Melanie Tasi

Borderline


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zum Denken.“ Als Janice sich nach den Keksen bückte, bemerkte sie, dass sich vor ihrer Zimmertür jemand bewegte. Durch das schwache Licht, das unter der Tür hindurch schien, konnte sie einen Schatten erkennen. Vorsichtig stand sie auf und ging auf die Tür zu. Kaum, dass sie vor der Tür stehen geblieben war, verschwand der Schatten auch schon wieder. Starr vor Angst stand Janice einige Minuten vor der verschlossenen Zimmertür.

      Unentschlossen, ob sie hinaus gehen sollte, schaute sie sich in dem kleinen Raum nach etwas um, das sie als Waffe benutzen konnte. Das einzige, das in Frage kam, war ein alter Regenschirm, der in einer Ecke neben der Tür stand. Na toll, wenn ich denjenigen vor der Tür schon nicht verletzen kann, kann ich ihn vielleicht dazu bringen, dass er sich totlacht, dachte Janice und näherte sich langsam der Tür.

      Mit einem Ohr an das kalte Holz der Zimmertür gepresste, versuchte sie durch ruhiges Atmen ihre Angst in den Griff zu bekommen. Aber es half nichts. Ihr Herz schlug so laut, dass sie das Gefühl hatte, gleich in Ohnmacht zu fallen. Von der anderen Seite der Tür war nichts zu hören. Langsam und ohne viel Lärm zu machen, öffnete sie die Tür und schaute vorsichtig auf den wenig beleuchteten Flur hinaus. Niemand war zu sehen. Den Regenschirm mit beiden Händen fest umklammert, machte sie einen Schritt hinaus. Janice schaute nach links, den kleinen Flur entlang bis zu einer Treppe, die entweder nach oben in den zweiten Stock führte oder nach unten ins Erdgeschoss.

      Da ihr Zimmer eines der letzten auf dieser Etage war, gab es für einen Angreifer nur diesen einen Weg. Leise knarrende Geräusche halten durch den Flur. War da jemand oder bildete sie sich das nur ein?

      „Hallo, ist da jemand?“ Nur mit Mühe kamen Janice die Worte über die Lippen. Sie wartete einige Sekunden und beobachtete den Flur. Natürlich wird dir ein Angreifer nicht antworten, dachte sie und huschte, so schnell wie es ihr möglich war, zurück in ihr Zimmer und verschloss die Tür. Zur Sicherheit lehnte sie noch den etwas wackeligen Stuhl unter den Türknauf.

      „Sicher ist sicher“, sagte sie und schlüpfte zurück unter ihre Bettdecke. Da sie jetzt unmöglich schlafen konnte, hob sie die Schachtel mit ihren Keksen vom Boden auf und schob sich zwei Schokokekse gleichzeitig in den Mund. Immer wenn sie als kleines Mädchen Angst gehabt hatte, wirkten Schokokekse beruhigend auf sie. Irgendwie wunderte sie sich plötzlich, wie sie trotz der vielen Kekse ihre schlanke Figur behalten hatte. Nach einigen unruhigen Stunden und einer leeren Keksschachtel siegte aber doch die Müdigkeit und Janice schlief über der Akte von Danny Read ein.

       Kapitel 2

      Sein ganzer Körper schrie förmlich vor Schmerzen. Warum er diese Schmerzen spürte, wusste er nicht. Langsam versuchte er seine brennenden Augen zu öffnen.

      „Wo bin ich?“ Sein Mund war trocken und er hatte einen merkwürdigen Geschmack nach faulen Eiern auf der Zunge. Er spürte, dass er auf steinigem Boden lag. Vorsichtig versuchte er, sich langsam aufzurichten.

      „Hey, das ist nicht mein Zimmer“, sagte er und schaute sich in seiner neuen Umgebung um. Durch die Dunkelheit hindurch konnte er aber nicht viel erkennen. An die Wand gelehnt tastete er sich vorsichtig durch den Raum. Es war ein kleiner Raum.

      „Wo zum Teufel bin ich?“ Er blieb stehen, als er einen Schatten an sich vorbei huschen sah. Das darf doch nicht wahr sein, nicht schon wieder, dachte er und lehnte sich mit dem Rücken an die steinige Wand. Sie war kalt und doch irgendwie warm.

      „Der Vergleich mit dem Teufel schmeichelt mir.“ Eine düstere Stimme hallte nun durch den Raum. Sie war laut und schmerzte in den Ohren.

      „Wer bist du und was willst du von mir“, schrie er erschrocken.

      „Du weißt, wer ich bin und was ich will. Ich bin du, gleichzeitig bin ich aber auch in dir.“ Er hatte plötzlich das Gefühl, die Stimme nur in seinem Kopf zu hören. Ein bohrender Schmerz breitete sich hinter seiner Stirn aus.

      „Ich verstehe nicht. Was soll das heißen?“, schrie er und Panik brach in ihm aus.

