Julia Fromme

Ehre und Macht


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ließ er zur Unterweisung in das Kloster Waldenburg bringen. Mit zwölf Jahren wurde sie eine Hofdame der Markgräfin in Meißen, was eine große Ehre für die Familie von Schellenberg war. Doch ein Ritter des Markgrafen entehrte das Mädchen und ihr Vater zwang sie, den Mann zu ehelichen. Falk hatte als Knabe seinen Vater gefürchtet, aber auch geachtet. Nie war es ihm in den Sinn gekommen, dass dieser grausam oder ungerecht sein könnte. Und als die Schwester in das Kloster nach Waldenburg kam, verbarg er seine Tränen, die ihm die Trennung in die Augen trieb. Dann war die Mutter bei der Geburt ihres jüngsten Kindes gestorben. Doch später, als auch sein Vater vor seinen Schöpfer getreten war, beging Falk dieselben Fehler. Er wollte seine Schwester vor der Welt verbergen, sie vor dem Bösen auf der Erde bewahren und sie deshalb für immer in einem Kloster einsperren lassen. Dabei merkte er gar nicht, dass er selbst das Böse geworden war und die, die ihm anvertraut waren, unterdrückte und tyrannisierte, einschließlich seiner Schwester. Aber Tyra war stark, sie hatte sich ihm widersetzt. Zunächst war er wütend darüber gewesen. Doch Jahre danach hatte er sein Unrecht begriffen. Er hatte seine Schwester großen Gefahren ausgesetzt, nur um seinen Willen durchsetzen zu können. Und sie, die immer zu ihm gehalten hatte, verließ ihn, um bei einem anderen Mann ihr Glück zu finden. Inzwischen begannen sie, sich langsam wieder anzunähern. Er musste unbedingt zurück nach Schellenberg. Er hatte soviel wieder gut zu machen.

      Die Strapazen der letzten Tage forderten auch bei Falk langsam ihren Tribut. Er hatte die Arme fest um seine junge Frau geschlungen, ein Bein über ihre Unterschenkel gelegt. Langsam verschmolz er mit ihrer Wärme, die ihr erhitzter Körper ausstrahlte. Seinen düsteren Gedanken nachhängend glitt er langsam in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

      „Falk! Falk, hört Ihr mich?“ Nach und nach drang die Stimme Krystinas in sein Bewusstsein. Er spürte, wie sie mit ihren zarten Fingern über sein Gesicht fuhr. Dann war er hellwach.

      „Krystina, wie geht es Euch?“, fragte er besorgt. Er legte die Hand auf ihre Stirn. Das Fieber schien nachgelassen zu haben. Doch war sie noch lange nicht außer Gefahr. Ihr Körper war bestimmt geschwächt und sie würde die Strapaze einer langen Wanderung nicht durchstehen. Er musste eine Möglichkeit finden, sie in einem festen Haus unterzubringen, bis sie sich wieder erholt hatte. Langsam senkte sich die Dämmerung herab. Er beschloss, auch die Nacht in der Mulde unter dem Dickicht zu verbringen, in der Hoffnung, dass die Hunde Miros sie nicht aufspüren würden. Der Mond, welcher ihnen in den vergangenen zwei Nächten hilfreich gewesen war, verbarg sich hinter dichten Wolken, so dass sie den Weg ohnehin nicht erkennen konnten. Auch lag auf den Gebirgspässen sicher Schnee, der ihr Vorankommen erschweren würde.

      „Ich weiß nicht so recht. Mir ist kalt und mein Rücken tut weh.“ Krystinas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

      „Wir werden die Nacht hier verbringen. Morgen früh wird es Euch bessergehen, dann finden wir eine feste Unterkunft, wo Ihr Euch erholen könnt.“ Behutsam strich er ihr eine verirrte Locke aus dem Gesicht.

      „Vielleicht solltet Ihr allein weitergehen. Ohne mich seid Ihr wesentlich schneller. Und wenn ich, falls mich die Häscher des Gaugrafen finden, sage, dass ich Krystina von Hauenstejn bin, bringen sie mich vielleicht zurück zu meinem Onkel.“ Ihr Gesichtsausdruck verriet jedoch, wie wenig sie ihre eigenen Worte überzeugten.

      „Niemals lasse ich Euch allein hier zurück. Lieber sterbe ich mit Euch, denn es wäre Euer sicheres Todesurteil, wenn ihr hier zurückbliebet. Wenn Euch das Fieber nicht umbringt, dann sind es die Mordgesellen Miros. Denkt nicht, dass Ihr von denen Gnade zu erwarten habt. Sie würden Euch ohnehin nicht glauben.“

      In Krystinas Augen traten Tränen.

      „Ich werde auf Euch Acht geben, schlaft noch ein wenig. Wir können in der Nacht eh nirgends hin. Mir fällt bestimmt noch eine Lösung ein, Euch an einen sicheren Ort zu bringen.“

      Das Sprechen hatte Krystina angestrengt. Langsam fielen ihr wieder die Augen zu und sie glitt hinüber in einen unruhigen Schlaf ohne Falk widersprochen zu haben. Da sie sowieso keine andere Wahl hatten, als hier auszuharren, versuchte auch er, wieder Schlaf zu finden. Doch wollte der sich nicht einstellen und die Gespenster der Vergangenheit spukten erneut in seinem Kopf herum.

