Attila Heller

R.O.M.E.


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war ihre Anweisung und dabei deutete sie auf eine Reihe Stühle, die parallel zur Wand aufgestellt waren.

      Der Gang, in beige gestrichen und mit einem dunkelroten Teppich ausgelegt, strahlte Ruhe und Wärme aus. Er stand in krassem Gegensatz zum Rest des Gebäudes, das eher einen entseelten und sterilen Eindruck machte. Aber auch hier durften die zahlreichen Überwachungskameras nicht fehlen. Sechs Stück, verteilt auf etwa vierzig Quadratmeter, überwachten jeden Winkel dieses schmalen und tiefen Raums. Abgerundet wurde das Bild durch mehrere gut gewachsene, saftig grüne Dattelpalmen, die, anspruchslos und pflegeleicht, wie sie waren, perfekt hierher passten. Es brauchte nur etwas Wasser und Licht, um sie am Leben zu erhalten.

      Die Minuten vergingen, doch die Männer warteten geduldig auf ihren Stühlen wie vom Lehrer auf die Strafbank verwiesene Kinder im Schulhort. Dann endlich nahm die junge Frau den Hörer ab, erhielt offensichtlich Anweisungen und legte, ohne ein Wort zu sprechen, sogleich wieder auf.

      „Sie können jetzt eintreten.“

      Die Gruppe richtete sich auf und schritt auf die anziehende, blondhaarige Schönheit hinter dem Sekretär zu. Doch mit einem Handzeichen gab diese den Männern aus sicherer Distanz zu verstehen, dass nur einer von ihnen im Zimmer erwünscht sei, und deutete dabei mit ihrem Kugelschreiber auf den Mann in der Mitte. Die anderen beiden akzeptierten ihren Befehl mit einem gehorsamen Nicken. Der Auserkorene drückte langsam die Klinke und trat vorsichtig ein.

      „Ich hoffe, meine Leute haben Ihnen nichts getan?“

      „Ihre Gorillas schüchtern mich nicht ein“, erwiderte der Mann, immer noch in der Tür stehend. Seine Begleiter sollten ruhig wissen, was er von ihnen hielt. Erst dann schloss er mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck den Spalt.

      „Das ist gut, alles andere hätte mich auch verwundert.“

      In der Mitte des fensterlosen Raums saß ein Mann, den Rücken zum Eingang gedreht, der wie gebannt auf ein buntes Gemälde schaute, welches, umspannt von einem holzartigen, barockähnlichen Rahmen, vor ihm an der Wand hing. Rauch stieg nach oben, während die Glut seiner Zigarette aufleuchtete.

      „Genau genommen müssten ja eigentlich wir es sein, die Angst vor Ihnen haben, nicht wahr, Agent? Oder sollte ich Sie doch eher als Verräter bezeichnen?“

      Der Mann stand noch immer vor der Holztür und wusste nicht recht, wie er auf diese Frage reagieren sollte.

      „Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?“

      Ein kurzes Zögern, Sekunden vergingen, ohne dass auch nur eine Spur von Akzeptanz oder Sympathie zwischen den beiden aufkam. Der Raucher im Sessel nahm einen tiefen Zug aus seiner Black Devil und durchbrach dann euphorisch die düstere Stimmung.

      „Ach kommen Sie schon, Dschinn. Sie werden doch einen kleinen Scherz verstehen, oder nicht?“

      Überrascht über diese Anrede, fasste sich der Agent in den Nacken und rieb sich über die obersten drei Wirbel. Seine Identität und deren Bedeutung schienen in diesem Raum kein Geheimnis zu sein.

      „Sie müssen sich keine Sorgen machen. Ihre kümmerlichen VVerfehlungen gegenüber dem System sind beinahe vergessen. Keiner außerhalb dieses Zimmers weiß davon und wenn ich es mir recht überlege, könnte die Zeit gekommen sein, dass auch ich Sie aus meinem Gedächtnis löschen werde.“

      Der Mann vor der massiven Holztür wusste ganz genau, was diese blumige Formulierung besagen sollte. In diesem Staatenverband wurde niemandem etwas nur aus Loyalität oder gutem Willen geschenkt. Jegliche Form von Ungehorsam wurde im Keim erstickt oder sich zunutze gemacht. Denen war jedes Mittel recht, ihr unfehlbares, perfekt inszeniertes System am Leben zu erhalten.

      „Was verlangen Sie von mir?“

      Selbstzufrieden lehnte sich der Raucher in seinen Sitz zurück. Sein Gegenüber hatte ihn verstanden. Die Fäden hielt eindeutig er in der Hand. Er war es, der bestimmte, welche Puppe tanzte, und vor allem in welche Richtung. Er richtete sich auf und machte einen Schritt nach vorn. Behutsam öffnete er das oberste Fach einer hochbetagten Kommode und griff hinein.

