Attila Heller

R.O.M.E.


Скачать книгу

fuhr sich mit beiden Händen sichtlich geschockt durch die Haare. Das stammte keinesfalls von einem Tier! Sollte er tatsächlich einen Menschen überfahren haben? Er spürte, wie in ihm das Verlangen erwachte, Gas zu geben und einfach abzuhauen, darauf zu vertrauen, dass ihn keiner beobachtet hatte, was angesichts der entvölkerten Region sehr wahrscheinlich war. Doch nach intensiver Überlegung beschloss er, keinen Rückzieher zu machen, und setzte das Auto wieder in Gang. Es gab schon genügend Typen, die vor den Folgen ihres Handelns davonliefen. So wie Alvin, sein älterer Bruder.

      Jakob versank in Gedanken. Diesem unfähigen Weichei konnte er bis heute nicht verzeihen. Es war damals dessen Aufgabe gewesen, auf Anna aufzupassen, und nicht die seine. Alvin trug die Verantwortung! Stattdessen hatte er sich, wie üblich, davongestohlen, um mit seinen Kumpels durch die Straßen zu ziehen. Zu schnell war es passiert und Jakob schämte sich noch immer, damals nicht wie ein echter Mann gehandelt zu haben. Jener schwarze Lebensabschnitt seiner Vergangenheit trübte noch immer zahllose seiner Stunden ein und machte ihm manchen Tag zur Hölle. Aber jetzt war nicht der richtige Moment, darüber nachzudenken und in destruktive Schuldgefühle zu versinken. Nein, schließlich war er so weit gereist, um seine Zukunft zu sichern, und dies wollte er sich nicht durch seine bedrückende Familiengeschichte zerstören lassen. Viel zu viel hatte er bereits geopfert, als dass er jetzt alles verspielen wollte.

      Verbissen und voller Anstrengung verfolgte er nun im Schritttempo die roten Schleifspuren, die sich jedoch bereits nach etwa fünfzig Metern im Dauerregen der Nacht verloren. Er trat auf die Bremse.

      Was nun? Ein Unfall hatte sich ereignet, doch weit und breit war niemand aufzufinden. Möglicherweise hatte ja schon ein Rudel hungriger Wölfe die Gunst der Stunde erkannt und sich im Schutze des Waldes über die Beute hergemacht. Ein schrecklicher Gedanke, aber möglich.

      Das Unwetter schien jetzt direkt über ihm zu sein. Ein weißer Blitz erhellte den undurchdringlichen Wald, begleitet von einem rasenden Donnern, was Jakob das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es folgte eine unheimliche Stille. Von absurden Ideen heimgesucht, wie einen Bigfoot der Karpaten angefahren zu haben oder einen Jäger, legte er seinen Kopf zurück und genoss die auf einmal eintretende Ruhe. Nur das Rauschen des Flusses, das Peitschen des Windes und das monotone, gleichmäßige Trommeln des Regens verrieten den Sturm. Er war überwältigt und verfiel für einige Augenblicke in eine Art Trancezustand, als er auf einmal näher kommende Schritte hörte …, tack, tack, tack.

      Im selben Atemzug war er hellwach und saß aufrecht auf seinem Sitz. Irgendetwas war auf den Weg zu ihm, nur was?

      Von vorn kam niemand, das konnte Jakob im Scheinwerferlicht genau erkennen. Unerwartet stellte sich ein fiependes, gleichmäßiges Kratzen ein, das sich von hinten am Blech entlang scheinbar nach vorn schob. Jakob legte den Rückwärtsgang ein und versuchte an seinen Koffer auf der Rückbank zu gelangen, doch der Gurt saß zu straff. Er musste sich vorlehnen, um sich abzuschnallen. Sekunden vergingen, bis er endlich seinen Koffer erreichte und mit einer Hand aufklappte, während sich die andere verkrampft am Lenkrad festhielt. Das fiepende Kratzen kam dichter und stoppte plötzlich. Halb liegend auf der Armlehne, suchte Jakob nach seinem Messer. Er hasste sich für seine im Laufe der Zeit schon zwanghaft gewordene Unordnung.

      Erneut erhellte ein mächtiger greller Blitz die Nacht und beleuchtete das blutüberströmte Gesicht eines Mannes, der ihn ausdruckslos durchs Seitenfenster anstarrte, bevor er wieder im Schutze der Finsternis verschwand.

      Jakob hatte genügend gesehen, um zu begreifen, dass es um Leben oder Tod ging. Er fand sein Messer und umklammerte den gummierten, handgerecht gewölbten Griff. Im selben Moment sah er die verschwommenen Formen eines Knüppels auf sich zukommen.

      Das Seitenfenster zerbarst in tausend kleine Scherben. Instinktiv hob Jakob seinen linken Arm, um sich vor den heranfliegenden Splittern zu schützen. Sein Angreifer packte durchs offene Fenster zu und zog ihn mit einem kurzen Ruck nach oben. Jakob knallte brutal mit seinem Schädel gegen den Türrahmen. Blut rann seine Stirn hinunter und er fragte sich kurz, ob es sich dabei um sein eigenes oder das seines Kontrahenten handelte. Eine Faust traf ihn mitten ins Gesicht und warf ihn zurück auf die Armlehne. Wieder packte ihn die kräftige Pranke und zerrte ihn nach oben. Gewarnt vom ersten Mal, stemmte sich Jakob nun dagegen und ging in Deckung. Sein Kopf verfehlte nur um Haaresbreite den Dachrahmen und hing jetzt außerhalb des Wagens. Er spürte den Regen auf seiner Haut und schmeckte Blut zwischen seinen Zähnen. Er schaute auf.

