Julia Fromme

Ehre und Macht


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Haken gab. Denn sein Cousin hatte sich seiner gemeinen Rache vorerst entzogen. Falk, dieser Spross eines mächtigen Ministerialen des Kaisers, der edle Ritter, der das Herz von Franteks Vater an sich gerissen hatte, um es ihm, wie er sich einredete, samt dem zu erwartenden Erbe wegzunehmen. Dass es seine eigene selbstsüchtige und niederträchtige Art war, die seinen Vater dazu veranlasste, seinen Neffen Falk zu bevorzugen, darauf kam Frantek nicht.

      Feindselig starrte er seinem Vater entgegen. „Wenn du meinst, dass mein ach so lieber Vetter bald seine gerechte Strafe erhalten wird für sein räuberisches Treiben, dann ja, dann hatte ich Erfolg“, sagte er selbstgefällig.

      Friederich schnaubte. „Soviel mir bekannt ist, hat sich Falk seiner Ermordung entzogen“, antwortete er. „Oder gibt es etwas, wovon ich noch nichts weiß?“, setzte er provokant hinzu.

      „Ihr wisst vieles nicht, Vater. Zum Beispiel, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis Miros Leute den Hurensohn wieder eingefangen haben.“

      „Wenn du dir da mal nicht allzu sicher bist“, antwortete Friedrich ohne jeden weiteren Kommentar. Unsicher sah Frantek seinen Vater an. Wusste der etwas, was ihm selbst noch nicht bekannt war? Sein Blick fiel auf den abgerissenen jungen Burschen, der auf einem Schemel vorm Kamin hockte und ihn interessiert musterte. Doch hatte er diesen noch nie gesehen. Wer weiß, vielleicht war es nur wieder eine arme Seele, die das Mitleid seines edlen Vaters erregt hatte.

      Frantek stellte seinen Weinbecher auf der Anrichte ab und flegelte sich auf einen Lehnstuhl unweit des Feuers. Er legte seine Beine überkreuz auf den nahen Tisch und sah seinen Vater herausfordernd an.

      „Ich würde an Eurer Stelle vorsichtiger sein bei der Wahl meiner Freunde. Falk ist ein Taugenichts, der den Vater des Gaugrafen heimtückisch ermordet hat. Er verdient den Tod“, sagte er selbstgerecht.

      „Was weiß du schon von den Vorkommnissen vor fast zwanzig Jahren? Du warst damals ein Kind und hingst noch an der Mutterbrust. Ich rate dir, dich zu besinnen. Du bist mein Sohn. Und ich erwarte von dir, dass du dich deiner Familie gegenüber loyal verhältst. Auch Falk, der Sohn meiner Schwester – deiner Tante - gehört dazu.“

      „Meine Loyalität gehört meinen Freunden, die mich zu schätzen wissen“, entgegnete Frantek überheblich.

      Friedrich entfuhr ein bitteres Lachen. „Dann befolge deinen eigenen Rat. Sieh dir die Leute genauer an, die du deine Freunde nennst. Und jetzt scher dich aus meiner Halle. Ich habe wichtige Geschäfte zu erledigen. Mir ist es gleich, wo du dich verkriechst, ich will dich hier nicht mehr sehen. Du hast deine Familie hintergangen. Damit hast du auch deiner Mutter das Herz gebrochen. Sie liebt dich leider trotzdem, doch machst du es ihr nicht gerade leicht. Erst wenn du weißt, wo du wirklich hingehörst, wirst du hier wieder willkommen sein.“ Damit wandte sich Friedrich dem Kamin zu.

      Wutentbrannt erhob sich Frantek. Doch wagte er es nicht, seinem Vater entgegenzutreten, immer noch war dieser der Herr der Burg. Er warf nochmals einen Blick auf den Jungen, an dem sein Vater sichtliches Interesse hatte. Wer weiß, vielleicht war es ratsam, zu verfolgen, was der Bursche hier wollte. Er hob seinen Umhang, den er achtlos auf den Boden hatte fallen lassen, auf. Mit schnellen Schritten verließ er die Halle und schlug die Tür mit einem lauten Krach hinter sich zu.

      „Das hätten wir geklärt“, murmelte Friedrich. „Und nun zu dir, mein Junge“, wandte er sich an Andris.

      Kapitel 6

       Prag

       November 1209

      Das Donnern der Hufe hallte auf den steinernen Platten der Judithsbrücke wider. Nach drei Tagen hatte Friedrich zusammen mit seinen Männern den Königshof in Prag erreicht. Er sehnte sich danach, endlich aus dem Sattel herauszukommen. Seine müden Knochen waren für derartige Unternehmungen, wie er sie seit Monaten durchmachen musste, nicht mehr gebaut. Die Nachricht von der geplanten Hinrichtung seines Neffen hatte ihn bei seiner Rückkehr von einer weitreichenden Mission für den böhmischen König Premysl, oder besser Ottokar, wie er sich nur noch ausschließlich nannte, in Chomotau erreicht. Sofort war er nach Louny geeilt, nur um zu sehen, dass er hier nichts ausrichten konnte. Jetzt saß er bereits wieder seit drei Tagen auf dem Rücken eines Pferdes. Das Schicksal Falks lag wie eine schwere Last auf seiner Brust. Es musste ihm gelingen, Ottokar von dessen Unschuld zu überzeugen. Trotz seiner häufigen Wankelmütigkeit den deutschen Fürsten gegenüber, hatte der König stets das Wohl der böhmischen Lande im Visier gehabt. Alle seine Entscheidungen standen unter diesem großen Ziel. Endlich war etwas Ruhe eingekehrt im deutschen Reich. Der Welfe Otto war seit einigen Monaten Kaiser und hatte den Premysliden in seiner Königswürde endgültig bestätigt. Damit verbunden war das Recht, die Krone immer auf den ältesten lebenden Sohn zu übertragen.

