Julia Fromme

Ehre und Macht


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ich ihm dabei geholfen habe“, sagte der Junge und grinste gutmütig, ohne im Geringsten darüber beleidigt zu sein, dass der Herr ihn als Nichtsnutz betitelte. Man hatte ihm schon wesentlich schlimmere Namen verpasst.

      „Ach was“, entfuhr es Friedrich von Chomotau und er machte ein etwas dümmliches Gesicht. „Du?“, fragte er dann mit erstaunter Stimme. „Und wie kommt es, dass ein Junge wie du, einem Ritter zur Flucht verhelfen kann?“

      „Nun, das ist eine längere Geschichte, Herr“, antwortete Andris. Als er dem drohenden Blick des Ritters begegnete, setzte er schnell hinzu: „Aber es ist wahr, Falk von Schellenberg konnte entkommen, und das letzte, was ich mitbekam, als ich Louny verließ, war, dass der Gaugraf Gift und Galle gespuckt hat, weil seine Büttel die Flüchtigen noch nicht eingefangen hatten.“

      Ein kalter Windstoß fuhr über den Hof und ließ ein paar Flocken aufwirbeln. Andris fröstelte und zog die Schultern nach oben, um der Kälte zu entgehen, die sich langsam durch seine dünne Kleidung fraß. Unter dem fadenscheinigen Kittel trug er ein Hemd aus groben Leinen, was ihm die alte Schließerin auf Louny gegeben hatte, voller Mitleid darüber, dass der Junge nichts weiter, als den Kittel auf seinem Leib sein eigen nannte.

      Friedrich bemerkte, wie der Junge das Klappern seiner Zähne unterdrückte. „Nun komm“, sagte er freundlich. „Gehe mit mir in die Halle. Am Feuer kannst du dich ein wenig aufwärmen.“ Er wies mit der Hand zum Eingang des steinernen Hauses. Andris folgte nur zu gern der Aufforderung, denn der eisige Wind machte ihm inzwischen sehr zu schaffen und er befürchtete, sich eine mächtige Erkältung eingefangen zu haben. Schnell stapfte er hinter dem Hausherrn her, der bereits in der Tür verschwunden war. In der Halle hatte man mehrere Kohlebecken aufgestellt, deren Qualm sich irgendwo unter den Deckenbalken verflüchtigte und in einem Abzug zum Dach hinausgeleitet wurde. In einem Kamin an der Längsseite des Raumes brannte zudem ein lustiges Feuer und verbreitete eine wohlige Wärme. Friedrich winkte Andris zu sich direkt vor die Feuerstelle und wies ihn an, sich auf einen Schemel zu setzen. Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen, froh darüber, sich etwas ausruhen zu können.

      „Liska, hole einen großen Krug warmen Bieres für unseren Gast“, wies er eine vorübergehende Magd an. „Und beeile dich“, setzte er streng hinzu, als sie einen abfälligen Blick auf Andris warf, ganz so, als wolle sie abschätzen, ob es sich der Mühe lohne, eilfertig zu sein. Doch die unheilverkündende Miene ihres Herrn ließ sie recht schnell mit dem dampfenden Getränk zurückkommen. Dankbar nahm Andris einen Becher entgegen und legte seine klammen Hände voller Wonne darum.

      „Und nun, mein Freund, berichte mir ganz ausführlich, was du von Falks Flucht aus Louny weißt“, forderte ihn Friedrich von Chomotau ungeduldig auf und setzte sich auf den Stuhl, der dem Schemel am nächsten stand.

      „Der Ritter von Schellenberg und seine Gemahlin, Krystina von Hauenstejn...“.

      „Was sagst du da?“, unterbrach ihn Friedrich vollkommen perplex, ohne den Jungen weiterreden zu lassen. „Von Hauenstejn? Ich denke, sie ist die Tochter des Henkers?“

      Jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die junge Frau war die Nichte Kaspars von Hauenstejn. Wie hatte er das nur nicht erkennen können. Aber nun ja, sie sah auch ganz anders aus in ihrer Verkleidung. Er konnte es nicht fassen. Er hatte Krystina am Abend auch nicht an der Tafel gesehen, sich allerdings darüber weiter keine Gedanken gemacht und wollte seine Gemahlin später nach dem Verbleib des Mädchens fragen.

      Fassungslos sah er Andris an. Das würde ja bedeuten, dass Falk vielleicht doch kein Ausgestoßener war. Krystina von Hauenstejn. Wenn das stimmte ... Er musste unbedingt seine Frau davon in Kenntnis setzen. Jetzt fiel ihm auch wieder ein, dass sie von einem ihrer Mädchen gesprochen hatte, dass verschwunden sei.

      Andris Stimme riss ihn aus seinen davonstürmenden Gedanken. „Herr?“

      „Schon gut Junge, erzähle weiter.“

      „Also, der Ritter von Schellenberg und seine Gemahlin flohen durch die Straßen von Louny, nachdem man sie aus dem Kerker herausgelassen hatte. Der Ritter wollte den Stadtgraben erreichen und mit dem Boot übersetzen, bevor die Häscher sie eingeholt hatten. Doch leider war das Tor verschlossen. Beinahe hätte den Ritter der Mut verlassen, doch da kam ich ins Spiel.“ Anschaulich berichtete Andris Falks Onkel von der gelungenen Flucht und sparte nicht mit einer sehr ausschweifenden Beschreibung der Rolle, die er dabei gespielt hatte. Auch berichtete er von seinem Leben auf Burg Hauenstejn und seiner Bekanntschaft mit der Nichte des dortigen Herrn. Nur was gerade sie bewogen hatte, sich für Falks Leben einzusetzen, das wusste er nicht zu sagen.

