Julia Fromme

Ehre und Macht


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entnahm der Tasche an seinem Gürtel ein Schreiben, auf dem das Siegel des böhmischen Königs prangte. Er reichte es Miro.

      „Ich sage Euch gleich, dass mir der Inhalt des Schreibens bekannt ist“, sagte er. „Seine Majestät wünscht, dass Ihr unverzüglich nach Prag kommt. Es gibt gravierende Ereignisse, die die Anwesenheit aller Grenz- und Gaufürsten notwendig machen. Es heißt, Kaiser Otto bleibe nach seiner Krönung zum Kaiser im letztem Monat in Italien. Er begründet es damit, dass er topografische Erkundungen einziehen muss, da er versprochen hat, an einem Kreuzzug des Papstes teilzunehmen. Mit dem Erzbischof von Magdeburg hat er sich bereits entzweit. Er hat Albrecht weitreichende Versprechungen gemacht, diese allerdings zum großen Teil schon wieder zurückgenommen. Und der Bayer Ludwig weicht ihm nicht von der Seite, was auch den Unmut der anderen Fürsten nach sich zieht, zumal der Kaiser diesem das Herzogtum Bayern zum Erblehen vermacht hat. Nun befürchtet Ottokar, dass auch er wieder Machtverluste erleiden muss. Er liebäugelt bereits mit Anhängern des jungen Staufers Friedrich.“

      Rado machte eine bedeutsame Pause. Doch Miro schwieg. Was ging es ihn an, ob Ottokar mit dem Kaiser Probleme hatte. Er musste selbst zusehen, dass er hier seine Macht in den Händen behalten konnte. Es gab genug kleine Landadlige, die sich gegen ihn verschworen hatten. Für ihn war es im Moment wichtiger, dass Falk in seine Fänge geriet, denn es konnte durchaus sein, dass dieser bei Otto Gehör bekam. Auch dessen Onkel Friedrich von Chomotau hatte gute Beziehungen zum Kaiserhof. Friedrich war ein Ministeriale der deutschen Kaiser und hatte diesen schon immer nähergestanden als der böhmischen Krone.

      Seit einem Jahr nun war Otto von Braunschweig deutscher König. Sein Kontrahent, Philipp von Schwaben, mit dem er zehn Jahre lang um die deutsche Krone gekämpft hatte, war vom Wittelsbacher Pfalzgrafen Otto ermordet worden. Danach hatten ihn die Fürsten des Reiches endgültig als Monarchen anerkannt. Im Herbst war er nach Italien gezogen, um sich vom Papst zum Kaiser krönen zu lassen. Auch hatte er akzeptiert, dass die Wahl der Bischöfe nur dem Papst obliegen sollte. Doch nahm er es nicht allzu genau mit seinen Versprechungen. Er zog nach Sizilien und versuchte, die Italienpolitik seines Vorvorgängers Heinrich VI. weiter zu betreiben. Der Magdeburger Erzbischof, welcher seit dem Sommer die Rolle des ersten Ratgebers unter den Fürsten am Kaiserhof einnahm, war sehr verärgert über dessen Unzuverlässigkeit und intrigierte bereits bei Papst Innozenz gegen den neuen Kaiser.

      Dass Ottokar Miro gerade jetzt zu sich berief, kam diesem deshalb äußerst ungelegen. Er war vom böhmischen König abhängig, doch, wenn dieser wieder vom Thron gestürzt würde, wie vor fünfzehn Jahren schon einmal, fiel er unter Umständen mit ihm. Deshalb schien es Miro ratsam, sich eigene, mächtige Verbündete zu suchen, wenn es sein musste, in der Mark Meißen.

      Doch Rado schien das Desinteresse Miros nicht zu bemerken. Er hielt Zdenek seinen leeren Becher hin und forderte ihn mit einem Nicken auf, diesen wieder vollzuschenken.

      „Außerdem beauftragte Ottokar mich, Euch in der Angelegenheit des Falk von Schellenberg zu befragen. Ihm ist zu Ohren gekommen, dass besagter Ritter hier sein Todesurteil empfangen hat. Einer Eurer Boten hatte ihn wissen lassen, dass hier in des Königs Namen ein Verfahren stattfindet, dass für Ottokar durchaus von Wert sein kann. Den König interessiert nun, wie mit dem Besitz des Raubritters verfahren wurde.“ Rado schaute Miro forschend an.

      „Nun, was den Tod des Schellenbergers betrifft, so muss ich den König enttäuschen. Es gelang ihm unter fadenscheinigen Umständen, dem Henkersschwert zu entkommen. Was das Letztere anbelangt, dürften seine Ländereien nichts desto trotz der Krone anheimfallen, da er sich durch Flucht seiner gerechten Strafe entzogen hat.“

      Rado nickte. „Nun denn“, begann er. „Hört, was ich noch zu sagen habe.“

      Gegen Mittag hatte es angefangen zu schneien. Krystina zog sich den Umhang über den Kopf. Der kalte Wind blies unbarmherzig und drang durch ihre Kleider. Schon fühlte sie ihre Finger nicht mehr. Wie in Trance stapfte sie hinter dem Ritter her und ihre Schritte wurden immer langsamer. Falk schien die Kälte nichts anzuhaben. Doch war er in seine eigenen Gedanken versunken und bemerkte gar nicht, dass seine junge Frau immer weiter hinter ihm zurückblieb.

