Julia Fromme

Ehre und Macht


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dass sich sein Schicksal bis zum Morgen noch ändern würde. Kurz schweiften seine Gedanken in die Vergangenheit. Er sah sich als Zwölfjährigen in der Burg des Gaugrafen Boleslaw, dem Vater Miros. Grölend fiel eine raue Horde von Rittern und Waffenknechten über eine wehrlose Frau her. Doch Falk, ein Knappe des Gaugrafen, konnte ihr nicht helfen und sie schlugen ihr armes Opfer tot. Nie würde er vergessen, wie er sich damals gefühlt hatte. Schnell schob Falk die Gedanken von sich. Die Gespenster der Vergangenheit sollten ihn nicht auf dem Weg vor seinen Schöpfer begleiten.

      Inzwischen war es fast vollkommen dunkel in dem kleinen Raum. Das ohnehin sehr winzige Fenster, das jede Flucht unmöglich machte, ließ nur noch einen vagen Schein des Dämmerlichtes herein. Es wurde schon zeitig finster und die Nacht würde lang werden. Schritte auf dem Gang vor der Kammer ließen ihn aufhorchen. Es mussten erst wenige Minuten vergangen sein, die er hier unten saß. Oder hatte er geschlafen und der Morgen kam bereits? Falk richtete seinen Blick auf die Tür. Mit einem schleifenden Geräusch wurde der schwere Riegel zurückgeschoben. Die Fackel auf dem Gang warf schwach ihr unruhiges Licht in sein Gefängnis. Ein Mann mittleren Alters betrat langsam den Raum. Geschockt vom Anblick des Gefangenen blieb er nach wenigen Schritten stehen. Seine stattliche Gestalt sackte sichtlich zusammen. Falk sah erstaunt auf und erhob sich hastig, doch die jähe Bewegung riss an seinen Fesseln. Er taumelte nach hinten, den bestürzten Blick auf den Mann geheftet.

      „Ihr hättet nicht herkommen sollen, Onkel“, entfuhr es ihm rau. Falk atmete mühsam. Seine Stimme drohte, ihm zu versagen. Sein Onkel war der letzte gewesen, den er jetzt noch zu sehen erhoffte.

      Friedrich von Chomotau fasste sich wieder und ging auf seinen Neffen zu. Er schloss Falk in die Arme, ohne sich am heruntergekommenen Aussehen des Ritters zu stören. Seine blauen Augen, die denen Falks so ähnlich waren, ruhten voller Mitleid auf dem Jüngeren, seine edlen Züge eingefallen vor Traurigkeit. Falks Tunika wies etliche Risse auf. An mehreren Stellen war sie von Blut durchtränkt, durchaus nicht nur sein eignes.

      Immer wieder spulten sich in Falks Kopf die Ereignisse dieser verhängnisvollen Nacht ab. Eine Woche war es jetzt her, dass er sich mit seinem Cousin Frantek und dessen Kumpan Zdenek von Neubergk auf dem Rückweg von Prag befunden hatte. Sie waren in einer Mission der Grenz- und Gaufürsten unterwegs gewesen. Diese erhofften sich von König Ottokar weitreichende Zugeständnisse hinsichtlich der Selbstverwaltung ihrer Lehen. Im Gegenzug dazu erklärten sie sich bereit, die südböhmischen und mährischen Adligen für die Politik des Königs zu gewinnen.

      Allerdings war es den drei Rittern nicht gelungen, bei Ottokar eine Audienz zu erhalten. Bereits auf dem Rückweg hatten sich Zdenek und sein Cousin lautstark über den König und seinen Marschall, Dlugomil von Strakonicz, ausgelassen, denn Dlugomil hatte sie nicht zum König vorgelassen.

      „Dieser Bastard, der sich königlicher Berater nennt, soll mir nochmals unterkommen“, schrie Frantek wichtigtuerisch. „Wie kann er es wagen, die Vertreter des Adels und des deutschen Königs abzuweisen? Mit Sicherheit wusste Ottokar gar nichts davon!“

      „Dass du dich da mal nicht gewaltig irrst“, war ihm Falk ins Wort gefallen. „Der böhmische König ist verärgert darüber, dass die Grenzfürsten die Besiedlung der slawischen Gebiete durch deutschstämmige Kolonisten vorantreiben. Und was die Rechte der Fürsten betrifft, da machte uns Dlugomil auch deshalb nur zögerlich Zugeständnisse, weil er ansonsten seine eigne Macht als Berater bedroht sieht.“

      „Ich denke eher, dass es ihm ein Dorn im Auge war, dass unsre Abordnung von dir, einem Vasallen des meißnischen Markgrafen, angeführt wurde“, mischte sich Zdenek ein. „Ich möchte bloß wissen, was sich der Gaugraf dabei gedacht hat? Noch sind die Narben, die das Verhalten des Markgrafen Dietrich bei unserem König hinterlassen hatten, nicht verblasst. Warum musste dieser Bastard auch den deutschen König Philipp überreden, Ottokar die böhmische Krone abzusprechen? Es war reine Rache.“

      „Findest du es etwa in Ordnung, dass Ottokar seine Gemahlin nach fast zwanzig Jahren Ehe verstoßen hat? Nur damit er sich eine jüngere ins Bett holen kann?“, fragte Falk, nun seinerseits aufgebracht. „Dazu hätte es keines Eheversprechens bedurft. “

