Kurt F. Neubert

Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg


Скачать книгу

hob sie beschwörend, rollte mit den Augen, kokettierte mit den Rekruten wie mit jungen Frauen, die zu betören sind. Den Krieg und Feldzug gegen Russland versuchte er tiefsinnig wie einen leichten Sturm darzustellen, der über die Weiten des Russenlandes hinwegbrause, um das morsche Slawentum wie trockne Äste vom Baum zu reißen und in den Sumpf zu schleudern. Und nach diesem Sturm bleibe nur das Gesunde und Lebensfähige übrig. Ja, und das sei die germanische Rasse. Unaufhaltsam werde so die Germanisierung bis in die weiten asiatischen Steppen getragen. Sie, die Deutschen, in denen das arische Blut fließe, seien von der Vorsehung auserwählt, den Schicksalsweg der neuen Zivilisation in der Welt zu bestimmen.

      Nur wir Auserwählten besäßen die Vision eines Tausendjährigen Reiches. Dieses Großreich werde nach den Willen des Führers so gestaltet, wie er es in „Mein Kampf” vorgezeichnet habe.

      „Um auf Ihre Frage zu antworten”, sagte er danach zu Beppo: „In vier, spätestens in sechs Wochen steht der Führer auf dem Roten Platz in Moskau und wird den Helden, die den Osten Europas für das Vaterland in Besitz nahmen, seine Glückwünsche zum Sieg über die russischen Heere aussprechen. Von diesem Tag an, Kameraden, wird unser Leben einen höheren, überzeitlichen Sinn erhalten.”

      Mit diesem Redeschwall endete aber immer noch nicht seine Ansprache. Sein Gesicht schien in Seligkeit zu schwimmen, als er dann vom ewigen Krieg sprach, der ein Lebenselement des menschlichen Daseins überhaupt darstelle. Wie Tiere tagtäglich ums Überleben kämpften, so sei auch der Mensch vom Schicksal dazu verurteilt, seine Lebensaufgabe im Kampf zu suchen, Schwächlinge und niedere Rassen niederzuwerfen, ja, wenn notwendig, sogar auszurotten, das heißt Anpassung an die moderne Lebensweise. So werde der russische Koloss auf tönernen Füßen in die Hölle geschickt.

      Gebannt hatte auch Karl zugehört. Dennoch konnte er in jener Stunde nicht freudig zustimmen. Er erinnerte sich plötzlich daran, wie Onkel Hermann, ein Bruder seiner Mutter, nachdem der Nichtangriffspakt im August 1939 zwischen Moskau und Berlin abgeschlossen wurde, prophezeite, eines Tages werde Hitler Russland überfallen, und das führe Deutschland in die Katastrophe. Genauso hatte er sich zu Napoleons Untergang geäußert.

      Die Vereidigung

      Nach den Meldungen über den grandiosen Vormarsch der Wehrmachtsverbände an der Ostfront erlebten die jungen Rekruten den Tag der Vereidigung als „ein der Ehre verpflichtendes Ereignis“. Der Tag stieg mit einer blassen Morgenröte aus der klaren Nacht.

      Die Trillerpfeife des UvD wirkte an diesem Morgen wie ein laues Lüftchen. Frühstück, Antreten, die Kontrolle der Paradeuniform und die Befehle der Vorgesetzten atmeten an diesem Vormittag eine verblüffende Ruhe und Sanftheit. Alle Fesseln des militärischen Zwangs waren für eine kurze Zeit einer Atmosphäre der Freundlichkeit gewichen. Man konnte glauben, nun wende sich alles zum Guten.

      Zum ersten Mal stand der Rekrut im Mittelpunkt, denn er hatte den Eid auf Führer, Volk und Vaterland zu leisten. Der Schwur, so war ihnen eingebleut worden, bilde den Wendepunkt im Dasein jedes jungen Soldaten. Von diesem Tag an, sollte es kein größeres Glück für ihn geben, als die Waffen zum Ruhme des Vaterlandes tragen zu dürfen. Leidenschaftlich und wagemutig müsse er in der Schlacht jeden Feind niederwerfen, und wenn erforderlich, das eigene Blut dem Sieg für die Heimat opfern.

      Wehe dem Eidbrüchigen!

      Die Kompanien des Ersatzbataillons 5 marschierten unter einem blauen Himmel und mit Marschgesang zum Vereidigungsplatz. Im Karree stehend, erwarteten sie das Vereidigungszeremoniell.

      Karl fühlte, er war nur ein Rädchen in den Reihen der angetretenen Rekruten. Sein Blick war fest aufs Genick des Vordermannes gerichtet. Der Stahlhelmriemen saß straff unterm Kinn. Plötzlich kamen ihm die Worte des Gruppenführers vom Vorabend in den Sinn.

