Julia Fromme

Ehre und Macht


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diese doch bald in einen ständigen dichten Nieselregen, der nach und nach durch ihre Kleider drang. Krystina trottete neben Falk dahin, sich hin und wieder an seinem Wams festhaltend, wenn eine Unebenheit oder eine unter dem Laub verborgene Wurzel sie stolpern ließen. Doch der Ritter schien das gar nicht zu bemerken, zu tief war er in seine eigenen Gedanken versunken. Wieder und wieder spulten sich vor seinem inneren Auge die Ereignisse der letzten Tage ab, und zum wiederholten Male schwor er bittere Rache.

      Abrupt blieb Falk stehen und packte Krystina am Arm.

      „Was ist?“, fragte sie erschrocken.

      „Ich höre Hundegebell“, flüsterte Falk. „Wollen wir hoffen, dass es nur der Köter auf einem einsamen Gehöft hier in der Nähe ist, denn ich weiß von keiner größeren Siedlung, die wir passieren werden.“ Falk schaute sich aufmerksam um und lauschte angestrengt in die Richtung, aus der das Bellen gekommen war. Doch dann meinte er auch das Klirren von Zaumzeug zu vernehmen. „Verdammt!“, fluchte er mit verhaltener Stimme. „Ich hätte es wissen müssen, dass Miro von Louny nicht so leicht aufgibt.“

      Krystina schaute ihn voller Entsetzen an. „Glaubt Ihr, sie haben uns schon gesehen?“, fragte sie mit angehaltenem Atem.

      „Nein, aber möglicherweise haben die Hunde Witterung aufgenommen“, sagte Falk und nahm ihre Hand. „Uns bleibt nur eins, wir müssen rennen, als wären alle Höllenhunde hinter uns her.“ Damit wandte er sich um, ohne ihre Hand loszulassen und riss sie mit sich fort. Krystina hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten, doch Falk dachte nicht daran, ihre Hand loszulassen. Lieber würde er sie hinter sich her schleifen, als sie hier ihrem Schicksal zu überlassen. Nach einer Weile blieb er unvermittelt stehen. Vollkommen überrascht rannte Krystina an ihm vorbei und wurde jäh nach hinten gerissen, da Falk sie noch immer festhielt. Sie stieß einen Schmerzensschrei aus. Falk zog sie rasch zu sich ran und hielt ihr mit der anderen Hand den Mund zu. Schwer atmend lehnte sie sich an seine Brust und er spürte ihr Herz in einem wilden Rhythmus schlagen. Falk schob die junge Frau ein Stück von sich. Als sie ihn verwirrt anschaute, wies er in die Richtung, in der sich der Wald nach und nach zu lichten schien.

      „Dort vorn schlängelt sich ein kleiner Fluss am Rande des Waldes dahin. Wir werden seinem Lauf eine Weile folgen, damit die Hunde unsre Spur verlieren. Bis Vildstejn dürfte es nicht mehr weit sein.“ Damit wandte er sich zum Gehen, sie immer noch hinter sich herzerrend. Es dauerte nicht lange und sie hatten den Fluss erreicht. In den letzten Wochen war kaum Regen gefallen, so dass er nur wenig Wasser führte. Falk stieg die Böschung hinab und setzte einen Fuß ins Wasser. Die Kälte schoss ihm unvermittelt das Bein hinauf und er schnappte nach Luft. Doch blieb er nicht stehen. Plötzlich riss sich Krystina von seiner Hand los.

      „Nein, da steige ich nicht hinein. Das Wasser ist eiskalt.“ Trotzig schaute sie den Ritter an.

      „Was macht das jetzt noch für einen Unterschied?“, fragte Falk verblüfft. „Wir sind doch eh schon bis auf die Haut durchnässt von dem elenden Regen.“

      „Ja, aber noch sind meine Füße trocken. Und das soll auch so bleiben. Ich habe keine Lust, an einer Lungenentzündung zu sterben.“

      „Dann sterbt halt durch die Hand der Schergen Lounys“, antwortete Falk ungerührt. „Aber glaubt mir, Ihr wollt nicht wissen, was sie vorher noch mit Euch machen werden“, setzte er trocken hinzu. „Ich denke, im Wasser zu erfrieren, ist der bessere Tod.“ Damit wandte er sich ab und schritt voran, in der Gewissheit, dass sie ihm folgen würde.

      „Bastard“, zischte Krystina ihm leise nach.

      „Glaubt mir, man hat mich schon schlimmer betitelt. Außerdem trifft dieser Umstand sowieso nicht zu, da mein Vater mit meiner Mutter verheiratet war, als ich das Licht der Welt erblickte“, antwortete Falk unbeeindruckt, ohne sich umzusehen. Nach einem Moment hörte er ein leises Platschen hinter sich, das davon zeugte, dass seine Frau ihm nun doch ins Wasser gefolgt war. Krystina sog scharf die Luft ein, als die Kälte des Wassers ihr in die Füße schnitt. Dieser Mistkerl hatte Recht. Wenn sie in die Hände ihrer Verfolger geriet, würde das für sie bestimmt nichts Gutes verheißen. Denn als vermeintliche Tochter des Henkers war sie Freiwild und keiner würde auch nur im Geringsten an ihrem Schicksal Anteil nehmen. Dennoch grollte sie ihm. Sie hatte ihr eigenes Leben praktisch aufgegeben, nur um das seine zu retten. Doch hatte er ihr bisher wenig dafür gedankt. Ihr schien es eher, als wäre sie für ihn nur eine Last, die er notgedrungen mit sich herumschleppen musste. Nun ja, sie musste zugeben, dass er ohne sie sicher schneller vorankommen würde. Dennoch hatte sie gehofft, einige Worte des Dankes von ihm zu hören. Jetzt war ihr Schicksal untrennbar mit dem seinem verbunden. Für sie gab es kein Zurück mehr. Also musste sie ihm wohl oder übel folgen, ganz gleich, wohin er ging.