      „Falk!“ Krystina sank erschöpft zu Boden. Ihre Stimme war nur ein heiseres Krächzen und der Hals tat ihr weh. Ihre Glieder schmerzten und sie hatte das Gefühl, als würde sie innerlich verbrennen. Sie begann unkontrolliert zu zittern und ihre Zähne schlugen aufeinander.

      „Falk!“ Sie hatte kaum Kraft zum Sprechen und ihr Rufen war nicht mehr als ein Flüstern. Der Ritter schien sie nicht zu hören, doch hatte sie keine Energie mehr, darüber nachzudenken. Rings um sie schien alles in einem grauen Nebel zu verschwinden.

      Falk spürte, dass Krystina nicht mehr hinter ihm war. Die ganze Zeit hatte er sich innerlich darüber aufgeregt, dass er nicht schneller vorankam. Doch sagte er es ihr nicht. Sie hatte ihm das Leben gerettet und so musste er jetzt sehen, wie er mit ihr zurechtkam. Doch als er jetzt nicht mehr ihr schweres Atmen hörte, drehte er sich zu ihr um. Sie lag am Boden, etliche Meter hinter ihm.

      „Krystina!“, rief er und rannte zurück. „Was ist mit dir?“ Doch sie antwortete ihm nicht. Er kniete neben ihr nieder und zog sie auf seinen Schoß. Dann befühlte ihre Stirn. Sie war schrecklich heiß.

      „Verdammt“, fluchte Falk leise vor sich hin. „das hat gerade noch gefehlt.“ Seine Frau glühte vor Fieber. Falk schaute sich suchend um. Doch nirgends sah er eine Möglichkeit, für sein Weib Unterschlupf zu finden. Rings um ihn her war nur dunkler Wald. Es würde noch mindestens zwei Tage dauern, bis sie den Kamm des Gebirges erreicht hätten. Er war ratlos, was sollte er jetzt bloß tun?

      „Falk?“ Ihre Stimme war nur ein Hauch. „Was ist los mit mir?“

      „Krystina. Du bist krank und hast hohes Fieber.“

      Die junge Frau versuchte ihre Hand zu heben, doch sank sie kraftlos wieder herab. „Lasst mich hier, Falk. Ohne mich kommt Ihr schneller voran, ich behindere Euch nur.“

      „Unsinn“, sagte er fast grob, doch drückte er sie fester an sich. Noch einmal schaute er sich um. In einiger Entfernung sah er, dass das Unterholz sich verdichtete. Vielleicht ließe sich dort ein geschütztes Plätzchen finden, damit sich Krystina etwas ausruhen konnte. Sie mussten unbedingt weiter. Miros Schergen würden mit Gewissheit nicht so schnell aufgeben. Erst wenn sie Schellenberg erreichten, wären sie in Sicherheit. Er hob sie mühelos auf seine Arme und kämpfte sich durch den Schnee, den der Wind hier zu einer hohen Wehe aufgetürmt hatte. Am Rande des Dickichts setzte er seine Frau ab. Er bog die Zweige auseinander. Unter dem Busch war das Gras noch trocken und bildete mit dem Moos ein weiches Lager. Er breitete seinen Umhang auf dem Boden aus, dann holte er Krystina und legte sie nieder.

      „Falk“, murmelte sie. „Geht doch nicht weg.“

      „Nein, Mädchen, ich bleibe bei dir“, murmelte Falk. Er legte sich neben sie. Noch war der Boden hier nicht gefroren und sein Körper erwärmte langsam das Gras unter ihm. Er breitete die alte Decke, welche er immer noch bei sich trug, über sie beide aus. Dann nahm er Krystina wieder in die Arme. Ihr Zittern ließ langsam nach und er spürte, wie sich ihr Körper entspannte und sie in einen tiefen Schlaf hinüberglitt.

      „Ach Mädchen, was mache ich nur mit dir“, sagte er leise zu sich selbst. „Sterbe ja nicht hier mitten im Wald, das lasse ich nicht zu. Ich bin es leid, über die Menschen, die mir wichtig sind, nur Unglück zu bringen.“ Das Bild seiner Schwester Tyra zog vor seinem geistigen Auge vorüber. Sie war wunderhübsch. Ihre blonden Zöpfe flogen um ihren Kopf, als sie wild über die Wiese unterhalb der Burg Schellenberg rannte. Ihr helles Lachen hallte in seinem Kopf. Sie waren Kinder und sie waren glücklich gewesen, bis zu dem Tag, als sein Vater ihn nach Böhmen schickte. Die Erinnerung an seine Schwester gab ihm in der Fremde Halt und Zuversicht. Nach vielen Jahren, als er selbst schon lange ein Ritter und erfahrener Kämpfer war, starb sein Vater. Nun gab es für Falk nur noch Tyra. Sie sollte bei ihm bleiben, kein Mann sollte sie bekommen und entehren. So wie seine Mutter, die den Drangsalierungen seines Vaters ausgesetzt gewesen war. Peter von Schellenberg hatte seine Frau wie eine Gefangene gehalten. Zwar züchtigte er sie selten körperlich, doch zwang er ihr seinen Willen auf. Ihre Kinder durfte sie kaum sehen, und sie vermissten die Wärme einer