so berührte sie damit einen wunden Punkt bei Josefine. Unter den unverheirateten Bewohnern von Farrington befand sich kein Mann, der ihr ernstes Interesse gefunden hätte. Wenn sie ihr Leben nicht als Jungfer beenden wollte, so konnte sie nur auf einen zufälligen Besucher des Ortes hoffen oder musste, was durchaus den Gepflogenheiten entsprach, ihr Interesse an einem passenden Gemahl über eine Annonce äußern. Ein Problem, welches sich jungen Damen in den großen Städten wohl kaum stellte, wie Josefine betrübt vermutete.
Frau Seiler verstummte in ihrem Vortrag und hob lauschend den Kopf. „Habt ihr das gehört? War das nicht ein Hornsignal?“
Die Gespräche verstummten und alle lauschten.
Dann hörten es auch die anderen.
„Das ist kein Hornsignal“, meinte Josefine. „Das ist eine richtige Melodie.“
„Aber sie kommt aus einem Horn“, fügte die Schneiderin hinzu.
Die Damen erhoben sich. Aus dem Herren-Club war das Rücken von Stühlen zu vernehmen. Gemeinsam traten Männer und Frauen auf den Vorbau hinaus.
„Das kommt vom anderen Ende der Straße“, stellte einer der Männer fest. „Vom Osten.“
Inzwischen war das Horn sehr deutlich zu hören. Eigentlich waren es sogar zwei Hörner, die eine beschwingte Marschmelodie ertönen ließen. Keiner der Deutschen kannte „The Spanish Guard Mount“ oder „The American Flagg“, aber am fernen Ende der Straße wurden Reiter erkennbar, die eine geordnete Kolonne bildeten. Über blauen Uniformen wehte ein Wimpel, der an das Sternenbanner der Union erinnerte, dessen Sterne jedoch in Kreisen angeordnet waren.
„Militär? Kavallerie? Hier?“ Josefine trat dicht an den Handlauf des Vorbaus. „Was hat die Armee hier verloren?“
„Eine Patrouille?“, vermutete die Schneiderin.
„Die blasen keinen Marsch, wenn sie durch die Gegend reiten“, behauptete einer der Männer, obwohl er die Gepflogenheiten amerikanischer Kavallerie eigentlich nicht kannte.
„Gütiger Gott, ob die Krieg mit den Indianern machen?“ Die Fragestellerin legte erschrocken die Hand vor den Mund.
„Das fehlte noch“, ächzte ein Mann.
„Hauptsache, die verschwinden wieder“, kam es von einem anderen. „Soldaten bedeuten niemals etwas Gutes.“
„Das hier ist kein königliches Militär, welches die Demokratiebewegung zerschlagen will.“ Der Sprecher erinnerte sich noch gut an das Ende der deutschen Revolution im Jahr 1848. „Wir sind hier in Amerika.“
„Trotzdem ist das Militär und das hat nichts Gutes zu bedeuten“, bekräftigte eine Frau, die schützend die Arme um ihren Jungen legte.
In den Klang des Horns mischte sich nun das Pochen zahlreicher Hufe. Sattelleder knarrte, Ausrüstungsteile schlugen aneinander und mischten sich zu dem typischen Geräusch einer trabenden Kavallerieabteilung. Das Horn verstummte nun, während die Abteilung langsam näher kam.
Immer mehr Siedler von Farrington traten vor ihre Häuser. Schräg gegenüber von Josefine´s Saloon verließ nun Graf Wilhelm von Trauenstein die Bürgermeisterei und blickte den Soldaten, unter dem Schatten des breiten Vorbaus hervor, entgegen.
Vor der Bürgermeisterei hingen zwei Fahnen, welche sie als amtliches Gebäude hervorhoben. Eine war das Sternenbanner der Union, die andere das alte schwarz-rot-goldene Banner der gescheiterten Demokratiebewegung. Die Neuankömmlinge würden sich an den Fahnen orientieren und dort ihren Ansprechpartner suchen. Als Josefine dies erkannte, verließ sie den eigenen Vorbau und eilte über die Straße zu ihrem Vater. Die anderen zögerten kurz, doch dann folgten sie ihr.
Vor dem zweigeschossigen Haus bildete sich eine zunehmende Menschentraube, als der Offizier an der Spitze der Kolonne den Arm hob und sie zum Halt befahl. Hinter ihm hob ein junger Hornist sein Instrument und blies das entsprechende Signal, dessen Befehl von den Stimmen der Sergeants aufgenommen wurde und die Viererkolonne entlang wanderte. Am Ende der Formation waren die hellen Planen mehrer Gespannfahrzeuge sichtbar.
Der Offizier trug die Schulterstücke eines Captains und die rote Feldbinde um die Taille, deren Quasten an der linken Seite baumelten, wo der Säbel an seinen Riemen hing. Er trug den einreihig geknöpften langen Rock eines Kompanieoffiziers und, im Gegensatz zu seinen Männern, dunkelblaue Hosen mit wollenem Reitbesatz und einem schmalen gelben Nahtstreifen. Der Mann war schlank und das gebräunte Gesicht zeigte die Falten des Alters. Haar, Augenbrauen und Bart waren grau und der Vollbart reichte, obwohl er sichtlich gepflegt wurde, bis auf die Brust hinab.
„Captain Sam Larner. Ich befehlige die „H“-Kompanie vom fünften Regiment der Wisconsin-Freiwilligen-Kavallerie“, stellte er sich vor.
„Wilhelm von Trauenstein“, entgegnete der Graf. „Ich bin der Bürgermeister unserer Gemeinschaft. Ich bin ein wenig überrascht, Captain. Wir leben nun schon einige Jahre hier und in der Zeit sind hier nur wenige Patrouillen der Armee durchgekommen. Niemals mehr als neun Reiter. Wenn ich es recht bedenke… Im letzten halben Jahr kam überhaupt keine Patrouille mehr durch Farrington. Ich hoffe, Ihr Aufmarsch gibt mir keinen Anlass zur Sorge.“
Sam Larner ließ sich aus dem Sattel gleiten und reckte sich ächzend. Man konnte nun sehen, dass er nicht besonders groß war und die Form der Beine verriet, dass er wohl die meiste Zeit des Lebens im Sattel verbracht