Julia Fromme

Ehre und Macht


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verband Kirche und Palas und bildete zugleich eine Art Abgrenzung zum hinteren Teil des Hofes. Das Innere der Burg hatte eher den Charakter einer Stadt als eines Palastes. Hinter dem Haus des Königs erstreckten sich weitere zahlreiche Gebäude, welche von einem Gewirr von Gassen voneinander getrennt wurden.

      Friedrich betrat die Eingangshalle des Königspalastes. Dutzende von Menschen schienen hier auf eine Gelegenheit zu warten, einen der Vertrauten oder gar den König selbst sprechen zu können. Die Räume Ottokars befanden in dem Stockwerk über der Halle. Am Fuße der Treppe standen zwei Wächter, die jeden Unbefugten daran hinderten, nach oben zu gelangen, es sei denn, sie waren in Begleitung eines Sekretärs des Königs.

      Friedrich sah sich in der Halle um. Da erspähte er am anderen Ende des Raumes Heinrich von Neuhaus. Heinrich gehörte zu den engsten Beratern des Königs. Anders als sein Erzrivale Dlugomil von Strakonicz, versuchte er immer auf diplomatische Art und Weise Konflikte zu lösen, was ihn für den hitzköpfigen König unentbehrlich machte. Meistens gelang es dem Hofmarschall, den König zu vernünftigen Entscheidungen zu bewegen, während Dlugomil, der seinem Herrscher zwar bedingungslos ergeben war, aus dem Bauch heraus urteilte, was sich im Nachhinein oft ungünstig auf Ottokars Politik auswirkte.

      Heinrich war in ein Gespräch mit einem Gesandten des Kaisers vertieft. Das konnte Friedrich unschwer an den Farben des Mantels des Mannes erkennen, auf dessen rot-goldenen Stoffbahnen ein großer blauer Löwe prangte. Der Ritter näherte sich den beiden unauffällig und stellte sich an eines der Fenster, das zum Innenhof hinausging. Hier wollte er den richtigen Moment abwarten, um Heinrich ansprechen zu können. Nach etwa zehn Minuten verbeugte sich der Gesandte und wandte sich dem Ausgang der Halle zu. Heinrich drehte sich um und lief in Richtung der Treppe zum Obergeschoss. Friedrich sah seine Chance gekommen. Wenn er jetzt nicht handelte, würde er niemals zum König gelangen. Schnell schritt er in einem Bogen um den Hofmarschall herum, um ihn von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten zu können. Als dieser Friedrich auf sich zueilen sah, verharrte er kurz und ein nachdenklicher Ausdruck huschte über sein Gesicht. Schon wollte er weitergehen, da trat der Ritter ihm in den Weg und verbeugte sich.

      „Geehrter Herr, verzeiht, dass ich Euch aufhalte, aber ich bedarf Eurer Hilfe“, sprach er ihn ohne Umschweife an. Jetzt nützte es wenig, um den heißen Brei herumzureden. Entweder Heinrich war gewillt, ihm zuzuhören, oder Friedrich hatte verloren.

      Der Hofmarschall überlegte einen Augenblick, dann erhellte ein leichtes Lächeln seine Züge. „Friedrich von Chomotau!“, rief er erstaunt aus. „Ihr seht aus, als hättet Ihr ein Gespenst gesehen. Doch sagt, was führt Euch her? Wart Ihr nicht erst vor einigen Tagen hier am Königshof?“

      Erleichtert darüber, dass der hohe Beamte ihn erkannte und auch nicht gleich wieder abwies, ließ in Falks Onkel die Hoffnung aufkeimen, doch noch etwas erreichen zu können.

      „Edler Herr Heinrich, ich muss in einer sehr delikaten Angelegenheit zum König. Doch habe ich leider keinen Audienztermin. Das Dumme ist nur, die Sache duldet keinen Aufschub. Es geht um das Leben meines Neffen“, setzte er hinzu.

      „Nun, seine Majestät ist sehr beschäftigt. Ich glaube nicht, dass er Euch jetzt empfängt.“ Er überlegte kurz. „Doch sagt, war Euer Neffe nicht auch erst kürzlich hier am Hof? Ich meinte, ihn zusammen mit einigen Rittern gesehen zu haben.“ Friedrich schaute den Marschall erstaunt an. „Nun, Euer Neffe ist nicht so leicht zu übersehen. Er ist eine imposante Erscheinung. Und wer ihn einmal in Aktion erlebt hat, vergisst ihn sein Lebtag nicht wieder.“ Heinrich lachte laut.

      Friedrich war nicht zum Lachen zumute. Er hoffte nur, dass es keine negativen Erinnerungen an seinen Neffen waren, die der Hofmarschall hatte. „Ihr kennt meinen Neffen?“, fragte er deshalb vorsichtig.

