Norbert F. Schaaf

Afghanistan, Srebrenica & zurück


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Bescheid. Und du weißt, dass ich sie nicht unbedingt teile. Aber ich respektiere sie wie ich dich respektiere. Ich will dir lediglich einen Gefallen erweisen. Das ist alles. Du brauchst mir nicht zu sagen, warum du hier bist, ich weiß es ohnehin. Ich werde zu niemandem darüber sprechen. Nicht einmal zu Mary-Jo.“

      „Was glaubst du, warum ich hier bin, Burk?“

      „Jedenfalls nicht als willfährige Kriegsberichterstatterin, weder der EU, noch der NATO oder auch der UNO“, erwiderte er lächelnd.

      „Was hältst du denn von deren Truppenkontingenten hier?“

      „Reden wir über was anderes. Ich werde mich glücklich schätzen, wenn Mary-Jo ihre Zeit hier hinter sich hat.“

      Anica betrachtete gedankenvoll sein halbgeleertes Glas. Die Orangenschnitte glänzte in der klaren, perlenden Flüssigkeit. Als sie noch Tag für Tag in Berlin unterwegs war und Burkhart in der Staatsanwaltschaft volontierte, hatte sie angenommen, dass sich dieser junge, selbstbewusste Mann mit dem scharfen Intellekt eines Tages ihrer Lebensphilosophie anschließen würde. Jedoch war er nach kurzem, heftigen Flirt mit der militanten Linken von einem Tag auf den anderen desertiert und hatte sich Hals über Kopf in die Teilnehmerin einer politischen Veranstaltung verliebt: Die Hubschrauberpilotin Mary-Jo Hayward hatte nach der alljährlichen Alliiertenparade in West-Berlin die Einladung zu einer Podiumsdiskussion der Freien Universität angenommen.

      Er ließ sein Glas gegen das ihre klirren, prostete ihr zu. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, was sie von Politik im allgemeinen und Machtausübung im besonderen hielt, und es gehörte für ihn nicht viel Phantasie dazu, sich auszurechnen, wem ihre Sympathie auf dem Balkan nicht galt. Anica hingegen war es eigentlich nie gelungen, Burkharts Charakter zu begreifen. Was brachte einen abenteuerlustigen Weltverbesserer dazu, eine Besatzungssoldatin aufzureißen? So hatte er sich mit eigenen Worten einmal ausgedrückt, ohne damit herauszurücken, was ihn aus dem Lande trieb. War er mit dem Leben in Deutschland nicht mehr fertig geworden? Wäre er den Verlockungen des polychromen amerikanischen Traums auch dann noch erlegen, wenn er ein wenig gewartet hätte, um die jähe Wende der Grenzöffnung und den Fall des Eisernen Vorhangs zu erleben? Oder hat ihn die Furcht vor dem dubiosen Milieu abgeschreckt, in dem Anica lebte, und die Aussicht auf eine wenig geachtete Existenz als zukünftiger Staatsanwalt verängstigt? Ihre Beziehung war von kurzer Dauer gewesen. War Liebe dabei im Spiel gewesen? Handelte es sich um eine Affäre, das übliche Abenteuer mit einer Vorgesetzten? Hatte er es aus der dicken Akte seiner Erinnerung gestrichen? Oder war da etwas zurückgekehrt? Was erwartete er von ihr?

      Er trat dicht an sie heran und sagte, als hätte er ihre Gedanken gelesen: „Kommst du zu mir, spätestens an dem Tag, bevor du zu dieser Enklave Srebrenica gehst?“

      „Ja, ja“, antwortete Anica rasch, unverbindlich. Irgendetwas in ihr widersetzte sich; den Kontakt zu Burkhart Ball hielt sie distanziert, aber aus dem Bewusstsein einer ehrlich gelebten, wenn auch ehemaligen Freundschaftsbeziehung. „Warum eigentlich?“

      „Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust“, erwiderte er und fügte schnell ablenkend hinzu: „Denkst du noch manchmal an diesen kroatischen Jungen? War ein hübscher, knackiger Theologiestudent.“

      „Nie“, beteuerte Anica. Die Sache mit Goran war lange her und längst vergessen. Sie konnte sich nicht einmal mehr sein Aussehen vorstellen. Die Erinnerung an ihn war zur Unkenntlichkeit verblasst, geblieben die Information über seine Priesterweihe und die von ihm erworbenen serbokroatischen Sprachkenntnisse.

      Burkhart legte einen Arm um sie. „Nun komm jetzt“, sagte er. „Auf mich warten Gäste.“

      „Ist dies Land hier nicht wie ein Prisma“, hörte Anica Sparks schwadronieren, „ein geschliffenes Glas, in dem sich die Sonnenstrahlen brechen und unterschiedliche Farben an die dahinterliegende Wand projizieren?“ Man lachte leicht.

