Julia Fromme

Ehre und Macht


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gewesen, nichts für Eure Rettung zu tun. Aber die Frau kenne ich wohl.“

      Nun war Krystina neugierig geworden und sie lugte hinter dem Rücken Falks hervor, um den jungen Mann genauer in Augenschein zu nehmen. Sie kannte ihn, ohne Zweifel. Dennoch wusste sie nicht, wo sie ihn hinstecken sollte, so sehr sie auch ihr Gedächtnis durchforstete.

      Der Bursche schaute Krystina an. „Ich bin Andris, Herrin. Ihr habt einmal meiner Mutter geholfen, als man sie beschuldigte, dass sie die Kuh des Bauern Karel verhext hätte. Ihr habt damals bezeugt, dass die Kuh weniger Milch gibt, da sie ein Kälbchen säugen musste.“

      Jetzt konnte sich Krystina wieder erinnern. Sie hatte damals den Jungen in einer Ecke des Saales sitzend gefunden, wie er bitterlich weinte. Auf ihre Frage, was ihm zugestoßen sei, erzählte er ihr von der Anschuldigung des Bauern Karel, seine Mutter hätte die beste Kuh in dessen Stall verhext. Krystina tat der Junge leid, und sie erkundigte sich nach dieser Sache. Auch glaubte sie nicht an solche Dinge wie Zauberei und Hexenflüche. Doch die Mutter des Jungen war eine hübsche Frau, die mit Sicherheit nur die Begehrlichkeit des Bauern, der seit einem Jahr Witwer war, geweckt hatte. Sie weigerte sich, sein Weib zu werden, denn der Kerl war als gewalttätig und ungerecht bekannt. Krystinas Onkel, der selbst ein Auge auf seine Magd geworfen hatte, erteilte Karel eine Abfuhr und beschied ihm, sich woanders ein neues Weib zu suchen. Der Bauer rächte sich und erfand die Geschichte von der verhexten Kuh. Doch Krystina kam ihm auf die Schliche und berichtete ihrem Onkel davon. Dieser ahnte bereits, dass der Bauer gelogen hatte, um der Frau eines auszuwischen und jagte ihn aus dem Dorf, nicht ohne vorher dessen Besitz seinem eigenen hinzugefügt zu haben. Doch seit diesem Vorfall war der Junge ihr glühendster Verehrer geworden.

      „Wieso bist du hier, Andris?“, frage Krystina verwundert.

      „Ich war gerade in der Stadt, um einen Auftrag für die Köchin zu erledigen, welche frische Rüben vom Markt brauchte. Da sah ich den Tumult auf dem Richtplatz.“ Er warf Falk einen abschätzenden Blick zu. „Ich wurde neugierig und drängte mich durch die johlenden Massen, wollte ich doch sehen, was da vor sich ging.“ Andris hob die Hände und vollführte eine Geste des Unglaubens. „Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, Herrin. Ihr standet da und flehtet um das Leben dieses Mannes hier. Das konnte nicht gut ausgehen. Miro von Louny ist als kaltherzig und unnachgiebig bekannt.“

      „Wie du siehst, ist es gut ausgegangen“, warf Falk dazwischen. „Wir sind jetzt verheiratet.“ Er verzog etwas das Gesicht, was dem Jungen nicht entging.

      „So würde ich das nicht sagen, Herr“, konterte Andris respektlos. „Krystina von Hauenstejn ist jetzt die Frau eines gesetzlosen Ritters und auf der Flucht vor den Häschern des Gaugrafen, die sicher nicht lange fackeln, wenn es darum geht, sie gemeinsam mit Euch zu fangen. Und der Himmel allein weiß, ob ihr dann nicht noch Schlimmeres widerfährt als der Tod.“ Andris schaute den Ritter herausfordernd an.

      „Du bist ganz schön vorlaut für den Sohn einer Magd“, bemerkte Falk erstaunt.

      „Falk, bitte, seid ihm nicht böse. Er ist ein guter Junge und sorgt sich sicher nur um mich“, versuchte Krystina zwischen den beiden zu vermitteln. „Nein, Andris, ich meinte, wieso bist du hier in Louny. Ich wähnte dich auf Hauenstejn.“

      „Das ist eine eher traurige Geschichte, Herrin. Die werde ich euch wohl ein anderes Mal erzählen müssen. Nur soviel, der Herr von Hauenstejn hat meine Mutter und mich an den Gaugrafen verkauft, als er ihrer überdrüssig wurde.“ Ein wehmütiger Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Doch wie Ihr seht, hat alles seine Richtigkeit, sonst könnte ich Euch heute nicht helfen“, fuhr er voller Zuversicht fort.

      Obwohl Krystina noch viele Fragen auf der Zunge lagen, beherrschte sie sich und fragte stattdessen: „Und was machst du hier in diesem Haus?“

      „Ja, diese Frage kam mir auch gerade in den Sinn, Bürschchen“, meldete sich Falk wieder zu Wort.

