Kurt F. Neubert

Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg


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wird gegen das, was Sie erdulden müssen, ein wahrer Spaziergang gewesen sein. Ich versichere Ihnen, ich mache Sie zur Wildsau, Sie …, Sie Schweinekopp.”

      Aus irgendeinem Bett kam ein leises Kichern.

      Dämonitzki drehte sich wie ein Kreisel, stemmte die Hände in die Hüften und brüllte: „Wer hat da gekichert?”

      Niemand meldete sich.

      „Ihr denkt wohl, der Dämonitzki ist doof, was! Der merkt nicht, wie ihr in eure Kissen grinst. Aber da seid ihr auf dem Holzweg, ihr elenden Hundesöhne. Schreibt es euch hinter die Ohren: Dämonitzki sieht alles, hört alles, merkt alles. Mich macht keiner was vor, ihr elenden Holzköpfe?”

      Wütend schleuderte er mit einem Stiefeltritt einen Schemel durch die Stube, dass er krachend gegen den Besenschrank knallte. Aufgischend, wie bei einem Tobsuchtsanfall schrie er: „Raus aus den Betten, ihr Affenärsche!”

      Wie die Wiesel sprangen die Rekruten von ihrem Lager und nahmen im Nachthemd Haltung an.

      Er geiferte: „An die Spinde! Spinde auf!”

      Karls Spind, am weitesten links, war sein erstes Ziel. Karl meldete: „Spind des Panzerschützen Hellauer!”

      Die Schweinsäuglein hakten sich böse am Gesicht Karls fest. Er taxiere die Leidensfähigkeit des Rekruten. Karl zuckte mit keiner Wimper. Dämonitzkis Augen schienen sich am „Eingeweide” des Spindes festzusaugen.

      Abgründig, wie eine Bestie vor dem Angriff, fragte er: „Nennen Sie das Spindordnung?”

      „Jawohl, Herr Unteroffizier. Gruppenführer Windmüller hat sie uns so beigebracht.”

      „Wollen Sie mir verscheißern, Sie Hirni, Sie”, schnauzte er.

      „Nein, Herr Unteroffizier, ich wollte …”

      „Das ist ein Misthaufen, Hellauer, da scheißt nicht mal ‘ne Sau rein.”

      Der Unteroffizier griff, einer Furie gleich, mit beiden Händen in den Spind und warf alle Sachen auf die Dielen. Karl blickte verdutzt auf den Unhold. Schon stand Dämonitzki am nächsten Spind, bei dem er ebenso wie bei Karl verfuhr. Alle Sachen flogen auf den Boden. Es sah aus wie nach der Schlacht bei Waterloo: Uniformen, Stiefel, Socken, Unterwäsche, Kragenbinden und Fußlappen von sechs Landsern lagen wie Kraut und Rüben durchund übereinander.

      Dämonitzki schien mit der erteilten Lektion in Kasernenidiotie sehr zufrieden zu sein, denn er grölte: „Merkts euch, ihr verwahrlosten Hundesöhne, ich werd euch schon noch deutsche Soldatentugenden beibringen, wie sie im Buche stehen: Zucht, Ordnung, Disziplin, Gehorsam und Schnelligkeit. Haben ihr mich Verstanden, ihr Halbaffen?”

      „Jawohl, Herr Unteroffizier!”

      „In einer halben Stunde habt ihr Nieten eure Spinde auf Vordermann gebracht, aber picobello, klar!”

      Er grunzte noch etwas in seinen Bart, juckte sich am Gesäß und verließ die Stube. Die Tür schmetterte er ins Schloss, wodurch der Kalk aus der Füllung rieselte und die Wände erzitterten.

      Am folgenden Morgen, pünktlich sechs Uhr, ertönte vom steinernen Flur, wie aus der Ödnis, grell die Trillerpfeife des UvD, die alle Schlafenden sofort aus dem Tiefschlaf riss.

      Gleich danach brüllte Dämonitzki: „Nachtruhe beenden, fertigmachen zum Frühsport!”

      Unmittelbar danach stand er im Zimmer 317. „Wollt ihr faulen Säcke nicht endlich euren dreckigen Arsch aus der Koje wälzen, oder muss ich erst Dampf machen”, polterte er überschattet von Wut.

      Von der überschnappenden Stimme hellwach, sprangen die Burschen aus den Betten, schlüpften ins Sportzeug und hasteten nach unten. Nach dem Ende der Hatz durch das Kasernengelände – was man Frühsport nannte – erreichte die Gruppe keuchend den Kompanieblock.

      In der Tür stand Dämonitzki, breitbeinig und die Hände in die Hüften gestützt. Kaum war „Sport frei!” verklungen, hallte seine Stimme über die Köpfe hinweg: „Zweite Gruppe, zweiter Zug zu mir!”

