Julia Fromme

Ehre und Macht


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sagte er, „es war nicht meine Absicht, Euch zu erschrecken.“ Krystina senkte den Kopf.

      „Nun kommt. Wir müssen weiter. Vielleicht haben wir Glück und Miros Schergen suchen doch woanders nach uns.“ Er trat mit den Füßen das Feuer auf und scharrte etwas Erde darüber, damit es nicht gleich entdeckt werden würde.

      Langsam erhob sich Krystina. Ihr Kopf schmerzte. Falk hatte Recht. Sie konnte nicht allein hier zurückbleiben, das wäre ihr sicheres Todesurteil. Aber wenn sie so recht darüber nachdachte, war es ja eigentlich seine Schuld, dass sie krank war. Denn er hatte sie gezwungen, in dem eiskalten Wasser des Flusses zu waten. Fast wünschte sie sich, dass Gott sie zu sich nahm, nur um sich zu rächen. Doch dann sah sie, wie kindisch ihre Gedanken waren. Sie schob es auf ihren geschwächten Zustand.

      „Gehen wir“, sagte sie und wollte an Falk vorbeischlüpfen. Doch er hielt sie am Arm fest.

      „Wartet, legt noch die Decke um, bis ihr warm geworden seid.“ Sie ließ ihn gewähren als er ihr den dünnen Überwurf um die Schultern legte. Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich aus dem Dickicht heraus. Langsam schritt er voran, immer darauf bedacht, sie nicht zu überanstrengen. Ihre Hand ließ er nicht los. Nach etwa einer halben Stunde hielt er an. Er führte sie zu einem großen dicken Baum, unter den der Schnee noch nicht vorgedrungen war. „Ruht Euch ein wenig aus. Ihr müsst Eure Kräfte einteilen“, drängte er sie, als sie protestieren wollte. Nach einer kleinen Weile liefen sie weiter, bis zur nächsten Rast. Sie waren ein ganzes Stück gegangen, als sich der Wald lichtete. Sie standen am Rande eines kleinen Abhanges. Im Tal drängte sich etwa ein halbes Dutzend strohgedeckter Hütten wie Küken einer Glucke um eine winzige hölzerne Kapelle.

      „Lasst uns da hinuntergehen, vielleicht erbarmt sich einer der Bauern unsrer“, schlug Falk vor. „Sie werden in uns keine Bedrohung sehen“, ergänzte er mit einem schiefen Lächeln.

      Als sie sich dem ersten Zaun näherten, fing ein Hund an, zu bellen. Krystina fuhr erschrocken zusammen, doch Falk drückte beruhigend ihre Hand. Die Tür der Kate, zu welcher der kleine Garten gehörte, wurde vorsichtig geöffnet. Eine ältere Frau schob ihren Kopf ein wenig durch den Spalt, um zu sehen, was der Grund dafür war, dass der Köter angeschlagen hatte. Ihr Haupt war von einem braunen Tuch verhüllt. Ein paar Strähnen ihres grauen Haares, die aus der Kopfbedeckung gerutscht waren, fielen ihr ins Gesicht. Als sie die beiden abgezehrten und zerlumpten Gestalten sah, hob sie drohend ihre geballte Faust. „Seht, dass ihr weiterkommt, ihr Diebsgesindel“, schrie sie und wollte die Tür zuschlagen.

      „Warte, gute Frau“, rief Falk voller Verzweiflung. Die Alte zögerte, hatte er doch in der Sprache der Slawen zu ihr gesprochen.

      „Was wollt ihr?“, fragte sie barsch, ohne die Tür weiter zu öffnen.

      „Bitte, gib uns ein Lager für die Nacht“, begann Falk. “Mein Weib ist krank und schwach. Zulange sind wir schon unterwegs. Der Grundherr hat uns davongejagt, weil meine Frau ihm nicht zu Willen war.“ Flehend schaute er sie an. Mein Gott, dachte er, wie tief bin ich gesunken, dass ich mich für einen armen Teufel ausgeben muss. Der ich ja eigentlich auch bin, setzte er in Gedanken hinzu.

      Die Frau schien Mitleid zu bekommen. „Da drüben in dem Schuppen könnt ihr unterkriechen“, sagte sie und wies auf ein windschiefes, kleines Gebäude, das wohl als Holzlager und Ziegenstall diente. Doch Falk war froh, dass sie überhaupt Unterschlupf gefunden hatten. Die Hauptsache war, dass seine Frau noch eine Nacht ausruhen konnte und dabei wenigstens ein Dach über dem Kopf hatte, welches sie vor Wind und Wetter schützte.

      „Danke, gute Frau“, antwortete er bescheiden. „Vielleicht hast du noch einen Schluck Wasser und etwas Brot für mein Weib. Wir haben seit Tagen nichts gegessen. Sie ist guter Hoffnung und geschwächt durch ihren Zustand“, fügte er hinzu. Er warf Krystina einen kurzen Blick zu. Doch nichts deutete darauf hin, dass sie verstand, was er zu der Frau sagte.

