Welt umzugestalten, wirkte wie ein Donnerschlag auf das untätige Volk. So wurde die Ziellosigkeit der Weimarer Republik beendet und der Weg in die Zukunft freigegeben. Für uns Soldaten gibt es deshalb kein größeres Glück, als die Lebensaufgabe Deutschlands zu erfüllen, die uns zur Zerschlagung aller feindlichen Heere übertragen wurde.” Seine Augen glühten förmlich, als er mit einer stahlharten Stimme rief: „Führer befiehl, wir folgen dir!”
Ein irrer Schauer rann Karl über den Rücken. Der Gruppenführer hatte ausgedrückt, was auch er im Herzen empfand.
Windmüller hatte instinktmäßig gefühlt, wie gespannt die Rekruten an seinen Lippen hingen und er nutzte daher den Augenblick, um anzufügen: „Kameraden, jeder von Ihnen muss nach Abschluss der Ausbildung bereit und davon beseelt sein, für unseren Führer und obersten Befehlshaber, Adolf Hitler, In der Fronthölle das Siegesfeuer vom Himmel zu holen!”
Ohne auf die Wirkung seiner flammenden Worte zu warten, verließ der Gefreite mit einem „Gute Nacht!” die Stube. Der Rotschopf folgte ihm. Minutenlang herrschte Stille. Alle blickten versonnen vor sich hin, da richtete sich plötzlich der Drogist Werner auf und sagte gähnend: „Gut gebrüllt, Windmacher.” Gleich danach ergänzte er mit näselnder, ironischer Stimme: „Es braust sein Ruf wie Donnerhall …”
Jäh wurde er unterbrochen. Eine Hand legte sich unsanft auf seine Schulter. Er fuhr jäh herum. Beppo blickte ihn hasserfüllt an. Langsam schob er sich ganz nahe an Werner heran. Aus seinem Munde zischte es wie bei einer Natter: „Hör zu, du Schleimscheisser, hier wird nicht abfällig und hinterhältig über gute Propaganda hergezogen! Verstehste! Jetzt bist du bei der Wehrmacht und nicht in deinem Stinkeladen, du miese Ratte, du. Und hier hast du keine dich beschützenden Weiber, du …”
„Aufhören!” Otto Krüger mengte sich erneut ein. „Wollt ihr endlich Ruhe geben! Ich weiß nicht, welche Hahnenkämpfe zwischen euch in Berlin ausgetragen wurden. Aber das alles sollte jetzt endlich vergessen sein. Wenn euch schon die Ironie des Schicksals auf unserer Stube zusammengeführt hat, dann darf man wohl auf ein zivilisiertes Miteinander hoffen. Ist das klar?”
Die beiden Kampfhähne schnauften. Werner hatte sich schnell gefangen und sagte mit gewinnender Höflichkeit, „Entschuldige, Beppo! Glaub mir, wieder einmal ist mit mir das Temperament durchgegangen. Du kennst mich doch besser als die Kameraden und weißt, ich stehe immer für ein bisschen Ulk und Theaterspielen.”
Wortlos zog sich Beppo zu seinem Bett zurück. In seinen Augen züngelte ein böses Funkeln. Lange grübelte Karl, welches Geheimnis wohl die beiden umgab.
Indes bereitete sich Karl auf die Nachtruhe vor. Ihn hatte Werners Bemerkung auch gestört. Horst, der aus dem Waschraum kam, blickte Karl verschmitzt an und flüsterte: „Hoffentlich geht in Erfüllung, was wir heute Nacht träumen.”
„Bist du abergläubisch?”
„Kein Stück, aber es ist ganz nett, darüber zu philosophieren.”
Karl hievte sich in sein Bett und rief leise: „Schlaf wohl, Kumpel! Und denke daran: ,Man muss immer das Beste erhoffen, das Böse kommt von allein’, sagte mir einst ein Geselle.”
Karl löschte das Licht.
Auf der linken Körperseite liegend, wanderte sein Blick zu den offenen Fenstern. Die hereinbrechende Nacht schickte ein weiches, mildes Licht durch die beiden Fenstervierecke. Karl schloss beruhigt die Augen. Ein Käuzchenruf schwebte durch die Nacht. Dann nahm ihn und seine Kameraden der Schlaf in die Arme.
Stubendienst
Der schrille Ton einer Trillerpfeife vom Flur riss Karl aus dem Schlaf. Gleichzeitig brüllte jemand: „Nachtruhe beenden, fertigmachen zum Frühsport!”
Karl streckte gähnend die Glieder. Im selben Augenblick wurde die Tür krachend aufgestoßen. Schon stand der UvD wie ein Schlagetot im Türrahmen. Seine Stimme überschlug sich fast, als er schrie: „Raus aus den Betten, ihr Saftsäcke!”