      „Wer am Königshof kennt ihn nicht, nachdem er sich seinerzeit so tapfer bei der Belagerung Prags geschlagen hat. Wie ein Berserker hat er gekämpft und damit dem König das Leben gerettet, als der verschlagene Bretislav diesen in eine Falle lockte. Obwohl Euer Neffe noch sehr jung gewesen sein muss.“

      Nun, das war Friedrich alles bekannt. Zusammen mit Falk war er damals beim Heer Ottokar Premysls gewesen. Der Sohn Herzog Heinrichs des Löwen, Otto von Braunschweig, erhob damals Anspruch auf den deutschen Königsthron. Ottokar stand auf der Seite des Welfen, da dieser ihm weitreichende Versprechungen gemacht hatte, was die böhmische Herzogwürde anbelangte. Heinrich der Löwe war der Herzog von Schwaben und Bayern gewesen, bis Kaiser Barbarossa ihm diese Herzogtümer weggenommen und ihn ins Exil nach England getrieben hatte. Sein Sohn Otto meldete sich nach dem Tod von Barbarossa ältestem Sohn und Nachfolger, Kaiser Heinrich VI., mit Macht zurück und machte seine Ansprüche auf den deutschen Königsthron geltend. Unterstützt wurde er von vielen mächtigen Fürsten des Reiches, unter anderem auch dem böhmischen Herzogssohn Premysl Ottokar. Da auch Friedrich von Chomotaus Vorfahren Untertanen der Welfen gewesen waren, stellte er sich auf Seiten Ottos und damit auch Ottokars. Bei der Belagerung von Prag 1197 gehörte Friedrich mit seinen Männern zu denjenigen, die in einer Linie mit Ottokar kämpften. Sein junger Neffe Falk war bei ihm gewesen, da er zu der Zeit mit seinem Vater auf Kriegsfuß stand und gegen diesen rebellierte. Er war zu seinem Onkel nach Böhmen gekommen und hatte sich mit diesem zusammen dem Heer Ottokars angeschlossen. Den denkwürdigen Tag, an dem Falk dem späteren König von Böhmen das Leben rettete, würde auch er nie vergessen.

      „Aber wieso ist das Leben Eures Neffen bedroht?“, riss Heinrich ihn aus seinen Gedanken.

      „Weil er im Namen des Königs zum Tode verurteilt worden ist“, antwortete Friedrich bitter. „Doch die Ironie der Sache ist – der König wurde falsch unterrichtet und hintergangen.“

      „Das ist ja ungeheuerlich, was Ihr mir da erzählt. Und wann soll die Hinrichtung sein? Euer Kommen sagt mir, dass es noch nicht geschehen ist.“ Der Hofmarschall wartete gespannt auf Friedrichs Antwort.

      „Nun, was das anbelangt, ist die Gefahr im Moment erstmal gebannt. Meinem Neffen ist es auf wundersame Weise gelungen, dem Schafott zu entkommen. Doch heißt das nicht, dass sein Leben nicht weiterhin bedroht ist. Der Gaugraf von Louny hat es sich zur Aufgabe gemacht, meinen Neffen solange zu jagen, bis er ihn zu Tode gebracht hat. Dazu ist ihm jedes Mittel recht.“

      „Das klingt alles sehr verwirrend. Doch Friedrich, ich erinnere mich mit Wohlwollen an Euren Neffen. Vielleicht kann ich Euch darin unterstützen, ihm zu helfen. Ihr müsst mir die Geschichte ausführlich erzählen.“ Er überlegte einen kurzen Augenblick. „Am besten, Ihr begleitet mich in mein Kabinett. Der König wird Euch heute nicht mehr empfangen, aber ich gehe am Abend zu einer Besprechung zu ihm. Vielleicht kann ich ja ein Wort für Euren Neffen einlegen.“ Mit einer einladenden Geste wies er Friedrich von Chomotau an, ihm zu folgen. Sie stiegen die Treppe zu den Gemächern des Königs nach oben. Auf der Galerie angekommen, folgte Heinrich einem langen Korridor, an dessen Ende sich eine kleine niedrige Tür befand.

      „Tretet ein, mein Freund. Wollen wir einen Schlachtplan zu Rettung Eures Neffen entwerfen.“

      Krystinas Verkleidung war nicht gänzlich unentdeckt geblieben. Vor einigen Monaten war sie mit Friedrich von Chomotau zu Besuch auf Hauenstejn gewesen. Der Ritter hatte mit Kaspar einige lokalpolitische Details besprechen wollen und seine Frau und deren junge Schutzbefohlene mit auf die Reise genommen. Friedrich wollte dem Mädchen etwas Gutes tun, wusste er, dass sie nirgends so richtig zu Hause war. Mit ihrer offenen, herzlichen Art zu jedermann war sie den Leuten hier aufgefallen. Ein Knecht aus Hauenstejn hatte, ebenso wie Andris, das Mädchen auf den Marktplatz in Louny wiedererkannt. Er war zu seinem Herrn gelaufen, in der Hoffnung, für seine Mitteilung einen Lohn zu erhalten. Kaspar von Hauenstejn schäumte vor Wut. Zunächst beschimpfte er den Knecht, da dieser nicht sofort Alarm geschlagen hatte und wollte den armen Kerl von seiner Burg jagen. Doch dann fiel ihm rechtzeitig ein, dass der Knecht sich rächen und zum Gaugrafen laufen könnte. Es wäre äußerst unklug, Miro von Louny so schnell etwas von der Beteiligung seiner Nichte an der Befreiung Falks von Schellenberg wissen zu lassen. Er kannte das aufbrausende Naturell des Gaugrafen und hatte keine Lust, sich dessen Unmut auszusetzen. Zuerst musste er abwägen, was ihm eine Verbindung Krystinas mit einem Lehnsmann des Meißner Markgrafen einbrachte. Dass die Schellenberger seit vielen Jahren einflussreiche Ministerialen der Markgrafen waren und große Ländereien