Julia Fromme

Ehre und Macht


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er die Sache überhaupt überlebt hat“, setzte er hinzu. „Das Weib hat ihn in einem Karren fortgebracht.“

      „Von der Henkerstochter, was?“, fragte Miro listig. „Und, ist es die Henkerstochter, die um Falks Leben bittet?“ Höhnisch schnaubend verzog er die Lippen zu einem spöttischen Lächeln.

      „Ich weiß nicht, Herr“, antwortete der Amtmann vorsichtig.

      „Dann bringe es in Erfahrung“, schnauzte der Gaugraf den Mann an. „Und ist sie es nicht, dann weise den Scharfrichter an, endlich seine Sache zu Ende zu bringen.“ Miro war sich vollkommen sicher, dass es nur noch kurze Zeit währen würde, bis sein ärgster Feind vom Leben zum Tode befördert wurde.

      Falk hatte die Angelegenheit nur von Ferne wahrgenommen und es dauerte einige Zeit, bis er registrierte, dass das Mädchen gerade um sein Leben bettelte. Verwundert drehte er sich um, soweit es seine Fesseln zuließen, und betrachtete sie. Die junge Frau mochte ungefähr zwanzig Jahre zählen. Sie war eher von kleiner Gestalt, schlank und zierlich. Genau ließ sich das nicht sagen, da ihr Gewand unförmig und zerschlissen war. Ein dunkelblauer Schleier verdeckte ihr Haar nur zum Teil und die ersten Strahlen der sich über den Platz erhebenden Sonne ließen es rotgolden aufleuchten. Falk meinte sogar einen hellen Schein über ihrem Kopf wahrzunehmen. Erstaunen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab und so etwas wie Hoffnung begann in seiner Brust aufzukeimen. Er betrachtete sie genauer. Er konnte sich nicht erinnern, dieses Mädchen schon einmal gesehen zu haben und dennoch kam sie ihm irgendwie bekannt vor. Das schmale blasse Gesicht mit den riesigen grauen Augen, die zierliche kleine Stupsnase und der im Vergleich dazu relativ große, hübsch geschwungene Mund, der ihrem Gesicht einen energischen, wenn auch etwas herben Zug verlieh. Nein, direkt schön war sie nicht. Und dennoch faszinierte ihn ihre Erscheinung.

      Meister Peter beugte sich zu der am Boden Knienden herab und zog sie beinahe liebevoll auf die Beine. Sie drohte zu straucheln und hielt sich am Arm des Henkers fest. Die Menge, welche bis jetzt regelrecht den Atem angehalten hatte, stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Niemand wagte es, den Henker zu berühren. Das galt als vollkommen unmöglich, da man dadurch selbst zu einem unehrlichen Menschen wurde und fortan aus der Gesellschaft ausgeschlossen war. Wer war diese Frau? Noch nie hatte sie jemand in Louny gesehen. Stimmte es wirklich, dass sie den Delinquenten vom Henker freibitten konnte? Mit Spannung harrten die Menschen, wie sich die Angelegenheit wohl weitergestalten würde und sie warteten ungeduldig auf die Rückkehr des Amtmanns.

      Nikel Jobst eilte über den Platz und erklomm das Blutgerüst. In einem angemessenen Abstand blieb er vor Meister Peter stehen. Er fixierte das Mädchen mit einem strengen Blick, der allerdings seine ganze Unsicherheit offenbarte. Der Henker lauerte gespannt darauf, welche Nachricht der Amtmann verkünden würde. Er glaubte nicht daran, dass Miro von Louny sich von einem Mädchen davon abbringen ließ, seinen Kontrahenten zu beseitigen. Meister Peter wusste nur zu gut aus zuverlässiger Quelle, dass Miro an Falk ein Exempel statuieren wollte, gewissermaßen als Demonstration seiner Macht. Wieso aber gerade Falk, selbst ein Ministeriale des Königs, in die Fänge des Gaugrafen geraten war, das entzog sich seiner Kenntnis. Doch insgeheim bewunderte er die gelassene Haltung seines Gefangenen, über den er selbst noch nie etwas Negatives gehört hatte. Er wäre nicht gerade böse darüber, dieses eine Mal sein Handwerk nicht ausüben zu müssen, denn Miro von Louny war ein übler Geselle, der mit großer Grausamkeit in seinem Gebiet herrschte.

      „Was willst du, Mädchen?“, begann der Amtmann ungehalten. „Wer bist du überhaupt, dass du es wagst, dieses Halsgericht zu stören? Weißt du nicht, dass dieser Mann hier ein berüchtigter Raubritter ist, den Gott nun seiner gerechten Strafe zuführt?“ Er schaute das Mädchen streng an. Fast hätte der Henker gelacht, denn das Weib starrte nur herausfordernd zurück, ohne die geringste Ehrfurcht vor dem Amt des Büttels an den Tag zu legen. Die Sache begann ihm Spaß zu machen. Er schaute kurz zu Falk, der etwas verwirrt dreinblickte. Doch schien der Ritter gefasst und Meister Peter zweifelte nicht daran, dass dieser ganz genau registrierte, welche Gelegenheit sich ihm hier bot, sein Leben behalten zu können.