      „Was geht mich der Meißner an?“, konterte Zdenek bissig. „Ich bin ein Mann des Böhmen. Und ich sage dir nochmal, es ging Dietrich nur darum, sich für diese Schmach bitter zu rächen, weil es sich dabei um seine Schwester handelt. Klar, ist es später wieder zur Aussöhnung mit Philipp gekommen. Ottokar konnte sich die Krone erneut auf seinen Schädel setzen. Aber das Verhältnis zu Dietrich bleibt dennoch angespannt.“

      „Kaiser Otto hat Premysl Ottokar doch endgültig in seinen Königsrechten bestätigt. Was will er denn noch? Und, um nochmal auf Dlugomil zurückzukommen. Der Marschall ist seinem König treu ergeben und vertritt dessen Position uneingeschränkt. Seine Reaktion bei unserem Erscheinen wundert mich nicht allzu sehr.“

      „Dann hättest du ja auch zu Hause bleiben können“, stänkerte Frantek und sah Falk herausfordernd an.“

      „Ach ja? Und du hättest mit Sicherheit eine Audienz beim König erhalten, was?“, höhnte Falk.

      „Allerdings würde es mich auch interessieren, warum Miro gerade dich, seinen ‚liebsten’ Gefährten, für diese Mission ausgewählt hat.“ Zdeneks Stimme triefte vor Sarkasmus. „Das musste ja schiefgehen.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. Ein gemeines Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Was soll`s, so können wir die Schuld wenigstens auf dich abwälzen, wenn er uns zur Rechenschaft zieht wegen unsrer missglückten Mission.“

      Frantek wieherte vor Lachen.

      „Scht. Halte die Klappe. Ich hör etwas.“ Zdenek lauschte angestrengt. „Da vorn. Eine Wagenkolonne!“ Er wies mit der Hand in die Dunkelheit.

      „Was meint ihr, ob das Bewaffnete sind?“, fragte Frantek dümmlich.

      „Ich glaube eher, es sind Kaufleute, die nach Louny ziehen. Lasst uns vorbeireiten“, forderte Falk seine Kumpane auf.

      „Welch prächtige Gelegenheit, unsere Kasse ein wenig aufzufüllen!“, rief Zdenek seinen Begleitern zu. Frantek grinste höhnisch und nickte zustimmend. „Und was ist mit dir, Falk?“, fragte Zdenek in provozierendem Ton.

      „Lasst es. Wir haben Wichtigeres zu tun“, versuchte der Ritter die rauflustigen Kerle von ihrem Vorhaben abzuhalten.

      „Ach nein, ich eigentlich nicht“, antwortete Zdenek gelangweilt. „So ein paar Pfeffersäcke kommen mir gerade recht, um mich nach unserer eher enttäuschenden Mission ein bisschen auszutoben. Was sagst du, Frantek?“, wandte er sich an den anderen. Frantek reckte das Kinn auffordernd in Richtung seines Cousins. „Hast du deinen Mumm verloren, Vetter? Oder wirst du jetzt langsam zu alt für derlei Vergnügen?“ Er zog sein Schwert, das mit lautem Scharren aus der Scheide fuhr und schwang es wie ein Sarazene den Krummsäbel, so dass pfeifende Luftgeräusche die Stille der Nacht durchschnitten. Auch Zdenec hielt seine Streitaxt abwägend in der Hand, ein böses Lächeln auf den Lippen. Schnell näherten sie sich den Kaufleuten. Falk hatte für sich beschlossen, einfach an den Händlern vorbeizureiten, ganz gleich, was seine Kumpane machen würden. Doch als er den Zug passierte, zog einer der begleitenden Waffenknechte das Schwert und ging damit auf Falk los. Die düstere Erscheinung des Ritters veranlasste ihn wahrscheinlich zu der trügerischen Annahme, dass Falk, wie seine Kumpane, ein Raubritter sei, mit der Absicht, die Kaufleute zu überfallen. Falk sah sich gezwungen, blitzschnell sein Schwert zu ziehen, wollte er nicht selbst von der Waffe des erfahrenen Kämpfers niedergestreckt werden. Letztlich stieß er ihm dennoch das Schwert in die Brust. Der Mann fiel tot zu Boden, bevor er überhaupt bemerkt hatte, dass er getroffen war. Frantek floh angesichts der Überzahl der Waffenknechte, die den Zug geleiteten, bereits bei den ersten Anzeichen von Kampfhandlungen. Zdenec erschlug einen der Wagenbegleiter und riss eine große Schatulle, die womöglich Münzen enthielt, vom Wagen. Dann gab er seinem Pferd die Sporen und ritt hinter seinem feigen Kumpan her. Auch Falk gelang es, zurück zur Burg seines Onkels zu reiten. Doch einer der Kaufleute erkannte in ihm den Neffen des Herrn von Chomotau und erhob beim Magistrat der Stadt Louny, aus der die Händler stammten, Anklage. Da die Stadt dem Gaugrafen unterstand, wurde die Sache diesem übertragen und Miro staunte nicht schlecht, als ihn der Name Falks von Schellenberg