      Mit fliegenden Pulsen stellte sich die Gruppe vor Dämonitzki auf. Unbehagen machte sich bei den Rekruten breit. „Herhören“! zischte Dämonitzki. „Wegen grober Unordnung auf der Stube und Nichtbefolgung von Anweisungen – heute Abend neunzehn Uhr Maskenball! Und wer auch nur durch den geringsten Verstoß gegen das militärische Regelwerk auffällt, den scheuche ich so lange, bis er nicht mehr weiß, ob er Männchen oder Weibchen ist.”

      Karl spürte, dieser Unteroffizier war durch einen Rekruten gedemütigt worden. Nun machte er Jagd auf alle Kameraden der Gruppe, die nach seiner Auffassung aufständische Rekruten waren.

      Eine halbe Minute später hatten die Stubengefährten von 317 die Bestätigung. Beim Betreten ihrer Stube – blieben sie vor Schreck auf der Schwelle stehen: Ein Erdbeben mittlerer Stärke musste die Stube heimgesucht haben. Betten, Spinde und Schemel lagen übereinander getürmt, kreuz und quer und mitten in der Stube. Eine Welt brach für Karl zusammen. Sein Traum, ehrlichen Herzens der Hitlerwehrmacht dienen zu wollen, erhielt den ersten Dämpfer. Sanftleben bemerkte lakonisch: „Dieser Teufel könnte die Pest und Cholera erfunden haben.”

      Maskenball

      Unmittelbar nach dem Abendessen trat die zweite Gruppe, wie von Dämonitzki befohlen, vor dem Kompaniegebäude an. Dämonitzki trat aus der Tür. Hämisch grinsend sagte er: „Alle Achtung, meine Herren Panzerschützen, wirklich pünktlich angetreten. Ich hoffe, ich kann mich den ganzen Abend an Ihrer Pünktlichkeit erfreuen.”

      Karl spürte den Zynismus. Dämonitzki griff in seine Hosentasche und zog eine Stoppuhr hervor. Langsam senkte er den Kopf. Wie in Hypnose starrte er auf das Zifferblatt. „Eine wunderbare Erfindung”, sagte er, den Kopf hebend, „nicht wahr, Sanftleben?”

      Dieser schwieg. Sanftleben wusste wie jeder andere, was auf dem Spiel stand. Nur das Untier nicht reizen. Eine Ansprache hatte keiner erwartet, aber Dämonitzki hielt eine. Er sprach von der historischen Aufgabe Deutschlands, von der Ehre und Gnade, die den deutschen Soldaten zuteil werde, jetzt, dem Führer zu dienen, wo der Endsieg in unmittelbare Nähe gerückt sei. Er sprach von den Schändlichkeiten der Feinde und von Selbstaufopferung, von Heroismus und Ruhm deutscher Helden, die schon ihr Leben in den ersten Kriegsjahren gelassen hatten. Und die Gruppe täte recht daran, den Helden durch alle Niederungen der Leiden während der Ausbildungszeit zu folgen. Nur so würden sie sich selbst zu Titanen empor schwingen.

      Staunend hatte Karl dieser seltsamen Rede gelauscht. Er wollte es nicht glauben, aber in Dämonitzkis Kopf hatten sich viele Schlagwörter so verfestigt, dass er sie nur noch herunter beten musste. Einige Sekunden ließ Dämonitzki seine Rede wirken. Dann reckte er sich und krächzte: „So, meine Herren, und jetzt beginnen wir – sagen wir, in drei Minuten, ich wiederhole, in drei Minuten stehen Sie Feldmarsch mäßig wieder hier unten. Wegtreten, marsch, marsch!”

      Die Rekruten rasten nach oben. In der Stube rissen sie die Spinde auf, zogen den Drillich vom Leib und sprangen in die Uniform. Schon rannten sie nach unten zum Stellplatz, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend. Dämonitzki spielte gelassen mit seiner Stoppuhr.

      Als die Gruppe stand, drückte er den Knopf der Uhr. „Wie man sich täuschen kann”, krähte er giftig. „Noch vor wenigen Minuten, meine Herren Panzerschützen, lobte ich Sie wegen Ihrer Pünktlichkeit. Und was registriere ich jetzt? Sie verspäteten sich genau um sechzehn Sekunden. Das bedeutet, ich bin gezwungen, mit Ihnen weiterhin Pünktlichkeit zu üben. Das tut mir außerordentlich leid, aber wer nicht pünktlich ist, muss fühlen.” Sich schnäuzend, trat er an die Gruppe heran, prüfte bei jedem den Sitz der Uniform und ihre Vollständigkeit. Karl erhielt, wie alle anderen auch, wegen irgendwelcher Nichtigkeiten einen Anranzer. Plötzlich trat Dämonitzki zurück und befahl: „Rechten Stiefel ausziehen!”

      Wie befohlen zogen alle den Stiefel aus. Dämonitzki starrte ins zweite Glied. Er brüllte: „Sanftleben, vortreten!”

      Sanftleben hüpfte auf einem Bein vor. Karl sah, er hatte keinen Strumpf am Fuß.

      Triumphierend,