      Nun war die Alte aus der Hütte getreten. Um ihre mageren Schultern hatte sie ein zerfranstes Tuch geschlungen und ihre ärmliche Kleidung zeigte den beiden, dass hier sicher nicht viel zu erwarten war. Die Frau musterte Krystina eingehend.

      „Nun gut, ich gebe euch noch etwas zu essen, auch wenn ich selbst nicht viel habe.“ Bald darauf kam sie mit einem Krug Wasser und einer hölzernen Schüssel voller Gerstenbrei zurück.

      „Morgen früh seid ihr wieder verschwunden. Ich habe nichts zu verschenken“, sagte sie barsch. Falk nickte.

      „Danke. Der Herrgott wird es dir vergelten.“ Als er Krystina mit sich in Richtung des Schuppens ziehen wollte, sank sie erleichtert gegen ihn. Ihre Kräfte waren am Ende. Falk hob sie hoch und trug sie in den Verschlag. Dort setzte er sie ins Stroh. Eine kleine Ziege kam neugierig näher und beschnupperte Krystina. Vorsichtig streichelte sie das Tier, das ein leises Meckern von sich gab. Bald kamen noch weitere und schauten, ob vielleicht eine Fuhre saftigen Heus gebracht worden war. Die Ziegen erschienen Falk wie ein Geschenk des Himmels. Nicht nur, dass sie ihnen ein wenig von ihrer Wärme abgaben. Auch war eine Geiß unter ihnen, und er würde später versuchen, ihr ein wenig Milch abzunehmen. Zwar hatte er noch nie ein Tier gemolken, aber so schwer konnte es ja nicht sein.

      Das Krähen eines Hahnes weckte Falk. Noch war die Morgendämmerung nicht angebrochen. Schnell nahm er das hölzerne Gefäß und näherte sich der Geiß. Nach einigen Versuchen, die sich das gutmütige Tier gefallen ließ, gelang es ihm, ein wenig Milch aus ihren Zitzen zu pressen. Dann schlich er zurück zum Lager. Er lauschte den Atemzügen seiner schlafenden Frau. Sie atmete leicht und keine rasselnden Geräusche waren zu hören. Auch wenn es ihm schwerfiel, berührte er sie sanft am Arm, um sie zu wecken. Krystina schlug die Augen auf und schaute Falk verwirrt an.

      „Wie geht es Euch?“, fragte er besorgt.

      „Ich weiß nicht so recht“, antwortete sie. „Aber das Fieber scheint verschwunden zu sein. Auch tut mein Hals kaum noch weh, vielleicht habe ich es überstanden.“

      Falk befühlte kurz ihre Stirn. Sie war kühl. Dann langte er hinter sich und hielt ihr die hölzerne Schüssel hin. „Euer Frühstück“, sagte er.

      Krystina staunte nicht schlecht, als sie die Milch erblickte, nicht viel, aber immerhin genug, um einen großen Schluck davon zu haben.

      „Wo habt Ihr das her?“, fragte sie verwundert. „War die Alte noch einmal hier?“

      „Nein, ich habe mich als Bauer versucht“, sagte er augenzwinkernd.

      „Ihr habt wahrlich viele Talente“, sagte Krystina mit einem verschmitzten Lächeln. „Nicht nur, dass Ihr die slawische Sprache dieser Gegend hier beherrscht, sprecht Ihr auch noch mit Engelszungen und überzeugtet das Weib davon, dass ich ein Kind erwarte. Und nun könnt Ihr auch noch melken, um Eurer schwangeren Frau die notwendige Nahrung zu beschaffen.“

      Falk merkte, dass er rot anlief. Das war ihm nicht passiert, seit ihm als Jüngling von einer reiferen Frau die Unschuld genommen worden war.

      „Macht Euch nichts daraus. Ich danke Euch, Ihr habt mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Was bedeutet da so eine kleine Notlüge.“ Sie nahm ihm die Schüssel aus der Hand und trank. Dann reichte sie ihm das Gefäß zurück.

      „Danke, für alles“, wiederholte sie. „Und nun trinkt, Ihr müsst etwas zu Euch nehmen. Auch Ihr braucht Eure Kräfte.“

      Falk wollte protestieren, doch Krystina ließ ihn nicht zu Wort kommen und hielt ihm die Schüssel an die Lippen.

      „Trinkt“, befahl sie mit fester Stimme und sah ihn strafend an. Er lächelte und nahm ihr das Gefäß aus der Hand, wollte von der kostbaren Flüssigkeit nichts verschütten.

      Im Osten zeigte sich das erste Morgenrot. Heute würde die Sonne scheinen. Vielleicht gelang es ihnen, den Pass zu erreichen, der sie über das Gebirge brachte.

      Kapitel 5

       Chomotau

       November 1209

      Friedrich