      Nachdem Krystina und Falk die Flucht gelungen war, hatte er noch einen Tag gewartet, um sicher zu gehen, dass die Schergen des Gaugrafen der beiden nicht gleich wieder habhaft geworden waren. Dann kehrte er in die Veste des Grafen zurück, wo ihn seine Mutter schon sehnsüchtig erwartete. Das Ungestüm des Jungen versetzte sie immer in Angst und Schrecken und nie war sie sich sicher, ob er jedes Mal auch heil wieder nach Hause kommen würde. Er erzählte ihr von den Ereignissen des vorangegangenen Tages. Dabei reifte in ihm ein Entschluss. Hier auf Louny würde ihn außer seiner Mutter wahrscheinlich niemand vermissen. Der Gaugraf ahnte nicht einmal von seiner Existenz, war es nur die Mutter gewesen, die vor Monaten, als er auf Hauenstejn weilte, seine Begierde erweckt hatte. Doch war sein Interesse an der Magd bereits nach kurzer Zeit wieder erloschen, so dass sie jetzt als Spülmädchen in der Küche arbeiten musste und gelegentlich das Bett eines Waffenknechtes wärmte. Dass sie einen Sohn hatte, war nur der alten Schließerin und dem Koch auf Louny bekannt. Für alle anderen war er einfach nur Andris, ein Junge, von dem niemand wusste, woher er je gekommen war. Was also hielt ihn hier noch? Sicher würde es seiner Mutter das Herz brechen, wenn er sie verließ. Aber er konnte ihr auch nicht helfen, und wenn er es ehrlich betrachtete, war sie ihm eigentlich nie eine gute Mutter gewesen. Zu schnell war sie den Einladungen der Ritter erlegen, denen es jedoch nur darum ging, eine amüsante Nacht zu verbringen ohne sich jemals der Frau verpflichtet zu fühlen. Auch Andris Vater war ein Edelmann, doch seine Mutter konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wer es war. Sicher würde sie schnell wieder Trost in den Armen irgendeines Mannes finden, wenn er von hier verschwand. Und so beschloss er, zunächst nach Chomotau zu gehen, um dem Herrn dort davon zu unterrichten, dass sein Neffe doch nicht die Tochter des Henkers geheiratet hatte. Natürlich erhoffte er sich auch einen entsprechenden Lohn für diese gute Nachricht. Und hernach würde er sehen, wie es weiterging. Mit Sicherheit stand der liebe Herrgott auf seiner Seite, davon war er ganz fest überzeugt.

      Gespannt folgte Friedrich der Erzählung des Jungen. Er war sehr erleichtert zu hören, dass es Krystina von Hauenstejn gewesen war, die Falk vor dem Tod gerettet hatte und nicht die Henkerstochter. Was mochten nur die Beweggründe des Mädchens gewesen sein, dass es seine eigene sichere Existenz aufs Spiel gesetzt hatte, um einen verurteilten Verbrecher – der Falk ja in ihren Augen sein musste – vor dem Henker zu bewahren? Doch diese Frage blieb im Moment wohl ungeklärt.

      Draußen auf dem Hof erscholl Hufgetrappel und er hörte, wie sein Sohn einen Pferdeknecht anschrie, der nicht schnell genug zur Stelle gewesen war, um den Gaul in Empfang zu nehmen. Mit Sicherheit würde der arme Kerl Schläge abbekommen. Kurz darauf öffnete sich die Tür und Frantek von Chomotau polterte ungestüm in die Halle. Obwohl eher schmächtig von Gestalt, versuchte er immer den Eindruck zu erwecken, dass er größer und gewaltiger war, was ihn allerdings in den Augen der anderen eher lächerlich erscheinen ließ. Im Dämmerlicht des Raumes übersah er im ersten Moment, dass sich sein Vater hier aufhielt und er ging zielgerichtet auf die Anrichte zu, auf der immer eine Kanne mit Wein stand. Großzügig schenkte er sich einen Pokal voll und leerte ihn auf einen Zug geräuschvoll.

      „Und, hattest du Erfolg in Louny?“, fragte ihn Friedrich und seine Stimme troff vor Bitterkeit. Erschrocken fuhr Frantek herum. Er hielt zwar nicht besonders viel von seinem Vater, der ihm immer viel zu ritterlich erschien. Dennoch getraute er sich nicht, offen gegen Friedrich zu rebellieren, da er nicht Gefahr laufen wollte, enterbt zu werden. Er wartete sehnsüchtig darauf, dass seinen alten Herrn bald eine tückische Krankheit dahinraffen würde. Dann wäre er der Herr von Chomotau, denn das Lehen war erblich. Hin und wieder kam ihm der Gedanke, dem Schicksal mit Gift ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Doch wagte er das dann doch nicht, aus Angst