      Um sich von der Kälte, die mittlerweile von ihrem ganzen Körper Besitz ergriffen hatte, abzulenken, ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. Sie sah sich als Fünfzehnjährige in der Burg ihres Wohltäters. Als sie vor ungefähr fünf Jahren Falk zum ersten Mal erblickte, war sie von seiner Erscheinung ziemlich beeindruckt. Allerdings wirkte ihr der Ritter sehr unterkühlt und ein wenig eingebildet. Seine hochgewachsene Gestalt überragte die anderen Männer im Raum um Haupteslänge und er schien mit seiner bloßen Anwesenheit das Gemach auszufüllen. Sein breiter Rücken und seine kräftigen Arme zeugten davon, dass er es wohl verstand, mit dem Schwert umzugehen und sicher einen Großteil seiner Zeit damit verbrachte, zu kämpfen. Seine tiefe Stimme sandte ihr damals einen Schauer über den Rücken. Das Sonnenlicht fiel auf sein langes schwarzes Haar und ließ es silbern aufschimmern. Die leicht gewellten Strähnen hatte er mit einem ledernen Band locker zurückgenommen, so dass die Konturen seines Gesichtes deutlich zur Geltung kamen. Eine gerade Nase dominierte sein Antlitz, sein großer Mund wies jedoch einen bitteren Zug auf, und ließ ihn unnahbar erscheinen. Aber das Faszinierendste waren seine Augen gewesen, von einem unergründlichen blau, wie zwei tiefe Bergseen. Doch trotz der Kälte, die er ausstrahlte, hatte sie sich vom ersten Moment zu ihm hingezogen gefühlt, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wusste, wer er war. Später fragte sie die Gemahlin Friedrichs von Chomotau, wer der Ritter sei. Als sie dann seinen Namen erfuhr, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als ihm endlich ihren Dank aussprechen zu können, denn ihr ganzes Leben hatte sie sich mit dem Gedanken getragen, dass es irgendwo da draußen einen Menschen gab, der einst ihre Mutter vor dem Tod bewahren wollte und selbst schwer dafür gebüßt hatte. Aber Falk bemerkte sie nicht, schenkte ihr kein einziges Mal auch nur einen Blick. Zudem weilte er selten auf der Burg seines Onkels. Oft hörte sie von ihm, wenn sich Friedrich mit seinen Männern unterhielt. Dann rühmte er die Taten seines Neffen als die eines großen Kriegers und sie erging sich in Tagträumen, in denen der Ritter sie bemerkte und ihr freundlich zulächelte. Und jetzt war sie seine Frau...

      Jäh aus ihren Träumereien erwachend, wurde sie sich der Tatsache bewusst, dass es genau dieser Falk von Schellenberg war mit dem sie nun für den Rest ihres Lebens verbunden war. Doch hatte er wahrlich nichts mehr von dem strahlenden Ritter an sich, den sie sich in ihren Gedanken so oft ausgemalt hatte. Als sie von seiner Verurteilung erfuhr, war es eher ein spontaner Einfall gewesen, ihm irgendwie das Leben zu retten. Sie konnte es nicht ertragen, dass seine schimmernde Rüstung einen Kratzer abbekam. Aber als sie Falk dann wiedersah, hätte sie ihn fast nicht erkannt. Gebrochen, schmutzig und ohne jede Regung stand er auf dem Blutgerüst und wartete auf seinen Tod. Ohne Überlegung warf sie sich dem Henker zu Füßen, nur von dem Gedanken beherrscht, diesem Mann zu helfen. Von dem Moment an war ihr Leben ein anderes geworden. Langsam drang es in ihr Bewusstsein, dass sie jetzt mit dem Ritter ihrer Träume auf der Flucht vor den Häschern des Todes war. Nie wieder würde sie Krystina von Hauenstejn sein, die sich im Gefolge der Frau von Chomotau ihren Fantasien hingab. Die bittere Realität hatte sie eingeholt.

      Krystina richtete ihren Blick nach vorn. Falk stapfte einige Meter vor ihr durch das eisige Wasser, dass ihm nicht das Geringste anzuhaben schien. Ihre Unaufmerksamkeit ließ sie über einen Stein stolpern und sie fiel auf die Knie. Ihr Schmerzenslaut veranlasste Falk, sich umzudrehen. Seine junge Frau stützte sich mit den Händen ab und versuchte wieder auf die Beine zu kommen. Ihre ohnehin schon feuchten Kleider waren nun vollständig durchnässt und verhinderten durch ihr Gewicht, dass sie sich aufrichten konnte. Falk ging die wenigen Schritte zu ihr zurück, um ihr aufzuhelfen. Doch sie schlug seine Hand beiseite. „Lasst mich in Ruhe“, zischte