      „Stell dich nicht dümmer als du bist. Wie oft in den letzen Jahren hatten wir jetzt schon dieses Gespräch? Mehr als ein duzend mal, nicht wahr?“ Der Schatten huschte jetzt über die Wand gegenüber von ihm. Langsam und mit vorsichtigen Schritten tastete er sich weiter entlang der Wand, in der Hoffnung endlich einen Ausgang zu finden.

      „Heißt das, ich bin besessen von dir?“, fragte er und blieb stehen. Unruhig schaute er sich, durch die Dunkelheit hindurch, in dem Raum um. Dies war definitiv nicht sein Zimmer. Aber wo war er dann?

      „Ach mein Lieber, vergisst du es etwa jedes Mal, wenn ich dich hohle?“ Der Schatten blieb jetzt direkt vor ihm stehen. Das Einzige, was er jedoch erkennen konnte, war eine riesige schwarze Wolke.

      „Ich verstehe das nicht. Warum ich? Warum tust du mir das an?“ Panisch vor Angst fiel er schreiend auf die Knie. Die schattenhafte Wolke blieb immer noch vor ihm stehen.

      „Du weißt, was ich will. Ich will zurück in diese Welt und dazu brauche ich nun mal deine Hilfe“, sagte der Schatten und entfernte sich ein Stück von ihm.

      „Aber warum ausgerechnet ich? Warum nicht einer von den Verrückten?“ Er hatte sich etwas beruhigt und stand langsam wieder auf. Durch den dunklen Raum und dem stickigen Geruch wurde ihm schwindelig. Um nicht in Ohnmacht zu fallen musste er sich an die Wand hinter sich lehnen.

      „Du bist der Einzige zu dem ich durchdringen kann. Das war schon in deiner Kindheit so.“ Der Schatten kam jetzt wieder näher an ihn heran. Als er ganz nah bei ihm war, sagte er: „Hilf mir, wieder in diese Welt zu kommen.“

      „Aber wie und warum? Ich will nicht. Lass mich in Ruhe“, schrie er und ging hastig an der Wand entlang, um sich von dem Schatten zu entfernen. Plötzlich stolperte er über etwas hartem und fiel zu Boden. Augenblicklich erhob sich der Schatten bedrohlich über ihm.

      „Wenn du mir nicht hilfst, werde ich dich niemals in ruhe lassen. Das hab ich dir schon mehrmals gesagt, nicht wahr?“

      Er kroch ein Stück weiter und blieb abrupt sitzen. Da war etwas in der Wand. Er konnte zwar nicht sehen, was es war, aber es fühlte sich wie eine Tür an. Er erhob sich langsam und suchte nach dem Griff. Als er ihn gefunden hatte, rüttelte er kräftig daran. Sie ließ sich jedoch nicht öffnen.

      „Verdammt. Ok, ich hab ja eh keine andere Wahl, oder? Also sag mir, was ich machen soll, um dich wieder los zu werden.“ Er hatte sich wieder umgedreht und suchte nach der schattenhaften Wolke. In der Dunkelheit war nichts von dem Schatten zu erkennen.

      „Du weißt, was du zu tun hast. Es gibt genug junge Schwestern hier in der Klinik, die geeignet sind, um mich wieder in diese Welt zu bringen. Oder vielleicht die neue Ärztin? Sie scheint dich zu mögen.“ Der Schatten ließ ein schalendes Gelächter von sich hören und verstummte abrupt.

      „Ich verstehe nicht. Was soll ich mit den Frauen machen?“ Er versuchte wieder vergebens an dem Türgriff zu rütteln. Die Wolke kam rasend schnell auf ihn zu und blieb direkt vor im stehen. Mit wutentbrannter Stimme rief der Schatten: „Stell dich nicht dümmer als du bist, kleiner Mensch. Du wirst ja wohl wissen, was du mit einer Frau anzufangen hast, oder?“

      „Ich soll mit einer schlafen, damit du wiedergeboren wirst?“ Er starrte ungläubig auf die riesige Wolke vor ihm. Der Schatten bewegte sich nicht. Trotzdem konnte er ihn ganz leicht in der Dunkelheit erkennen.

      „Na endlich hast du es begriffen.“ Der Schatten huschte wieder über eine der Wände. Er stand ungläubig an die Tür gelehnt und blickte in das tiefste Schwarz, das er je gesehen hatte. Er ließ sich zu Boden sinken und blieb dort sitzen. Mit dem Handrücken wischte er sich einige Schweißperlen von der Stirn und sagte: „Aber wie soll ich das machen? Ich meine, wie soll ich hier heraus kommen?“

      „Mach dir darüber keine Gedanken. Ich werde dir dabei schon helfen und bei allem Anderem auch.“ Wieder fing der Schatten laut an zu Lachen. Es hörte sich grotesk an. Er musste sich die Ohren zu halten,