      Die Unterhaltung war allmählich verflacht. Da sich niemand mehr fand, der Sparks widersprach, war ihm der Drang genommen, weiter über seine Theorien zu dozieren, zumal auch Mrs. Sparks alles gesagt hatte, was in dieser Runde zu sagen war. Die Kamensiek war darüber wenig überrascht. Sie wusste genauso viel wie Sparks. Ihr Mann wurde von Mrs. Sparks in ein Gespräch gezogen über die Beziehungen zwischen Amerikanern und hier diensttuenden deutschen Aufklärern sowie die Möglichkeiten, anlässlich eines Wochenendurlaubs jenseits der Adria das gesellige Leben zwischen den Verbündeten zu intensivieren.

      Anica hörte eine Weile interessiert zu, wie der Gatte der Psychologin über die Vorzüge des Leiters der deutschen Vertretung sprach. Sie war dem Mann einmal kurz begegnet. Der hagere, asketisch anmutende Herr strahlte eine unübersehbare Selbstgefälligkeit aus; als Abkömmling süddeutschen Landadels glaubte er sich a priori besonders gut auszukennen in der dem deutschen Sprachraum unfernen Region, die er bereits als noch minderjähriger Fahnenjunker der Reichswehr unter Hitler „betreten“ hatte. Nach anschließendem Studium hatte er seine Diplomatenkarriere begonnen, in der Zeit, als die alte Bundesrepublik gutes Wetter machte in einem Staat, mit dem man zwei Dinge gemeinsam hatte: wirtschaftliche Interessen und das Feindbild Moskau.

      „Trink, Anica“, störte Burkhart mit einem Sektcocktail die TV-Reporterin auf, die auf ihre Uhr sah. Es ging auf Mitternacht und immer noch gab es kein elektrisches Licht. Anica stand auf, wandte sich an den amerikanischen Offizier.

      „Wann steigt denn diese ominöse Sache, die Sie mir versprochen haben, Colonel?“

      „Es handelt sich um eine ungeheure Sensation, liebe Anica. Sie bekommen schon früh genug Bescheid. Versprochen. Aber noch ist es nicht soweit. Jetzt sehen Sie erst mal nach, wer den Strom schon wieder abgeknipst hat. Vielleicht habe ich dann zunächst eine kleine Bootsfahrt auf der Drina für Sie. Diese andere, sensationelle Geschichte bekommen Sie, wenn es an der Zeit ist. Nochmals: versprochen ist versprochen.“

      So eine „große Sache“, die sich, wenn sie überhaupt zustande kommt, dann doch nicht verwerten lässt, dachte Anica und nippte noch einmal an ihrem Glas, bevor sie aufbrach.

      „Pardon, aber jetzt möchte ich zu der Transformatorenstation, Burkhart“, sagte sie an der Tür. „Vielleicht springen ja ein paar nette Bilder dabei heraus. Vorher schaue ich aber nach, ob die Satellitenschüssel noch auf dem Hoteldach steht. War nett, die Candlelightparty, danke für den Abend.“

      „Was ich dir noch sagen wollte, Anica“, flüsterte der Hausherr. „Damals, in Berlin, habe ich dich für eine Utopistin gehalten, die der abwegigen Idee wahrer liberaler Rechtsstaatlichkeit hinterherläuft. Erinnerst du dich, wie wir uns auf dem Kudamm darüber unterhielten?“

      „Sehr gut sogar, Burk. Du hast mich eine Gerechtigkeitsfanatikerin geschimpft und mitleidig lächelnd auf mich herab gesehen. Ich glaube, ich habe dich damals wirklich gern gehabt. Aber das ist jetzt eine Weile her.“

      „Verdammt lange. Da muss ich bis in die Schluchten des Balkans kommen, um zu bemerken, wie wenig ich eigentlich von der Welt kenne. Weißt du...“

      „...heute mehr? Genau das wollte ich dich gerade fragen, ob du mittlerweile schlauer geworden bist?“

      „Einigermaßen, um neu darüber nachdenken zu können, was du mir damals zu erklären versuchtest.“

      „Also hast du dazu gelernt? Ist es das, was du mir sagen willst?“

      „Auch das. Zumindest.“ Er zögerte einen Augenblick, bevor er hinzusetzte: „Ich bin froh, dass es dich hier gibt, Anica.“

      10 Die Trafo-Station am Fluss

      Eine halbe Stunde später stand die Journalistin vor den Trümmern der Umspannstation. Ihr zuvorgekommen war eine Handvoll Reporter hiesiger Anstalten und Zeitungen sowie drei ausländische Kriegsberichterstatter, doch das störte sie nicht. Kollegen, die wie sie selbst ihre Arbeit machten, empfand sie nicht als lästige Konkurrenz. Allenfalls den DPD-Bildkorrespondenten Paul Zudeck-Perron registrierte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue, weil er sich als Verehrer durchaus nicht abweisen ließ, sondern notorisch ihre kalte Schulter ignorierte. Er stand wie immer völlig verschwitzt mit seinen drei Fotoapparaten auf der Brust dort dabei, wo amerikanische Journalisten bereits für gute Lichtverhältnisse aus zwei starken Halogenstrahlern