Blitzschnell sprangen die Rekruten aus den Betten, zogen Hose und Hemd über und jagten zum Frühsport vor den Block. Ein Unteroffizier übernahm das Kommando und trieb sie zum Exerzierplatz, wo einige Freiübungen auszuführen waren.
Dann ging es Schlag auf Schlag: Waschen, Frühstücken, Antreten zum Morgenappell, Bekanntgabe und Vorstellung der Vorgesetzten, Abmarsch zum Kasernenrundgang mit Einweisung, wo die Stäbe, die Ausbildungsobjekte und die Kompanien lagen. Schnell war der Vormittag vorüber. Nach dem Mittagessen war Uniformempfang. Danach erfolgte die Einweisung durch den Gruppenführer in die Uniformordnung, den Spind-und Bettenbau, in das Ablegen der Uniform und der Unterwäsche auf den Schemel zur Nachtruhe, damit bei Gefechtsalarm, auch in stockdunkler Nacht, die Uniform blitzschnell angezogen werden kann.
Kaum hatten die Rekruten das Notwendigste begriffen und das Bett und den Spind „gebaut”, erfolgte eine erste Belehrung über die „Dienste”. Auch die Postanschrift wurde bekannt gegeben.
Karl war zum ersten Stubendienst vergattert worden. Ob er wollte oder nicht, er hatte in den sauren Apfel zu beißen. Der stellvertretende Gruppenführer belehrte Karl über die zu lösenden Aufgaben und welche Meldung dem UvD vor der Nachtruhe zu erstatten sei.
Gegen einundzwanzig Uhr begann Karl das Zimmer zu säubern. Er fegte die Dielen, kroch unter die Betten mit dem Scheuerlappen, wischte mit einem feuchten Tuch – wie er es bei der Mutter gesehen hatte – über die Spinde, über alle Kanten, die es gab, reinigte Eimer Besenschrank und Fensterrahmen.
Ungeduldig erwartete er den UvD. Noch einmal zog er sein Bettzeug glatt, zupfte an der Uniform, strich zur Kontrolle über einige Spinde. An seinen Fingern blieb kein Staubkörnchen.
Es war fast halb elf, als der UvD geräuschvoll die Stube betrat. Karl schlug die Hacken zusammen und versuchte in seiner Aufgeregtheit eine exakte Meldung zu erstatten, was aber nur unvollkommen gelang. Es war mehr ein Gestammel. Der hochgewachsene Unteroffizier blickte ihn spöttisch an. Er bemerkte: „Ihnen zittern wohl beim Anblick eines Vorgesetzten die Knie, was?”
Karl zuckte zusammen.
Der UvD hob den Blick. Seine Augen strichen über die Betten und die schlafenden Kameraden. Langsam ging er durch die Stube. Plötzlich hob er seinen rechten Arm, strich mit einem Finger über einige Spindkanten. Langsam senkte sich sein Arm. Schon stieß er seinen Zeigefinger Karl vor die Nase. Sein Mund öffnete sich wie bei einem Wasserbüffel, und wie aus der Pistole geschossen schnaubte er: „Na, Hellauer, was sehen Sie auf meinem Finger?”
Ein eiskalter Wasserstrahl hätte Karl nicht frostiger treffen können, so schaurig lief es ihm über den Rücken. Tatsächlich, auf der Fingerkuppe des UvD war eine winzige Staubschicht. Karl blieb die Spucke weg, er konnte nichts begreifen. Er hatte doch gründlich Staub wischt. Seine Kehle war wie zugeschnürt.
„Antworten Sie”, fauchte herausfordernd der Unteroffizier.
Mit hochrotem Kopf stotterte Karl: „St …, Staub, Herr Unteroffizier.”
Ein hinterhältiges Lächeln stieg in dessen Gesicht. „Panzerschütze Hellauer”, raunzte er, „heute lasse ich noch einmal Gnade vor Recht ergehen. Aber wehe Ihnen, Sie fallen mir noch einmal so unangenehm wie heute auf, dann rumst es im Karton, dann fahre ich mit Ihnen Schlitten. Haben Sie mich verstanden?”
Mit pochendem Herzen und weichen Knien antwortete Karl: „Verstanden, Herr Unteroffizier.”
Wie verwandelt sagte der Unteroffizier in jäher Wende ganz väterlich: „Trotzdem, Hellauer, schlafen Sie wohl!”
Schon rauschte er davon. Halb betäubt schlich Karl zu seinem Bett. Gedankenversunken begann er sich auszuziehen.
Horst, sein Untermann, richtete sich im Bett auf, griente und zog seine Knie bis zum Kinn.
Karl fluchte wie ein Rohrspatz: „Ich begreife das nicht. Ich hab doch gründlich Staub gewischt. Woher kam der Dreck auf dem Finger des UvD – woher?”
Horst zog Karl am Arm und flüsterte: „Der hat dich reingelegt. Und du bist ihm auf den Leim gegangen.”