      „Als ihr auf dem Marktplatz davongeführt wurdet, bin ich hinter den Waffenknechten hergeschlichen. Ich wollte wissen, was mit Euch geschieht. Dann sah ich den Pfaffen und dachte mir, dass er Euch sicher trauen würde. Ich lag ja dann auch nicht so daneben mit meiner Vermutung.“ Andris grinste und seine Augen strahlten vor Freude.

      „Das erklärt immer noch nicht, wie du hierhergekommen bist“, warf Falk ein.

      „Ich habe einen Freund in der Stadt, der mit seinem Großvater, dem Flickschuster Johan, in dieser Gasse wohnt. Vom ihm wusste ich, dass durch dieses Haus hier, das einmal der Witwe Maret gehörte, ein Gang zum Stadtgraben geht. Das Haus steht seit ihrem Tod im letzten Jahr leer und wir verstecken uns oft hier, um ungestört zu sein.“ Falk hob etwas irritiert die Augenbrauen.

      „Der Gaugraf sieht es nicht gern, wenn seine Bediensteten Umgang mit den Leuten aus der Stadt haben“, ergänzte Andris, als er Falks Blick auffing. „Er kennt mich zwar nicht persönlich, aber man weiß nie, wer es ihm zutragen könnte. Ich will nicht unbedingt seine Aufmerksamkeit auf mich ziehen.“

      Falk war sprachlos angesichts der unbekümmerten, respektlosen Art des Jungen.

      „Als ihr dann aus dem Stadtverlies gekommen und losgerannt seid, bin ich Euch gefolgt. Und als hätte der liebe Gott es gewusst“, Andris machte das Zeichen des Kreuzes, „hat er Euch in diese Gasse geführt. Natürlich dachte ich mir, dass das Tor da hinten versperrt sein würde. Den Schlüssel dazu hat der Stadtwächter, damit keine unliebsamen Gesellen unbemerkt von draußen hereinkommen.“

      „Aber, wenn am Ende dieser Gasse der Stadtgraben ist, wieso ist dort ein verschlossenes Tor?“, fragte Krystina.

      „Weil dort auch die Anlegestelle für das einzige Boot ist, was über den Graben führt“, erklärte ihr Falk. „Deshalb bin ich in diese vermaledeite Gasse gerannt.“

      „Ja“, bestätigte Andris. „Und hinter jedem Haus hier ist ein kleiner Garten, der an den Graben führt. Das Haus der Witwe ist das erste neben dem Anlegesteg.“

      „Und was ist, wenn die Häscher des Grafen auf der anderen Seite des Grabens auf uns warten?“, fragte Krystina besorgt.

      „Sie wissen nicht, dass wir diesen Weg genommen haben, da sie ja davon ausgehen dürften, dass dieses Tor fest verschlossen ist. Also wird niemand auf die Idee kommen, dass wir mit dem Boot übersetzen“, sagte Falk mit mehr Überzeugung in der Stimme als in seinem Inneren.

      „Ich rate Euch, den Tag hier zu verbringen und zu warten, bis die Dunkelheit hereingebrochen ist. Ich kenne hier jeden Zentimeter des Bodens, bin ich doch selbst schon oft mit dem Kahn übergesetzt. Ich werde Euch aus der Stadt geleiten. Jetzt am helllichten Tag ist es viel zu gefährlich.“

      „Ich gebe zu, dass du Recht hast, Junge. Sicher suchen sie bereits im Wald vor der Stadt nach uns. Wenn sie uns nicht finden, werden sie denken, wir sind schon über alle Berge oder noch in der Stadt. Wollen wir hoffen, dass sie nicht alle Häuser durchkämmen.“

      „Das müsst Ihr riskieren. Eine andere Chance habt Ihr nicht“, gab Andris zu Bedenken.

      „Also warten wir hier“, sagte Falk, der bitteren Realität ins Auge sehend.

      „Geht ins Haus, ich werde Euch etwas zu essen besorgen“, forderte Andris die beiden auf.

      „Aber lass dich nicht erwischen“, riet ihm Falk.

      „Keine Sorge.“ Damit verschwand Andris durch dieselbe Tür, durch die sie vorher hier hereingekommen waren und ließ sie allein zurück.

      „Wir werden ihm vertrauen müssen“, bemerkte Falk und konnte seine Skepsis nicht ganz verbergen.

      „Ich vertraue ihm“, sagte Krystina. „Was bleibt uns auch anderes übrig. Wir haben keine Wahl. Hoffen wir, dass Gott auf unserer Seite ist.“ Sie ließ sich auf der kleinen Bank direkt neben dem Hintereingang nieder. Diese war vom Wildwuchs des Gartens so verdeckt, dass sie keiner von außerhalb sehen konnte.

      „Auf Eurer Seite vielleicht. Bei mir bin ich da nicht so sicher“, sagte Falk mehr zu sich selbst als zu Krystina. Dann setze er sich zu ihr. „Vielleicht solltet Ihr die Gelegenheit nutzen