Julia Fromme

Ehre und Macht


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Kühle riss ihn aus dem Schlaf. Instinktiv zog er die junge Frau wieder fest an sich.

      „Falk“, wisperte sie. „Lasst mich los. Ihr erdrückt mich.“

      „Übertreibt Ihr da nicht ein wenig?“, fragte er mit vom Schlaf heiserer Stimme. Doch ließ er sie auch nicht los. Ergeben seufzend entspannte sie sich etwas. Er war schließlich ihr Gemahl, also konnte er sie auch an sich drücken. Außerdem fühlte es sich gut an, gestand sie sich ein.

      „Was meint Ihr, ob es schon Morgen ist?“, fragte sie.

      „Keine Ahnung, den Hahn habe ich noch nicht krähen gehört.“

      „Wie auch?“, antwortete sie lachend. „Bis eben habt Ihr fest geschlafen.“

      „Und warum habt Ihr mich dann geweckt?“, beschwerte sich Falk.

      „Vielleicht sollten wir die Burg lieber vor Tagesanbruch verlassen. So bemerkt keiner, dass wir gegangen sind und kann hernach auch nicht sagen, wo wir geblieben sind.“

      „Ihr habt Recht“, sagte Falk und schob Krystina von sich. Sie fröstelte. Falk erhob sich und zog Krystina mit sich auf die Füße. Sie schaute sich suchend um.

      „Wo sind meine Stiefel?“, fragte sie erschrocken.

      „Ich habe sie zum Trocknen an den Herd gestellt. Vielleicht haben wir Glück, und sie sind noch da“, fuhr er in neckendem Ton fort, in den sich allerdings ein leises Unbehagen mischte, als er die Möglichkeit in Erwägung zog, dass jemand das Schuhwerk gestohlen haben könnte. Abrupt ließ er Krystina los und rannte in die Küche. Vor Erleichterung stieß er die Luft aus, die er unbewusst angehalten hatte. Noch schlief der gesamte Haushalt, und seit dem Abend war anscheinend keiner mehr hier gewesen. Er nahm die Stiefel und ging zurück in die Kammer.

      „Da hatten wir wohl Glück, was?“, sagte Krystina mit leichtem Spott in der Stimme.

      Falk warf ihr einen anklagenden Blick zu, den sie geflissentlich ignorierte.

      „Wisst Ihr, wo hier...“ Röte kroch ihr ins Gesicht. Krystina verspürte ein dringendes Bedürfnis, schämte sich allerdings, Falk nach den Latrinen zu fragen. Doch die Natur ließ sich nicht überlisten.

      „Wenn Ihr den Abtritt meint, der ist gegenüber auf der anderen Seite des Hofes. Aber passt auf, dass Euch der Wächter nicht sieht.“

      „Oh“, machte seine Braut nur.

      Falk merkte sehr wohl, dass es ihr unangenehm war, doch falsche Schamgefühle waren ihm fremd. „Ihr könnt natürlich auch gleich um die Ecke auf den Dunghaufen gehen“, schlug er ihr vor. Krystina streifte sich den Surkot über den Kopf, denn mit Sicherheit würde es draußen kalt sein. Noch von der Wärme des Schlafes verwöhnt, wandte sie sich leicht fröstelnd, sich jeglichen Kommentar verkneifend, ab und verließ die Kammer. Falk folgte ihr, denn auch er verspürte Bedürfnisse, doch wählte er den kürzeren Weg.

      Krystina schlich sich über den Hof, bedacht, ja kein Geräusch zu verursachen. Sie dankte Gott im Stillen dafür, dass Vollmond war, und sie erkennen konnte, wohin sie gehen musste. Sie mochte gar nicht daran denken, wie sie sonst den Weg gefunden hätte. Allerdings konnte sie so womöglich auch der Wächter sehen und sie hielt sich im Schatten der Mauer. Die Tür zum Abtritt machte ein knarrendes Geräusch, dass in ihren Ohren wie die Trompeten von Jericho schallte. Ängstlich schaute sie sich um, konnte in der Dunkelheit allerdings niemanden ausmachen. Nach wenigen Augenblicken begab sie sich wieder auf den Rückweg, nur um vor der Tür zur Küche Falk in die Arme zu laufen. Noch immer war es still ringsumher, es mochte sehr früh sein und die Burgbewohner schienen alle noch zu schlafen.

      Falk hielt die Tür zur Burgküche auf, damit sie hindurchschlüpfen konnte. „Schnell, holen wir unsere Sachen, bevor hier alles zum Leben erweckt. Der Mond wird uns den Weg leuchten. Wir haben Glück und können schon ein gutes Stück vorangekommen sein, bevor Miros Schergen aus ihren Betten finden. Doch ich bezweifle, dass sie uns hier auf Vildstejn vermuten. Es liegt zu weit ab von unserer Route.“

      „Und die Hunde gestern? Das war gar nicht Miro?“, fragte sie. „Heißt das, wir sind ganz umsonst in den Bach gestiegen?“

      „Besser umsonst nasse Füße als tot“, konterte er gereizt.

