Norbert F. Schaaf

Afghanistan, Srebrenica & zurück


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      „Wieso? Neugierde ist auch eine Eigenschaft von Abenteurern. Es gibt Millionen Dinge auf dieser Erde, die man ohne sie nie entdeckt.“

      Kamensiek lachte auf. „Es ist so oft zu hören“, sagte er mit gedämpfter Stimme, „dass diese Burschen so sehr geschätzt werden. Ist er nicht Serbe? Was haben die Kerle nur so Besonderes an sich? Ist es der herbe Charme ihres verwegenen Typs, ihre äußerliche Attraktivität oder welcher Anspruch verbirgt sich dahinter?“ Sein Gesicht näherte sie dem ihren. „Gerade die Südländer sollen auf unerhörte Art ihre Leistungsträgerschaft in der Liebe beweisen. Wahre Meister der Liebeskunst. Ist es das, was die Damen so an sie fesselt?“

      „Schon möglich.“ Was sollte sie diesem gespreizt redenden, in Managerkategorien denkenden, verklemmten Mann anderes entgegnen? „Die Menschen haben viele schätzenswerte, liebenswürdige Eigenschaften. Nicht so einfach, alle aufzählen zu wollen.“

      „So“, sagte er bemüht lächelnd. „Und was macht diese Kerle zu Meistern in Sachen Liebe? Ihre Körperlichkeit? Angeborene Triebhaftigkeit? Sind sie hemmungsloser als unsereins? Beherrschen sie etwa Dinge, von denen wir nichts wissen oder höchstens träumen können?“

      Anica wandte den Blick ab, gab sich den Anschein nachzudenken.

      Was erwartet der Knilch eigentlich von mir? Doch nicht, dass ich ihm mit Intimitäten aufwarte! Augen hat er wie ein krankes Vieh. Vielleicht hat er nicht die richtige Frau. Sie blickte dem Mann seitlich aus den Augenwinkeln ins Gesicht. „Man braucht manchmal diese Art Konversation, sich quasi warm zureden, um sich in einen Zustand zu versetzen, der einem ansonsten versagt bleibt“, äußerte sie in einem leichten Plauderton und fuhr, als er vernehmlich tief Luft holte, fort: „Ich denke, Sie sind da auf einer ganz falschen Fährte. Mit Verlaub gebe ich Ihnen einen Rat. Schließen Sie Bekanntschaft mit möglichst vielen Menschen an jedem beliebigen Ort. Freunden Sie sich mit den Einheimischen an! Sie werden abenteuerliche und erotische Mentalität dort kennen lernen, wo sie sie am wenigsten vermuten.“ Außer bei sich selbst, fügte sie in Gedanken hinzu; er wird es niemals begreifen, sich selbst immer ein Fremder bleiben.

      Anica drehte mit ihrer rechten Hand einen Gegenstand in ihrer Jackentasche um und um. Es war eine Miniatursanduhr, die ihr Liebster ihr geschenkt hatte. Sie bestand aus zwei kleinen mundgeblasenen Glaskugeln in einem filigranen, grauweißlichen Elfenbeingerüst vom Mammut, verbunden durch eine winzige Öffnung für den Durchlass des feinen, silbrig-türkisfarbenen Sandes. Die Körnchen hatten die ätherische Farbe der Zeit. In menschlicher Zeitrechnung dauerte es fünf Minuten, bis der Sand von einer Kugel in die andere gerieselt war. Dragan hatte sie ihr überreicht mit den Worten: „Zeit spielt keine Rolle, immer fließt meine Liebe zu dir wie diese Sandkörnchen, wenn du die Kugeln umdrehst. Zweifelst du einmal an meiner Liebe, zeigt dir der fließende Sand, dass ich dich liebe für alle Zeit.“ Ein kaum merkliches Lächeln trat in ihre Züge, Glanz in ihre Augen.

      Auf der Straße heulte der Motor des Panzers auf. Die Pilotin war in das weißlackierte Fahrzeug gesprungen, es schoss davon, noch ehe die fensterlose Tür zugeschlagen war. Burkhart winkte hinterher. Wie sehr er sich verändert hat, dachte Anica. Von dem abenteuerlustigen Burschen, der vor einigen Jahren seinen Juristenjob an den Nagel gehängt und sich an den Hals der amerikanischen Helikopterpilotin geworfen hatte, war ein Hausmann übriggeblieben.

