Julia Fromme

Ehre und Macht


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verachten, zumal er sich als Bündnispartner bei eventuellen Streitigkeiten mit anderen Baronen noch als nützlich erweisen konnte. Eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Miro wollte Kaspar auch nicht riskieren. Wenn dieser ihm vorwarf, von den Plänen seiner Nichte gewusst zu haben, ohne sie zu verhindern, könnte es passieren, dass Miro mit seinen bewaffneten Männern in Hauenstejn einfiel.

      So kam Kaspar zu dem Schluss, sich zunächst einmal unwissend zu stellen und vorsichtig Erkundigungen über den Verbleib seiner Nichte einzuziehen. Vielleicht hatte Falk sie ja gar nicht auf seine Flucht nach Schellenberg mitgenommen, da sie ihn nur behindern würde. Eine junge hilflose Frau würde schnell in der Umgegend auffallen und dann konnte er sie unbemerkt wieder nach Hauenstejn bringen. Vorausgesetzt, sie lebte dann noch. Würde andererseits Falk sie bei sich behalten, könnte er den Schellenberger vielleicht erpressen und ihm als Gegenleistung dafür, dass er seine Nichte mit ihm fortgehen ließ, ein paar von dessen böhmischen Dörfern abschwatzen. Sollte der Schellenberger sich quer stellen, wollte er ihm damit drohen, dass er Krystinas Flucht als Entführung beim König anzeigen würde. Den Knecht musste er schnell auf eines seiner entlegenen Dörfer ganz im Westen schicken. Dort hätte dieser keine Gelegenheit, irgendjemandem von seiner Entdeckung zu erzählen. Mit Friedrich von Chomotau hatte er auch noch ein Hühnchen zu rupfen. Der alte Fuchs wusste bestimmt davon, dass Krystina zu Falk gelaufen war, hatte sie womöglich dazu angestiftet. Nun, das würde er später klären.

      Kaspar rief nach Dobec von Holubov, einem jungen Edelknecht, der seit einigen Jahren auf Hauenstejn lebte. Dobec war der Sohn seines Vetters mütterlicherseits, einem kleinen, südböhmischen Grenzadligen in der Nähe von Krumau. Der junge Mann war ihm treu ergeben, hieß die Alternative zum Dienst bei seinem Großcousin die Mönchskutte. Doch dazu fühlte sich Dobec in keiner Weise berufen.

      „Du weißt, dass ich dir hier immer ein Heim gegeben habe, Dobec. Nun ist es an der Zeit, dass du dich als nützlich erweist.“ Kaspar sah den jungen Mann scharf an. Doch Dobec zeigte keinerlei Anzeichen, dass er sich zu beschweren gedachte, weil sein Wohltäter ihn mit einer Aufgabe betrauen wollte. Zum Zeichen, dass Kaspar fortfahren sollte, verbeugte er sich leicht.

      „Es ist eine delikate Angelegenheit, mit der ich dich betrauen will und ich setze dein absolutes Stillschweigen darüber voraus“, sagte Kaspar.

      „Ihr könnt Euch auf mich verlassen, Vetter“, antwortete Dobec und schaute seinem Gönner fest in die Augen. „Was Ihr auch für einen Auftrag für mich habt, ich werde ihn zu Eurer Zufriedenheit ausführen.“

      „Nun denn“, fuhr Kaspar fort. „Du weißt, deine Cousine Krystina ist ein ungestümes Mädchen, das sich gern einmal in Schwierigkeiten bringt. Doch diesmal hat sie sich selbst übertroffen.“ Er machte eine Pause und seufzte sorgenvoll. „Und wie das so ist mit den Frauen, wissen sie oftmals selbst nicht, dass sie sich in Gefahr begeben.“ Kaspar verstummte, als er sich die Tragweite von Krystinas Handeln noch einmal vor Augen führte.

      „Ihr wirkt besorgt, Vetter. Wie kann ich Euch helfen. Was hat sie diesmal angestellt?“, fragte er verschwörerisch. Dobec hatte die Nichte Kaspars oft verstohlen beobachtet. Die junge lebenslustige Frau gefiel ihm. Sollte der Herrgott es gut mit ihm meinen? Erhielt er jetzt eine Gelegenheit, Krystina zur Frau zu bekommen? Vielleicht brauchte er seinem Vetter nur eine Gefälligkeit erweisen, die ihn dazu veranlassen würde, ihm das Mädchen zu geben?

      „Was soll ich tun?“, fragte er eilfertig.

      „Also hör zu“, sagte Kaspar mit leiser Stimme. Er wollte unbedingt sichergehen, dass keiner von Krystinas Verschwinden Wind bekam und es gegen ihn ausnutzte. „Meine Nichte ist vor drei Tagen mit Falk von Schellenberg heimlich fortgegangen. Sie hat sich als einfaches Mädchen ausgegeben und Falk vor dem Henkersschwert bewahrt.“

      „Ach!“, entfuhr es Dobec. Kaspar schaute ihn missbilligend an.