      „Kameraden, der Eid ist Ihr Versprechen an den Führer, für die heiligste Sache dieser Welt bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen. Sie schwören im Angesicht der Regimentsfahne für die unwiederbringlichen Ideen des Großdeutschen Reiches, all Ihre Kräfte einzusetzen und niemals auch nur einen Fußbreit Boden Deutschlands preiszugeben.”

      Ein Befehl riss Karl aus seinen Gedanken.

      „Bataillon – stillgestanden! Zum Einmarsch der Regimentsfahne – Augen rechts!”

      Es klappte wie am Schnürchen. Alle Augen folgten der Fahne, die von einem Offizier und zwei Fähnrichen im Stechschritt zur Mitte des Karrees getragen wurde.

      Vier ausgewählte Rekruten aus den Kompanien wurden zur Fahne befohlen. Die Fahne wurde gesenkt. Die Rekruten ergriffen die Ecken des Fahnentuches. Eine Offiziersstimme, sich fast überschlagend, befahl: „Bataillon – zur Vereidigung – stillgestanden!”

      Ein schlanker Hauptmann trat zur Fahne. Seine jugendhelle Stimme erschallte deutlich über den Köpfen der Soldaten und erreichte jedes Ohr. Die Soldaten hoben die rechte Hand zum Schwur.

      Laut und deutlich rief er:

      „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid …”

      Unter ihren Stahlhelmen schwitzten die Rekruten. Im Chor wiederholten sie laut: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid …”

      Einen Augenblick herrschte Stille. Karl sah den Hauptmann, meinte dessen Blick in der flirrenden Luft zu spüren und hörte seine energische Stimme.

      „… dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler …”

      „… dem obersten Befehlshaber der Wehrmacht unbedingten Gehorsam zu leisten …”

      Feierlich schmetterte auch Karl: „… dem obersten Befehlshaber der Wehrmacht unbedingten Gehorsam zu leisten …”

      „zu leisten …”, hallte es von den Wänden der Fahrzeughallen wider.

      „… und als tapferer Soldat bereit sein will …”

      „… bereit sein will …” sprachen alle nach.

      Fast grell schwang sich die Stimme des Hauptmanns in den Himmel: „… jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen!”

      In feierlicher Pose wiederholten die jungen Männer:

      „… jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen!”

      Der Hauptmann trat zurück. Die Fahne wurde gehoben.

      Ein Pfarrer, hinter den Bataillonsoffizieren hervortretend, ging zur Mitte des Appellplatzes. Seine Wangen bedeckten rote Erregungsflecken. Dieser kleine, untersetzte Mann hatte einen dröhnenden Bass, und er war ein glänzender Redner. Er sprach vom Gottesauftrag, den die Soldaten in der feldgrauen oder schwarzen Uniform für Führer und Vaterland zu erfüllen hätten. Er beschwor die auf dem Appellplatz Angetretenen, im Sinne des abgelegten Eides nicht eher die Waffe aus der Hand zu legen, bis auch der letzte Feind im Staube liege.

      Erneut erhob der Hauptmann seine Stimme: „Helm ab! Kniet nieder, zum Gebet!”

      Mit dem Stahlhelm unter dem rechten Arm knieten die Rekruten nieder. Feierlich zelebrierte der Pfarrer mit Leidenschaft das Vaterunser. Dann erteilte er den Vereidigten den kirchlichen Segen und wünschte ihnen im Kampf Erfolg und Glück. „Möge Gott unseren geliebten Führer alle Zeit beschützen und Deutschland den großen Sieg schenken.”

      Das Zeremoniell wurde mit dem Vorbeimarsch an der Regimentsleitung und den Bataillonsoffizieren beendet.

      Die stellvertretenden Kompaniechefs übernahmen in den Kompanien das Kommando. Nach dem Vorbeimarsch führte Oberleutnant Schaffhausen die zweite. Kompanie zur Panzerausfahrt. Kurz dahinter, in einer breiten Waldschneise, befahl er: „Kompanie halt! – zur Pause weggetreten!”

      Sich den Stahlhelm vom Kopf reißend, setzten sich die jungen Rekruten auf trockenes Gras und Moos am Waldrand. Karl hockte sich neben ein Gebüsch, dessen Blätter zu gilben begannen. Erschreckt flogen zwei Blaumeisen davon.

      Der Gruppenführer trat an die Gruppe heran. Lächelnd gratulierte er zur Vereidigung. Es folgte sein Rat, sich nun als vollwertige Soldaten noch mehr anzustrengen, damit das Ziel der Ausbildung mit Bestnoten