      In der Nacht kam das Fieber mit voller Wucht zurück. Krystina schlug in wilden Fieberträumen um sich und Falk konnte sie nur hilflos in den Armen halten. Wie seit vielen Jahren schon nicht mehr, kam ein Gebet über seine Lippen und er bat Gott darum, Krystina nicht für seine eigenen Sünden zu bestrafen. Er gelobte, sie für den Rest ihres gemeinsamen Lebens zu beschützen und für ihr Wohl zu sorgen, wenn Gott nur Erbarmen zeigen wollte. Gegen Morgen fiel sie wieder in einen tiefen Schlaf und auch Falk fand endlich etwas Ruhe. Langsam kroch die Morgendämmerung in das Dickicht. Krystina schlug die Augen auf und ihr Blick war klar und hell, auch wenn sich ihre Stirn noch etwas heiß anfühlte. Falk stieß erleichtert den Atem aus. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er die Luft angehalten hatte.

      „Ich habe entsetzlichen Hunger“, sagte sie mit leiser Stimme, dass Falk sie fast nicht hörte. Doch als die Bedeutung ihrer Worte in sein Bewusstsein drang, hätte er fast gelacht.

      „Ich habe noch ein kleines Stück von dem Schinken. Es ist nicht viel, wird Euch aber etwas Kraft zurückgeben. Auch müsst Ihr etwas trinken. Ich weiß nur noch nicht, wie ich Euch das Wasser hierherbringen soll. Ich glaube, in der Nähe ist ein Bach. Ich habe es plätschern hören.“ Falk dachte einen Moment nach. „Ich hab`s!“, rief er plötzlich. „Ich werde ein Stück Rinde von einem Baum abschälen und es als Gefäß benutzen. Wartet hier.“ Er bemerkte gar nicht die Ironie seiner Worte, denn wo sollte sein Weib auch hingehen. Die junge Frau lächelte und es schien ihm das Schönste, was er seit langem gesehen hatte.

      Sie nickte. „Ich warte hier auf Euch.“ Sogleich sprang Falk auf. Zum Glück besaß er das Messer noch, das ihnen Andris gegeben hatte. Eilig schnitt er damit ein großes Stück Rinde von einer nahen Birke. Der Baum war schon vor einiger Zeit abgestorben und die Borke ließ sich leicht ablösen. Dabei kam ihm der Gedanke, dass er auch etwas frischere Birkenrinde auskochen könnte. Seine Schwester hatte ihm einmal erzählt, dass sie wie die Weide fiebersenkende Wirkung hatte. Er schnitt mit dem Messer einige kleine Stückchen von einem jungen Baum. Unweit ihres Lagers fand er tatsächlich einen kleinen Bach. Rasch wusch er sich das Gesicht, um die letzten Spuren der anstrengenden Nacht zu vertreiben. Dann füllte er das provisorische Gefäß und eilte zurück zu Krystina. Als sie versuchte, sich aufzusetzen, befiel sie ein heftiger Schwindel und eine Welle der Übelkeit schwappte über sie hinweg.

      „Macht langsam, Eurer Körper ist noch zu geschwächt. Wenn Ihr etwas gegessen habt, werdet Ihr Euch stärker fühlen.“ Er hielt ihr das Gefäß an die Lippen und sie trank in langen, gierigen Zügen.

      „Ich denke, wir können ein kleines Feuer entfachen. Wir müssen es einfach riskieren. Ich habe etwas Birkenrinde mitgebracht. Wenn ich daraus einen Tee zubereite, geht es Euch bestimmt bald besser.“

      „Woher wisst Ihr das alles?“, fragte Krystina.

      „Hat mir meine Schwester mal erzählt“, antwortete er knapp.

      Schnell hatte er mit etwas trockener Birkenrinde und Zunderschwamm ein Feuer entfacht. Mit Sicherheit würde das Gefäß lange genug durchhalten, dass er einen Sud kochen konnte. Vielleicht trieb der das Fieber endgültig aus.

      „Glaubt Ihr, dass Ihr eine kleine Weile gehen könnt?“, fragte er unvermittelt und registrierte, wie sie den Tee in kleinen Schlucken trank und dabei immer wieder das Gesicht verzog. Doch wagte sie nicht zu protestieren, in der Hoffnung, dass das Gebräu ihr helfen würde. Er hatte ihr stumm dabei zugeschaut, wie sie auf dem zähen Stück Schinken herumkaute und es endlich, mit Hilfe eines Schluckes Tee, hinunterwürgte. Sie wollte ihm ein Stück geben, doch er wehrte ab. Es reichte ja kaum für sie. Er hatte in der Vergangenheit schon länger hungern müssen und sie musste wieder zu Kräften kommen.

      „Ich werde es versuchen“, antwortete sie. „Doch wenn es nicht geht, und ich zur Belastung werde, dann lasst mich endlich hier zurück.“ Sie schaute ihn unter ihren langen Wimpern heraus flehend an.

      „Ich will das nie wieder hören. Was glaubt Ihr, wer ich bin?“ Er schnaubte verärgert. „Ich mag ein Schurke sein, der Kaufleute