      „Doch damit nicht genug“, fuhr er fort. „Nein, die dumme Gans musste sich auch noch als Henkerstochter ausgeben und den Schellenberger vom Richtblock weg ehelichen. Wenn das herauskommt, dann ist der Ruf unserer Familie zerstört. Miro macht mir die Hölle heiß.“

      Dobec war fassungslos. Das machte die Sache natürlich schwieriger. Wenn seine junge Base bereits verheiratet war, hatte er weniger Chancen, sie für sich zu gewinnen. Natürlich könnte es aber auch sein, dass sie gar nicht freiwillig mit dem Schellenberger gegangen war. Doch andererseits, welches junge Mädchen aus gutem Hause würde sich ohne Zwang als unehrbare Maid bezeichnen, wenn sie nicht von vornherein die Absicht gehabt hatte, bei diesem Mann zu bleiben? Wie auch immer, wenn er sie fände, würde sich zeigen, wie er sie für sich haben konnte. Und wenn es notfalls mit Gewalt war. Hätte er das Mädchen erst einmal aus den Händen des Schellenbergers befreit, erwies sich Kaspar gewiss dankbar und stimmte einer Verbindung zu.

      „Ich erwarte von dir, dass du Krystina aufspürst.“ Kaspar riss ihn aus seinen Gedanken. Dessen nächste Worte durchkreuzten allerdings seine hochfliegenden Pläne. „Hast du sie gefunden, halte dich zurück. Ich will wissen, wo sie ist, beziehungsweise, wo sie hinwill. Irrt sie irgendwo allein herum, bringe sie nach Hauenstejn.“ Dobec schöpfte erneut Hoffnung, dass sein Plan aufging, nur um gleich wieder einen Dämpfer zu erhalten. „Ist sie bei Falk, dann verfolge sie unauffällig. Sobald du dir sicher bist, dass sie in die Mark Meißen unterwegs sind, und vor allen auch, dass ihnen niemand folgt, komme zurück.“

      Dobec schaute enttäuscht drein. Kaspar verzog spöttisch den Mund.

      „Ich weiß, dass du ein Auge auf das Mädchen geworfen hast. Doch glaube mir, Krystina ist eine Nummer zu groß für dich. Ich habe andere Pläne mit ihr. Glaubst du wirklich, ich würde sie einem so armen Schlucker wie dir zur Frau geben?“

      Wütend starrte Dobec seinen Vetter an. Der würde ihn noch auf den Knien anbetteln, seine entehrte Nichte zu ehelichen, wenn Falk von Schellenberg erstmal mit ihr fertig war. Der Schellenberger hatte einen finsteren Ruf. Er war als Raufbold und als Wegelagerer verschrien. Warum sollte er eine Frau besser behandeln, als seine Männer, die er wegen seines aufbrausenden Temperamentes oft in Angst und Schrecken versetzte. Mit Sicherheit würde er sie fallen lassen, wenn er ihrer Dienste nicht mehr bedurfte. Und wer sollte ein gebrandmarktes Mädchen noch haben wollen. Dann könnte er seine Bedingungen stellen. Bei diesem Gedanken wurde er wieder etwas zuversichtlicher.

      Er lächelte seinen Vetter an. „Mitnichten, Kaspar. Ich würde niemals wagen, Euch um die Hand von Krystina zu bitten. Ihr habt mir auch schon so genug des Guten getan.“

      „Gut, dass du nicht vergisst, wo dein Platz ist“, antwortete Kaspar, und in seiner Stimme schwang immer noch eine unterschwellige Drohung mit.

      „Ich werde Euch nicht enttäuschen, Vetter.“

      „Dann sei Gott mit dir. Und es soll dein Schaden nicht sein, wenn du Erfolg hast auf deiner Mission. Nimm einen meiner Männer mit, am besten Crisan. Zu zweit seid ihr sicherer. “

      Etwas versöhnlicher gestimmt, deutete Dobec eine Verbeugung an und machte sich auf den Weg, um die Vorbereitungen für seine Reise zu treffen.

      Kapitel 7

       Wolfsgrün

       Ende November 1209

      Mühsam setzte Krystina einen Fuß vor den anderen. Seit Ewigkeiten waren sie nun schon gegangen, doch der schwarze, unheimliche Wald schien kein Ende zu nehmen. Langsam sank die Dämmerung herab und es würde keine Stunde mehr dauern, bis es ganz finster wurde.

      „Ich kann nicht mehr weiter“, sagte sie und ließ sich an Ort und Stelle niedersinken.

      Falk, der vor ihr hergelaufen war, drehte sich um. „Es ist nicht mehr weit. Vielleicht noch eine viertel Stunde, dann erreichen wir das Waldgut meines Freundes. Kommt, wir haben keine Zeit zu verlieren. Es wird bald dunkel sein.“ Er ging zu ihr und versuchte sie an den Armen hochzuziehen.

      „Nein, lasst mich“, wehrte sie beinahe wütend ab. „Das sagt Ihr seit zwei Stunden. Gebt doch zu, dass hier in dieser Wildnis nichts als Gestrüpp kommt. Ihr könnt mich nicht dazu bewegen, auch