      Ihm wurde übel. Zerfetzt, blutend und durchnässt stand das Monster vor ihm, bereit, ihm den nächsten Treffer zu erteilen. Das Gesicht halb entstellt, fletschte es seine gelben, verfaulten Zähne. Die Augen, rötlich unterlaufen und wahnsinnig vor Wut, starrten ihn entschlossen an. Alles konnte nun geschehen!

      Der nächste Schlag sollte ihn von oben treffen und seinen Schädel zertrümmern. Doch gekonnt wich Jakob aus, indem er sich zur Seite warf. Der Knüppel knallte mit voller Wucht auf den Rahmen und ließ die Tür erzittern.

      Die Ereignisse überschlugen sich. Jakob spürte den Arm seines Angreifers um seinen Hals. Dieser wollte kurzen Prozess machen, begab sich dabei aber auf gefährliches Terrain. Denn ebenso entschlossen holte Jakob jetzt aus und rammte die lange Klinge seines Messers mehrmals in den schweren Körper. Ein Aufschrei durchschnitt die Nacht und zugleich erschlaffte der Arm, das Würgen und die schmerzliche Beklemmung ließen schlagartig nach. Nach Luft schnappend, stieß Jakob die Türe auf und entledigte sich so des vor Schmerzen sich windenden Angreifers, der davorstand. Dieser sackte jetzt in sich zusammen und blieb leblos auf der Straße liegen. Nach einer kurzen Pause richtete sich Jakob auf und begutachtete den Körper.

      Es war ein Hüne, der vor ihm lag. Seine zerrissene Kleidung erinnerte Jakob mit ihren weißen und dunklen Streifen an einen Gefangenen aus einem Sträflingslager, einem Überlebenden des Holocaust, nur dass dieser Mensch hier viermal so breit war. Der Mann lag auf dem Bauch, das Gesicht weggedreht. Drei große Furchen säumten die Nierengegend, das rohe Fleisch klaffte dort weit auseinander.

      Von hinten erstochen – nicht gerade die feine englische Art, fasste Jakob zusammen. Sein Gewissen meldete sich, doch letztlich war es von beiden Gladiatoren ein unfairer Fight gewesen. Und die Tatsache, dass er es nicht war, der jetzt tot auf der Straße lag, gab ihm schließlich Recht.

      Jakob atmete schwer. Seine Schulter schmerzte und in seinem Kopf hämmerte es mit gleichmäßigen Schlägen. Er sehnte sich nach Ruhe. Doch an eine Verschnaufpause war nicht zu denken, denn in der Ferne leuchteten schon die Scheinwerfer eines Autos auf. Die ganze Nacht kein Gegenverkehr und jetzt das!

      Er hatte nicht viel Zeit, die Leiche verschwinden zu lassen. Trotz der Masse des Körpers hatte Jakob keinerlei Probleme, diesen hochzustemmen und im Somesul Mare zu versenken. Schnell lief er zu der Stelle des Zusammenpralls zurück und trat die Wrackteile beiseite. Den Rest musste der Regen übernehmen. Einige Sekunden später wendete er den beschädigten Wagen und kehrte dem Ort des Grauens den Rücken.

      2. Kapitel

      Vom Korridor im hintersten Trakt waren deutlich Schritte zu hören. Mehrere Personen marschierten im Gleichschritt den mit Marmorfliesen belegten F lur entlang, geblendet vom hellen Licht der Neonröhren an der Decke. Das Gebäude war vollkommen abgesichert. Etliche Kameras bewachten den K omplex und in regelmäßigen Zeitabständen kontrollierten mit Maschinengewehren bewaffnete Sicherheitskräfte die Gänge. Die Gruppe näherte sich einem Kontrollposten und musste in einiger Entfernung warten, bis sie herangewunken wurde.

      Zwei Männer in dunkelblauen Anzügen kontrollierten die Eintrittsgenehmigungen aller Personen, indem sie nachlässig die Aufenthaltsausweise über den Scanner zogen. Jedes Mal ertönte ein kurzes Piepen. Gelangweilt ging einer der beiden Männer nach vorn, während der andere die Situation aus sicherer Entfernung beobachtete, sein MG schussbereit. Über ein in der Wand eingelassenes Tastenbrett wurde das Signal z um Öffnen erteilt und die Sicherheitstür schob sich nach beiden Seiten auf. Die Gruppe stieg in den Fahrstuhl.

      Keiner der Männer im Lift suchte Blickkontakt, alle starrten stumm auf den Boden oder aneinander vorbei. Sie fuhren zügig nach unten in die tief gelegenen Katakomben. Sekunden später hielt der Fahrstuhl an und die drei stiegen aus. Sie traten in einen Gang, an dessen Ende sich eine imposante