      „Nun, dass wissen wir noch nicht“, gab sie schnippisch zurück. „Wahrscheinlich haben wir uns das Lungenfieber geholt, das uns auch dahinraffen wird.“

      „Das können wir diskutieren, wenn es soweit ist“, beendete Falk den Disput. Unbehaglich zog Krystina ihren Surkot über der Brust zusammen, denn sie hatte das dumpfe Gefühl, als spürte sie ein leises Kratzen im Hals.

      Schnell klaubten sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, die jetzt um zwei Umhänge reicher geworden waren. Sie hüllten sich darin ein. In der Küche griffen sie nach dem Brot, dass vom Vorabend noch in einem Korb lag. Auch einen Schinken, der zum Trocknen an einer Stange unter der Decke hing, ließ Falk ohne Skrupel mitgehen.

      „Schauen wir zu, dass wir Land gewinnen.“

      Doch Krystina hielt abrupt inne. „Und wie kommen wir aus der Burg heraus, ohne dass der Wächter uns sieht?“, fragte sie mit bebender Stimme.

      „Keine Sorge“, beruhigte sie Falk. „Ich war als Knabe oft hier auf der Burg. Ludeks Vater war ein Freund meines Onkels und hat mich häufig mit hierher genommen. Ludek und ich haben uns angefreundet und sind tagelang durch die Mauern der Burg gestreift. Glaubt mir, ich kenne hier jeden Stein.“ Ohne weitere Worte zu verlieren, zog er sie mit sich. An der Mauer unweit des Küchengebäudes konnte Krystina die Umrisse einer Pforte erkennen. „Wollen wir da hinaus?“, flüsterte sie. „Was ist, wenn die Tür abgeschlossen ist?“

      „Müsst Ihr immer alles hinterfragen?“, gab Falk ungehalten zurück. „Das nervt langsam. Vertraut Ihr mir so wenig?“ Falk sog tief die Luft ein. „Aber, wenn es Euch beruhigt“, fuhr er dann fort, „ich weiß, wo der Schlüssel ist. Denn es soll ja nur keiner hereinkommen, hinaus hingegen schon.“ An der Mauer angekommen, streckte Falk sich und fuhr mit der Hand über den Sims der Pforte. „Ah, wusste ich es doch. Es hat sich nichts geändert!“ Triumphierend hielt er ihr einen großen Schlüssel unter die Nase. Krystina lächelte. Es dauerte einen Moment, bevor Falk das von Wind und Wetter eingerostete Schloss aufbekommen hatte. Doch dann gab die Tür nach und sie gelangten in einen kleinen Hof. Der Ritter hielt auf eine ebenerdige Luke zu, die zu einem Vorratskeller zu führen schien.

      „Da hinein“, raunte Falk und wartete, dass Krystina durch den Spalt kroch, den er ihr aufhielt. Dumpfe, feuchte Luft schlug ihnen entgegen. Krystina glitt leicht aus und ruderte hilflos mit den Armen in der Luft. Doch bevor sie einen Laut von sich geben konnte, packte Falk sie schon am Handgelenk und zog sie hinter sich her ins Dunkel.

      „Es ist nicht weit, nur ein paar Meter, dann kommen wir jenseits des Grabens heraus.“

      In der Tat sah Krystina nach kurzer Zeit schon den Schein des ersten Tageslichtes schimmern. Falk hatte am Ende des Tunnels eine weitere kleine Luke aufgestoßen. Sie schlüpfte hindurch. Schnell rannten sie durch dichtes Gestrüpp den Abhang hinunter. Krystina drehte sich nochmals zu den trutzigen Mauern der Burg um.

      „Wenn die Feinde Eures Freundes wüssten, wo die Schwachstelle in der Mauer ist...“ Sie ließ ihren Satz unvollendet.

      „Nun, bisher hat sie noch niemand entdeckt. Ich will hoffen, dass es auch in Zukunft so bleibt.“ Krystina entging nicht der warnende Unterton in Falks Stimme.

      Kapitel 4

       Louny

       November 1209

      Ein heftiger Schneesturm peitschte gegen die geschlossenen Läden. In diesem Jahr hatte der Winter über Nacht bereits zeitig Einzug gehalten. Miro hockte zusammengesunken in einen großen Lehnstuhl in der Halle seiner Veste und starrte finster in die Flammen, die im Kamin vor ihm hoch aufloderten. Er nahm einen Krug vom nahen Tisch und schenkte sich seinen Pokal voll. Das Silber des Bechers reflektierte den Schein