      „Und ich glaubte, hier endlich einmal etwas über das Mysterium eines echten südländischen Draufgängers zu erfahren“, beklagte sich der Diplomatengatte. Anica zuckte die Achseln. Du lieber mein Vater, dachte sie, da hat einer Sehnsucht nach dem geheimnisumwitterten hemingwayschen Mythos. Er fixierte sie mit einem gönnerhaften Blick. „Trotzdem würde ich mich gerne öfter mit Ihnen unterhalten. Über alles Mögliche. Wenn Sie mal Zeit haben.“ Er zog eine goldene Visitenkarte aus der Brusttasche seines Jacketts. Anica steckte sie lächelnd in die Handtasche. „Werden Sie mich anrufen?“

      „Ich weiß es nicht – wann. Bei Gelegenheit. Aber ich nehme es mir vor.“

      9 Partyöde

      Burkhart blickte grinsend zu den beiden herüber und verschwand in der Küche, um Orangenscheiben für die Cocktails zu schneiden. Er öffnete die Besteckschublade und rief ins Wohnzimmer hinüber: „Anica, bist du so lieb! Ich benötige deinen hausfraulichen Beistand.“

      Als sie unter der Tür erschien, hielt er ihr Apfelsine und Schälmesser hin. Sie sah, dass er das Gesicht verzog.

      „Chancen?“ fragte er.

      „Was meinst du, Burkhart?“

      „Er hat dir seine goldene Karte gegeben.“

      „Das hast du gesehen?“

      Er schüttelte den Kopf. „Doch würde es mich sehr wundern, hätte er es nicht getan.“

      „Du redest in Orakeln.“ Sie hob die Augenbrauen.

      „Du kleines Dummerchen, saudumm´s“, entgegnete er mundartlich, gemütlich. „Nun ja, ihr Frauen habt ein Talent, gerade das nicht bemerken zu wollen, was man von euch möchte.“

      „Und was, bitte schön?“

      „Dasselbe wie von einem guten Dutzend anderer Frauen, denen er seine Karten angedreht hat, seit er hier ist.“

      Anica schnitt routiniert Orangen in Scheiben. „Und du willst mir weismachen, dass tatsächlich jemand dieser Einladung gefolgt ist? Was sagt denn seine Gattin dazu?“

      „Sie ist eine vielbeschäftigte Frau“, antwortete er. „Sie hat die letzte gar nicht bemerkt. Es heißt, sie selbst hat einen Aufklärungsoffizier einer französischen Antiterroreinheit.“

      „Ein Bosniake als Fremdenlegionär?“

      „Kroatischer Freischärler in der Herzegowina. Wehrkunde in der Praxis oder Husarenritt ohne...“

      „Du bist ja abscheulich“, unterbrach sie ihn kopfschüttelnd. „Richtig geschmacklos! Und dein Geschlechtsgenosse will mich über das Liebesleben von Haudegen im Allgemeinen und Einheimischen im Besonderen aushorchen.“

      „Mach dir nichts draus“, feixte er. „Man hat es schwer. Bei diesem emanzipierten Frauenzimmer von Gemahlin...“

      „Heiliger Bimbam!“ stöhnte Anica. „Bin ich in ein Vermittlungsinstitut für vernachlässigte Bleichgesichter geraten oder in eine Dinnergesellschaft?“

      „Supper“, verbesserte Burkhart, goss gepressten Orangensaft in eine Karaffe. „Doch ab sofort ist es eine Trinkgesellschaft. Gib mir eine Flasche Krimsekt aus dem Kühlfach.“

      Anica wischte sich die Hände ab, reichte die Flasche über den Küchentisch. Während er sie entkorkte, sagte er in ernstem Ton: „Ich habe die Kamensieks deinetwegen eingeladen. Ich denke, es könnte dir nützlich sein, sie zu kennen. Sie, die Frau. Sie hat die Hosen an sowie die Fäden in der Hand, die sie vielleicht für dich einmal ziehen kann, wenn du es nötig brauchst. Weißt du eigentlich, was sie ist?“

      „Subalterne Diplomatenangestellte.“

      Er lachte höhnisch. „Denkste! Sie ist im Rang eines Oberst im medizinischen Führungsstab der Bundeswehr, Fachrichtung: Psychologie. Zurzeit schreibt sie an dem Buch: `Bürgerkrieg in der Sezession´. Wirklich!“

      „Na und?“

      „Sie war vorher beim Verfassungsschutz. Lass dich nicht durch ihr Auftreten täuschen. Sie kommt einem vor wie eine nicht zu Ende gemachte Tanzschülerin mit Fachabitur. Das ist sie jedoch keineswegs, sondern schon ein hohes Tier.“

      „Da soll sie darauf Acht geben, dass keine alten Mauern wieder hochgezogen werden“, versetzte Anica in gleichgültigem Tonfall. „Das interessiert mich nicht die Bohne, Burky.“

      Er sah sie mitleidig an. „Vergiss nicht, dass ich einmal sehr genau wusste, was dich interessiert, Anica.“ Er hielt ihr ein Glas zum Probieren hin.

      Nach dem ersten Schluck sagte sie: „Ich weiß gar nicht, was du damit sagen willst.“

      „Feines Stöffchen“, erklärte er. „Echt russisch.“