      Die Reiter erreichten das Ende der Brücke und passierten das Judithstor. Langsam kämpften sich die ebenfalls ermüdeten Pferde den steilen Burgberg hinauf. Das Areal der Königsburg war größer als alle Festungen, die Friedrich von seinen weiten Reisen her kannte. Seit über einem halben Jahrhundert erhob sich hoch oben über der Moldau ein mächtiges steinernes Bollwerk, das bereits der Großonkel Ottokars, Herzog Sobeslav anstelle der hölzernen Burg aus der Zeit der ersten Premyslidenfürsten errichtet hatte. In den letzten Jahrzehnten waren auch die Mauern aus Holz und Lehm mit mächtigen Steinquadern verblendet worden. Links und rechts des Weges standen etliche kleinere Häuser oder Hütten, die meisten aus Holz oder in mit Lehm verputztem Fachwerk errichtet. König Ottokar unterhielt einen großen Hofstaat. Viele meinten, dass er sogar den des Kaisers übertraf, denn dieser zog mit seinem gesamten Tross immerwährend von Ort zu Ort, wo er sich dann nur wenige Wochen oder Monate aufhielt. Prag dagegen war seit Jahrhunderten ein fester Herrschersitz. Seit einigen Jahren siedelten sich hier viele Handwerker und Händler an, denen ein gutes Auskommen beschert war. Ihr Reichtum vermehrte sich, und nach und nach entstanden auch steinerne Häuser unterhalb des Burgberges. Direkt am Moldauufer lebten noch slawische Bauern, was wiederum den Vorteil hatte, dass die Versorgung der Burg durch Abgaben und Frondienste gesichert war. Doch mussten im Laufe der Zeit etliche weichen, weil die Stadt in alle Richtungen wuchs. Auch auf der anderen Seite der Moldau gab es eine rege Bautätigkeit. Es waren zahlreiche Handwerker, Kaufleute und Händler als Kolonisten aus deutschen Gebieten hierhergekommen. Sie wurden von den einheimischen Fürsten gefördert und so verbreiteten sich rasch deren Fertigkeiten und Künste im ganzen Land. Auch Künstler und Gelehrte zog es in den Bann des böhmischen Königshauses, so dass der Hof der Premysliden bald einer der glanzvollsten in Europa war. Prag entwickelte sich rasch zu einem Zentrum von Alchemie, Theologie, Medizin und Naturwissenschaften, aber auch zu einem Ort, wo höfische Dichtung und Minnesang gefördert wurden. Die deutsche Sprache etablierte sich zur Hofsprache.

      Friedrich und seine Begleiter ritten über die Zugbrücke, welche das eigentliche Areal der Burg mit der Vorburg verband. Das große Tor stand weit offen, wurde allerdings von einer Schar schwerbewaffneter Männer streng bewacht. Sie fragten die Ritter nach ihrem Begehr. Dann geleitete sie einer der Wächter weiter in einen zweiten Burghof. Die Männer banden ihre Pferde an den dafür bereitstehenden Stangen in der Nähe eines großen Stallgebäudes fest. Friedrich packte einen vorübereilenden jungen Pferdeknecht am Ärmel. Er war ihm einen Heller zu. „Sorge dafür, dass unsere Pferde trockengerieben werden und Hafer sowie Wasser bekommen. Dann bewachst du die Tiere. Ist alles zu meiner Zufriedenheit, erhältst du einen weiteren Heller.“ Noch nie hatte der Junge solchen Reichtum in den Händen gehalten. Er verbeugte sich ehrerbietig und eilte, den Wünschen des Ritters nachzukommen. Friedrich waren seine Pferde viel mehr wert als zwei kleine Silbermünzen. Er schaute dem Jungen mit einem Schmunzeln hinterher.

      Friedrich weilte nicht das erste Mal in Prag und kannte sich in den Gemäuern recht gut aus. Er wies seine Begleiter an, auf ihn zu warten und ging auf ein weiteres Tor zu, das ihn in einen dritten, noch größeren Hof brachte. Hier herrschte reges Treiben, Menschen aus allen Teilen des Landes mussten an diesem Ort versammelt sein. Ein paar Händler boten an Ständen ihre Waren feil. In einer Ecke gab es eine Art Taverne, auf deren Bänken sich durstige Gäste dicht an dicht reihten. Dominiert wurde der Platz von einer großen dreischiffigen Basilika, welche an ihrer südlichen Seite mit einer Rotunde abschloss. Der