      „Mögen Sie Kunst?“

      „Nicht unbedingt.“

      „Das ist schade, Sie sollten sich mehr damit befassen.“ Er widmete sich wieder dem farbenfrohen Gemälde an der Wand. Die Augen glänzten nass vor inniger Bewunderung.

      „Was glauben Sie, Dschinn, könnten dieses kostbare Bild und diese außergewöhnliche, uralte Kommode wohl gemeinsam haben?“

      „Ich habe keine Ahnung.“

      „Dann werde ich es Ihnen gerne erzählen. Sie sind beide Überlebende einer ganz besonderen Epoche, einer Zeit nach den Napoleonischen Kriegen, in der sich die Kultur und die Bildung des Bürgertums entwickeln konnten, ohne unterdrückt zu werden. Dieses Prachtstück hier ist eine echte Biedermeierkommode aus dem 19. Jahrhundert.“

      „Und das Gemälde?“

      „Ein echter Spitzweg, ‚Der Sonntagsspaziergang‘, um genau zu sein. Ich liebe dieses Kunstwerk. Wollen Sie wissen, warum?“

      Von Kenntnissen über bildende Kunst unberührt, zuckte der Mann recht gleichgültig mit seinen Schultern. Für ihn war das Anbringen von Farben auf eine Fläche nur vergeudete Zeit und angesichts der öden Unterhaltung fragte er sich allmählich, welchem Zweck diese dienen sollte?

      „Ich sehe in diesem Gemälde eine Verantwortung, eine Verantwortung unseren Vätern und auch dieser Generation gegenüber. Es ist unsere erhabenste Pflicht, das Bürgertum, unsere Familien, die Grundlage unserer Nation zu schützen. Unsere gewonnene Freiheit darf keinesfalls den Regimegegnern zum Opfer fallen.“ Sein Tonfall war bestimmend und leicht erregt. „Verstehen Sie? Wir kämpfen mittlerweile an vielen Fronten. Aber der schlimmste Widersacher kommt aus unseren eigenen Reihen, ein Krebsgeschwür, das immer wieder auftaucht.“

      Kraftlos ließ sich der Raucher in den Sessel fallen. Der bloße Gedanke an jene Terrorzellen schienen ihm alle Freude am Leben zu nehmen.

      „Ich habe Sie nicht ohne Grund kommen lassen.“

      Der Agent trat einen halben Meter vor. Endlich zeigte der Aufenthalt in diesem erdrückenden, fensterlosen Bunker einen allerersten Anschein von Notwendigkeit. Aufmerksam verfolgte er die weiteren Ausführungen.

      „Sie haben, trotz der unschönen Vorkommnisse, bewiesen, dass Ihr Herz am rechten Fleck sitzt. Doch ich sagte Ihnen ja bereits, Sie brauchen sich deswegen keine Gedanken mehr zu machen. Ich vertraue Ihnen und das bedeutet auch, dass der Staatenverbund hinter Ihnen steht, natürlich ganz nach meinem Ermessen.“

      Der Agent im Eingangsbereich des Zimmers fühlte, dass ihm demnächst die Gelegenheit gegeben werden würde, seinen Fehler aus der jüngsten Vergangenheit endgültig wiedergutzumachen. Bereit und entschlossen dazu, wollte er seine Chance nutzen.

      „Wie lauten Ihre Anweisungen?“

      „Die finden Sie hier.“

      Mit dem Rücken zum Schreibtisch sitzend ließ der Raucher im Sessel mit Schwung einen Umschlag über den Tisch gleiten, der vor den Füßen des Agenten landete.

      „Sie werden überrascht sein, wenn Sie Ihren Befehl lesen. Ich hoffe, Sie enttäuschen uns nicht! Das könnte sonst unangenehme Folgen für Sie und für Ihre Familie haben.“

      „Ich werde Sie nicht enttäuschen!“

      „Dessen bin ich mir sicher.“

      Der Agent hob den Briefumschlag auf und öffnete ihn mit dem Zeigefinger, indem er ihn zackenförmig aufriss. Er entnahm ihm ein Auftragsdokument, Flugtickets und einen Diplomatenpass, der ihm Autonomie und uneingeschränkten Aufenthalt im gesamten Staatenbund erdlaubte. Sein Interesse beschränkte sich jedoch ausschließlich auf seinen Befehl. Zügig und ohne jede Regung las er ihn, bis er ins Stocken geriet. Seine Augen spiegelten bloßes Entsetzen. Er überflog den Abschnitt noch einmal und spürte endlose Leere in sich aufkommen.

      „Es entzückt mich, Ihren Enthusiasmus zu sehen. Sie werden eine wichtige Rolle