      „Es gilt von alters her, dass ein Verurteilter vom Halsgericht freikommen kann, wenn sich jemand dazu bereit erklärt, den armen Sünder zu ehelichen“, sagte die junge Frau trotzig mit fester Stimme. Aus den Augenwinkeln heraus konnte Meister Peter sehen, dass Falk mühsam schluckte. Ob aus Angst davor, vom Regen in die Traufe zu kommen, weil diese Maid ihn zum Manne wollte, oder aus der verzweifelten Hoffnung heraus, nun doch sein Leben behalten zu können, das vermochte er nicht zu sagen. Aber er nahm an, dass Falk mit Sicherheit unter allen Umständen das Leben wählen würde, selbst wenn die Frau alt und hässlich gewesen wäre.

      „Weißt du nicht, dass nur der Henker selbst oder dessen Tochter einen Verurteilten heiraten kann?“, hörte er den Amtmann fragen. „Und, bist du die Tochter des Henkers? Wir haben dich hier noch nie gesehen.“ Triumphierend schaute Nikel Jobst in die Menge, die das Spektakel begeistert verfolgte. Der Henker sah, dass die junge Frau blass wurde und verzweifelt nach Argumenten suchte. Und so beschloss Peter, dem Mädchen zu helfen und die ganze Angelegenheit ein wenig zu beschleunigen.

      „Sie ist meine Tochter“, sagte er mit fester Stimme.

      Die Brauen des Amtmannes fuhren in die Höhe. „Eure Tochter...?“, fragte er verblüfft.

      Auch die junge Frau schaute ihn mit fragendem Blick an, war aber schlau genug, den Mund zu halten.

      „Wieso ist sie Eure Tochter?“, fragte Nikel Jobst etwas dümmlich.

      „Nun, wie wird sie wohl meine Tochter sein“, fuhr Meister Peter belustigt fort. „Meine Frau, Gott hab sie selig, und ich...“

      „Ja, ja. Es reicht. Was ich meinte, war, dass hier bisher niemand wusste, dass Ihr eine Tochter habt.“

      „Nun, was das betrifft, so habe ich es auch nie an die große Glocke gehangen. Das arme Kind ist auch so schon gestraft genug, mit niemandem reden zu dürfen, keine Freundin unter den anderen Mädchen zu haben und nur mit Blut und Tod in Berührung zu kommen. Deshalb halte ich sie immer im Haus und sie hat nur mit wenigen Menschen Kontakt.“ Peter hoffte inständig, dass seine dreiste Lüge nicht auffliegen würde. Er gefiel sich in der Rolle, selbst einmal über Leben und Tod entscheiden zu können, nicht immer nur der Ausführende zu sein.

      „Ach was?“, war das Einzige, was dem Amtmann zu diesem vollkommen neuen Umstand zu sagen einfiel.

      „Und, wie es meine Tochter schon richtig kundtat, hat sie das Recht, unter dem Halsgericht ihren zukünftigen Gemahl zu wählen. Auch wenn es mir selbst nicht unbedingt gefällt“, fügte er vorsichtshalber hinzu.

      Die junge Frau erkannte sehr schnell, dass es ihre einzige Chance war, nicht davongejagt zu werden und damit Falk seinem Schicksal zu überlassen, indem sie auf die Behauptung des Henkers einging. Nun war es gleich, ob sie diesen Mann nochmals berührte oder nicht. Sie fasste Meister Peter am Arm, den Anschein erweckend, dass sie Unterstützung bei ihrem Vater suchen würde.

      „Bitte gebt mich diesem Mann dort zur Frau“, deutete sie auf Falk, der die ganze Farce mit zunehmender Neugier verfolgte. Bot sich hier etwa eine Gelegenheit, doch mit dem Leben davonzukommen? Er sollte verflucht sein, wenn er auf diese Scharade nicht eingehen würde. Seine Lebensgeister kehrten mit allen ihren Sinnen zurück und er warf dem Mädchen einen flehenden Blick zu, diese unglaubliche Geschichte weiter mitzuspielen.

      „Ich liebe ihn, von ganzem Herzen“, hörte er sie mit leiser Stimme sagen, und fast hätte es ihn amüsiert, zu sehen, wie sie ob ihrer Worte leicht errötete, wäre er nicht in so einer misslichen Lage gewesen.

      „Und woher kennst du den Ritter, Weib?“, fragte der Amtmann nun etwas gereizt, da er der ganzen Sache keinen rechten Glauben schenken mochte.

      „Er hat mir im Wald von Lounisky einmal das Leben gerettet, als ich beim Kräutersammeln von einem wilden Eber angegriffen wurde. Der Ritter wusste nicht, wer ich bin“, beeilte sie sich zu sagen, um Falk wenigstens etwas Ehre bei der ganzen Angelegenheit zu lassen. Das war natürlich glatt gelogen, denn Falk hatte sie nie in diesem Wald getroffen, kannte sie gar nicht. Zumindest war er sich dessen nicht bewusst, denn sie selbst wusste von ihm bereits ihr ganzes Leben.

      „Doch,